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DIE FURCHE: Das Jahr 1959 bringt das Ende einer fünfjährigen Direktionsperiode. Sie hatte sich, wie nahezu alle anderen Direktionen vor ihr, keiner besonderen Popularität erfreut und hinterläflt dem Nachfolger eine Fülle von Problemen, von denen wir glauben, daß sie sich in der letzten Zeit zu häufen begannen, daß sie aber im Grunde seit Jahrzehnten ungelöst und außerdem in der Struktur des Hauses begründet sind. Sie, sehr verehrter Herr Professor Haeusser- maPi, übernehmen am 1. September die Leitung des Burgtheaters. Sie werden ein mit der Erinnerung an eine ruhmreiche Vergangenheit belastetes Institut betreten, dessen starres und stark bürokratisches Statutensystem mit dem Pulsschlag eines lebendigen, heutigen, leistungsfähigen Theaterbetriebes schwer vereinbar zu sein scheint. Sie werden ein zur Selbstüberschätzung neigendes Ensemble vorfinden, das etwa zur Hälfte aus hervorragenden Kräften, zur anderen aber aus zwar überaus verdienten, doch heute nur noch sehr bedingt verwendbaren Schauspielern zusammengesetzt ist, die an einer erstrangigen Großstadtbühne allenfalls eine Art Gewohnheitsdaseinsberechtigung genießen und die zum Großteil unkündbar sind; ihr Einfluß scheint uns überdies so groß zu sein, daß es wohl sehr schwer fallen muß, sie bei der Ver- , gebung von Rollen, denen sie, objektiv gesehen, sehr häufig nicht gewachsen sind, zu übergehen — oder gar, sie in den Genuß des längst verdienten Ruhestandes zu versetzen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, verehrter Professor, dieser allgemein bekannten, wenn auch nur zögernd beim rechten Namen genannten U e b e r a 11 e- r un g des Burgtheaters zu begegnen? Oder scheint Ihnen die Situation nicht so bedenklich wie uns?

PROF. HAEUSSERMAN: Darf ich Ihnen zuerst einmal für die Offenheit Ihrer Frage danken, die not tut, damit einer Situation begegnet werden kann, die — und da gebe ich Ihnen vollkommen recht — ernst genug ist. Sie ist, glaube ich, keinesfalls hoffnungslos, aber auch nicht von heute auf morgen zu meistern. Der Ueberalterung eines künstlerischen Betriebes kann und muß behutsam durch eine konservative Therapie und, wenn notwendig, durch Operationen, die für den Operateur oft so schwer sind wie für den Patienten, gesteuert werden. Ein Problem also, das meiner Meinung nach mit „zärtlicher Härte" angefaßt werden muß. — Eine Versetzung verdienter Mitglieder in den Ruhestand ist selbstverständlich möglich; solche Entscheidungen kann und werde ich nach rein künstlerischen Gesichtspunkten treffen. Keineswegs soll aber dabei die künstlerische Kraft des Ensembles, das sich durch Jahrzehnte hindurch im wahrsten Sinne des Wortes „zusammensetzte", unterschätzt und durch zu radikale Methoden gefährdet werden.

DIE FURCHE: Wir sind uns darüber im klaren, daß eine Reihe von Problemen, die die Oeffentlichkeit im engsten Zusammenhang mit dem Burgtheater beschäftigen, als zeitbedingte Folgeerscheinung der allgemeinen Situation des deutschsprachigen Theaters unserer Tage betrachtet werden müssen. Der Hinweis auf die Filmflucht und die „Reisefreudigkeit“ der Schauspieler ist uns allen bekannt und stellt nahezu alle Bühnen vor ähnliche, oft unüberwindlich scheinende Schwierigkeiten in Besetzungs- und Spielplanfragen. Anderseits glauben wir, daß doch gerade dem Burgtheater dank seines Prestiges und infolge seiner reichhaltigen Mittel die größten Chancen gegeben sind, ein erstrangiges Ensemble ans Haus zu binden. Im Sinne dieser Aufgabe, die wir nachdrücklich zur Diskussion stellen wollen, dürfen wir auf die alarmierenden Lücken im Ensemble sowie auf unbesetzte Fächer hinweisen. Es ist doch offensichtlich, daß das Burgtheater trotz seines recht beträchtlichen Aufwandes eine ganze Reihe von Standardwerken des klassischen Repertoires mit erstrangigen Kräften nicht besetzen kann. Zur Zeit stehen, um nur einige Beispiele zu nennen, dem Haus weder ein Don Carlos noch ein Hamlet, Tasso, Romeo, Mephisto oder Nathan zur. Verfügung, während im Bereich der klassischen Frauenparts das Rollenfach Käthe Dorschs und Maria Eis' nahezu komplett verwaist ist. Glauben auch Sie, Herr Professor, daß eine Blutauffrischung des Burgtheaterensembles unerläßlich ist?

PROF. HAEUSSERMAN: Diese Frage ist nur zu berechtigt. Auch hier ist eine organische Entwicklung notwendig. Die Verantwortung für neue Verpflichtungen ist besonders groß, weil mir darin die Wurzel des Problems zu liegen scheint, das Sie anschneiden. Vielleicht zeigen die bereits angekündigten Neuengagements einen Weg: Oskar Werner, Walter Reyer, Hilde Krahl, Heidemarie Hatheyer — um einige Ihrer konkreten Fragen in diesem Zusammenhang zu beantworten. Vielleicht wird der Plan, begabten Schauspielernachwuchs am Burgtheater hospitieren und dann in Zusammenarbeit mit anderen

Bühnen — etwa in den Bundesländern — unter dem Augenmerk auf ein allfälliges Burgtheaterengagement künstlerisch heranreifen zu lassen, ein Grundstein zu, dem von Ihnen geforderten Ensemblewiederaufbau sein.

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Ihren Vorgängern würde häufig vorgehalten, daß hinsichtlich der Spielplangestaltung kein konsequentes Konzept Vorgelegen sei, daß die Wahl der Stücke und Autoren vielmehr dem Zufall unterworfen und von der Improvisation gelenkt worden war. An dieser Stelle mag an die allzeit aktuelle Frage, wie es um die Aufführungschancen für die heimischen Autoren steht, und an die zahlreichen Diskussionen erinnert werden, die die Seltenheit von Ur- und Erstaufführungen und das sogenannte „Nachspielen“ (von Werken, die bereits anderswo erfolgreich waren) betrafen. Man fand, daß das Burgtheater in dieser Hinsicht an internationaler Bedeutung verloren hat. Wie sind Ihre diesbezüglichen Pläne?

PROF. HAEUSSERMAN: Ich glaube fest an einen gebauten Spielplan unter der Voraussetzung einer Planung auf lange Sicht. Das ist ein Bekenntnis zu den geistigen und künstlerischen Richtlinien des künftigen Burgtheaterspielplanes. und ist eine Absage an den Zufall. Wir müssen und werden versuchen, Ur- und Erstaufführungen nach Wien zu verlagern, aber nicht um jeden Preis und keinesfalls um den Preis eines künstlerischen Kompromisses mit den Gegebenheiten des großen Hauses am Ring, das wir in erster Linie dem klassischen Repertoire, dem repräsentativen, festlichen Theater und solchen Stücken der zeitgenössischen

Theaterliteratur Vorbehalten wissen wollen, die sich in den Rahmen des großen Hauses ein- fügen. Das neue Zeitstück wird hauptsächlich im Akademietheater zu sehen sein. Die Aufführung heimischer Autoren war seit jeher mein großes Anliegen, aber nur, wenn es zum gegenseitigen Vorteil sein kann. Ich erhoffe mir Wesentliches von dem engen Kontakt mit jun gen österreichischen Autoren, der mir durch die Möglichkeit, Rudolf Bayr, Kurt Klinger, Friedrich Kühnelt und Harald Zusanek dem Burgtheater in fördernder Absicht zu verbinden, gegeben scheint.

DIE FURCHE: Gegenstand unermüdlicher Diskussionen ist der „Burgtheaterstil“: Einst gerühmt, mancherorts als antiquiert, unnatürlich und pathetisch kritisiert, heute weder im Guten noch im Schlechten nachweisbar — so daß sich viel eher von einer (bis zu einem gewissen Grade freilich zeitbedingten) Stillosigkeit sprechen ließe, deren wienerisches Kennzeichen es ist, daß uns manche Klassikeraufführungen des Burgtheaters uneinheitlich und so wenig „heutig“ anmuten, während es den Inszenierungen zeitgenössischer Werke häufig an Dynamik fehlt. Das wirft die Frage nach den Regisseuren auf: nach geeigneten Persönlichkeiten, die (besonders im Hinblick auf das klassische Repertoire, das Sie erwähnten) geeignet wären, eine gewisse Kontinuität durchzusetzen.

PROF. HAEUSSERMAN: Ich glaube, daß der Stil eines Theaters in der Qualität seiner Aufführungen liegen muß. Die Verpflichtung profilierter Regisseure, wie Leopold Lindt- berg, Gustav R. Sellner, Oskar Fritz Schuh und Günther Rennert, deren sehr persönliche Handschrift bei aller ihrer Verschiedenheit zweifellos das Signum des heutigen Theaters repräsentiert, wird, so hoffen wir, gemeinsam mit der Interpretation der wesentlichen Regisseure des Hauses eine Qualitätseinheit schaffen. Die Bestellung eines „Regievorstandes“, dessen Aufgabe es sein soll, Umbesetzungen und die Etablierung von Wiederaufnahmen zu betreuen, wird für eine qualitative Kontinuität der Reper- toirevorstellungen sorgen.

DIE FURCHE: Das Burgtheater unternahm seit Kriegsende zahlreiche Tourneen ins Ausland, wobei die Wahl der Stücke, die Besetzung und die Sorgfalt, die man solchen Reiseinszenierungen angedeihen lassen müßte, nicht immer geeignet waren, das ausländische Publikum von der Bedeutung des Hauses zu überzeugen. Wollen Sie uns, verehrter Professor Haeusserman, über die zukünftigen „Repräsentationsfahrten“ des Burgtheaters etwas mit- teilen? Und eine zweite, uns sehr wesentlich erscheinende Frage: Halten Sie es nicht für angebracht, daß eine Einstudierung des Burgtheaters das österreichische Schauspiel während der S a l z burg e r Fe s t s p i e l e repräsentiert? i'

PROF. HAEUSSERMAN: Es ist nicht daran gedacht, ohne zwingenden Grund in allernächster Zeit Gastspiele im Ausland zu unternehmen, vielmehr scheint es mir eine Verpflichtung zu sein, regelmäßig die Bundesländer zu besuchen. „Repräsentationsfahrten" des Burgtheaters sollen erst dann erfolgen, wenn sie über jeden Zweifel hinaus Gewähr bieten, wirklich solche zu sein. Das Burgtheater fühlt sich selbstverständlich den Salzburger wie auch den Bregenzer Festspielen verbunden. Die wichtigste Voraussetzung aber muß es sein, durch Mitwirkungen des Burgtheaters das eigene Haus nicht zu gefährden.

DIE FURCHE: Zuletzt eine nebensächlich scheinende, unserer Ansicht nach jedoch sehr wichtige Frage: Die Oeffentlichkeit wird unermüdlich über die Würde des Burgtheaters aufgeklärt; über jenen ehr furcht gebietenden „Burgtheatergeis f“, der hochgehalten, nicht angetastet, respektiert werden müsse. Um die besondere Stellung des Burgtheaters zu gewährleisten, verbietet es beispielsweise ein Hausgesetz den Ensemblemitgliedern, an anderen Wiener Bühnen zu gastieren. Wie verträgt sich diese zweifellos sehr angebrachte Exklusivität des Hauses mit der Gepflogenheit prominenter Burgtheaterschauspieler, sich für Kleinstrollen in drittrangigen Filmproduktionen, für illustrierte Inserate in der Tagespresse und für Litfaßsäulenreklame zur Verfügung zu stellen oder etwa ein Mitternachtskabarett in einem Kinosaal zu bestreiten? Glauben Sie, verehrter Herr Professor, daß die „Spitzenklasse“ der Burgtheaterschauspieler auf Nebenverdienste in der Reklamebranche angewiesen ist?

PROF. HAEUSSERMAN: Ich glaube, daß es sich hier wohl nur um Einzelfälle handelt, die nicht symptomatisch für die Einstellung des Burgtheaterensembles sind. Ich halte es für richtig, daß die Leitung des Theaters mit den Künstlern amikale Wege sucht, um alles zu vermeiden, was dem Ansehen des Hauses nach innen und nach außen hin schaden könnte. Im übrigen bekenne ich mich zu einem Burgtheatergeist, der nicht überheblich nach außen projiziert werden darf und der nicht als bequeme Entschuldigung für vorgestrige Methoden gebraucht werden soll, sondern der mit aller Demut nach innen eine wesentliche Grundlage für das Burgtheater von heute und morgen bedeutet.

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