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Theater von heute

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Relativ schnell hatten sich die Theater Wiens gefunden, und bald nach Kriegsende öffnete eines nach' dem anderen wieder seine Pforten. Zahlreich und manchmal fast unüberwindlich waren die Schwierigkeiten, die Hindernisse, die es zu überwinden galt. Nicht eines der großen Theater konnte seihen Direktor behalten, denn keiner von ihnen entsprach den Anforderungen, die das neue Österreich an ihn richten mußte. Wiens erste Theater aber waren ohne Haus und daher gezwungen, Notquartiere zu beziehen. Kulissen waren vernichtet, Kostüme nicht mehr vorhanden und Neuanschaffungen nur in beschränktem Umfange möglich. Zu all dem kam auch die nicht leicht zu beantwortende Frage: Was sollen, was müssen, was wollen und leider auch: was können wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln spielen? Wie eine Sturzflut rauschten die Titel jener Werke auf Dramaturgen und Direktor nieder, die jahrlang verboten gewesen waren. Man konnte beim besten Willen nicht einmal einen kleinen Teil von dem spielen, zu dem man sich verpflichtet fühlte und was man auch gerne gespielt hätte. Drei Gruppen von aufzuführenden Stücken zeichneten sich klar1 ab. Zunächst die großen Werke, die das Ausland in den letzten Jahren der Welt geschenkt hatte, und von denen manchmal gerade noch die Titel — und diese nicht einmal immer — zu uns gedrungen waren. Dazu gehörten auch die Emigrationsdichtungen jener Österreicher, die 1938 ihre Heimat verlassen mußten, und die Arbeiten jener jungen Menschen, die der Diktatur aus innerster Seele feindlich gegenübergestanden und daher ihre Werke sorgsam im Schreibtisch versperrt hatten. Schon diese Gruppe allein hätte den Spielplan für etliche Jahre ausfüllen können.

Sie stand aber nicht allein da. Es kamen alle jene großen Dichtungen der Weltliteratur, wie zum Beispiel Lessings „Nathan“, hinzu, die ebenfalls verboten oder unerwünscht gewesen waren. 'Und schließlich hatte jedes Theater seinem Rahmen entsprechend, seinem entweder durch die Jahrzehnte organisch gewachsenen oder von dem Direktor klar gekennzeichneten Aufgabenkreis gemäß einen gewissen Grundstock von Stücken, eine Tradition, die gleichfalls gepflegt werden mußte. Diese dritte Gruppe sollte das Fundament des Spielplanes sein. Die zweite wird nur eine geringe Rolle spielen können, da sie zahlenmäßig nicht groß ist. Die Hauptschwierig-keit der richtigen Spielplangestaltung wird darin bestehen müssen, dafür za sorgen, daß die erste Gruppe nie zu sehr überhand nimmt.

Es war durchaus nicht einfach zu bewältigen, dieses Problem der Spielglangestaltung, und es'ist nur den wenigsten Theatern gelungen. Die Zeit war allerdings auch sehr kurz, um in Ruhe einen Spielplan aufstellen zu können, der, wie es zu wünschen gewesen wäre, nicht nur den prozentuell richtigen Artteil jeder dieser Gruppen ergeben, sondern auch eine klare Linie, einen alles beherrschenden Gedanken aufgezeigt hätte. So reihte man vielfach wahllos Werk an

Werk, wobei der begreifliche Drang, das in den letzten Jahren verschlossene Kulturgut in erster Linie zu pflegen, so stark überwog, daß manches Theater den ihm gegebenen Aufgabeiikreis, durchaus nicht zu seinem Vorteil, verließ. Es erwies sich eben doch als für den Spielplan nicht günstig, wenn man verzweifelt versucht, das Versäumnis von sieben Jahren in einem Spieljahr einholen zu wollen. Der eigene Aufgabenkreis und die Tradition werden vernichtet, durch das Kunterbunt aber, das entsteht, leiden auch die neu aufgeführten Werke'. Richtiger wäre es gewesen, den Rahmen beizubehalten und das Neue organisch dem Ganzen einzufügen.

Es soll nicht vergessen werden, daß technische oder Materialschwierigkeiten die Aufführung gewisser Standardwerke unmöglich machten, aber es wäre vielleicht besser gewesen, manche Stücke einfacher, behelfsmäßiger zu inszenieren — worüber wir gewiß gerne hinweggesehen hätten — als sie gar nicht zu bringen. Wenn man zum Beispiel nun, da ein klarer Überblick über die hinter uns liegende Saison gewonnen werden kann, einmal überlegt,- was unserer Jugend, der in den letzten Jahren keine, (und vorher mitunter nur sehr verstümmelte) Aufführungen geboten wurden, in dem vergangenen Winter an Klassikern geboten wurde, dann wird man wahrscheinlich über die geringe Zahl der aufgeführten Werke erschrecken. Noch stiefmütterlicher aber wurde das gediegene österreichische Volksstück behandelt, das, an keinem Theater mehr beheimatet, von Zeit zu Zeit aus einem Berg von Staub aufgenommen, verwundert betrachtet und in eine andere Ecke gelegt wurde, um neuerlich zu verstauben. Und gerade die Jugend ist es doch, der unsere größte Aufmerksamkeit gewidmet werden müßte, der wir all diese Werke zu Gehör bringen sollten. Daß das Burgtheater, dem traditionsgemäß die Klassikerpflege obliegt, mit ungeheuren Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, ist bekannt. Trotzdem wäre manches Werk, in bescheidenerem Rahmen vielleicht als wir es gewohnt sind, immerhin zu spielen gewesen. Auch das Deutsche Volkstheater hat seine vornehmste Aufgabe, Pflegestätte der Volksstücke zu sein, völlig vernachlässigt. Die einheitliche Linie wahrten eigentlich nur das Theater in der Josefstadt, die Insel und das Akademietheater, wobei der Direktion des ersteren die glücklichste Hand bei der Auswahl der zu spielenden Werke zugesprochen werden muß. Der Spielplan dieses Theaters war, den heutigen Verhältnissen entsprechend, der denkbar beste und wies die prozentuell glücklichste Aufteilung der eingangs erwähnten Gruppen auf. Es ergab sich ein geschlossener Eindruck, der von dem Gedanken, dem Rahmen des Theaters und der Tradition entsprechend Kammerspiele zu bringen, beherrscht und konsequent eingehalten wurde.

Eine alte Erfahrungstatsache sagt, daß die Ziele und Ideen eines neuen Direktors nach einer Spielzeit noch nicht zu erkennen sind. Der Sommer hat Zeit gebracht, in Ruhe einen Spielplan, so wie wir ihn von unseren eisten Theatern gewohnt sind und verlangen müssen, aufzubauen. Pressemeldungen zufolge scheinen wesentliche Änderungen geplant und einige Theater sich ihrer Tradition wieder bewußt geworden zu sein. Hoffen wir, daß diese Pläne auch in die Tat umgesezt werden und im Spieljahr 1946/47 das Problem der Spielplangestaltung wenigstens nicht mehr so stark bemerkbar sein wird, wie in diesem Winter.

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