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Echt österreichisch!

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Ich gehöre zu den nicht gar so zahlreichen Subjekten, die nahezu sämtliche Berufe, die es beim Theater gibt, bereits ausgeübt haben. Ich bin — um mit der, wie ich selbst zugeben muß, unwichtigsten Funktion des Theaters zu beginnen — Dramatiker, Verfasser einer richtiggehenden Tragödie, die vom Burgtheater angenommen ist; da hierüber ein sorgfältig ausgearbeiteter, genau stipulier-ter Vertrag mit Termin, Konventionalstrafe und allen möglichen Schikanen vorliegt, so wird sie allerdings wohl niemals zur Aufführung kommen.

Ich war jahrelang Schauspieler, und zwar nicht bloß an einer Reihe von Wiener Bühnen, sondern auch an einem wirklichen Theater, nämlich bei Max Reinhardt, und wenn ich alle die Rollen, die ich schon gespielt habe, zusammenzählen wollte — wozu ich aber durch keine Macht der Welt zu bringen bin —, so würde sicher weit mehr als ein Schock herauskommen.

Wie ich Regisseur war, das habe ich in den Kabaretts schon so oft erzählt, daß ich damit niemanden mehr behelligen will, ferner war ich Theaterkritiker und bin es sogar leider noch, ich war auf verschiedenen Sommertourneen Beleuchter und Vorhangzieher, ja ich war auch sogar schon Theaterpublikum, kurz, ich habe den Unfug gründlich und von allen Seiten mitgemacht; im Theater, fürs Theater, übers Theater, was man will.

Nur an einem einzigen Unfug habe ich mich noch nicht beteiligt, dem gröbsten: Theater direkter war ich noch nie. Ich hätte es ja — es bleibt hoffentlich unter uns — schon ein paarmal werden können: Man hat mich bei mehreren der letzten Direktionskrisen gefragt, wie denn ich mich zu der eventuellen Konstellation der möglicherweise ins Kalkül kommenden Frage einer Direktionsübernahme stellen würde; natürlich nur so ganz unter der Hand, denn direkt ins Gesicht wagt man ja einem unbescholtenen Menschen so etwas nicht zuzumuten.

Ich muß gestehen: ich habe anfangs ein wenig geschwankt, aber dann habe ich einen Zettel genommen und darauf sauber aufgeschrieben, was für und was gegen eine solche Position spricht; bekanntlich pflegte ja auch Kollege Schopenhauer sich eine solche Liste anzulegen, wenn er mit einem wichtigen Entschluß kämpfte. Und da befand sich auf der linken, der Proseite, eigentlich nur ein einziges, allerdings sehr gewichtiges Argument: Es werden eine Menge Menschen zerspringen.

Dem stand aber auf der Kontraseite eine endlose Serie von Einwänden gegenüber. Nehmen wir an, ich wäre vor zwei oder fünf Jahren oder irgendwann Leiter einer Wiener Bühne geworden — heute wäre ich es auf keinen Fall mehr, denn ich wäre sicher noch schneller hinausgeflogen als die übrigen Direktoren -, was wäre eingetreten?

Nun, zunächst einmal hätte ich mich mit der ganzen Welt verfeindet. Erstens mit sämtlichen Kritikern, weil ich ihre Theaterstücke abgelehnt hätte -denn Kritiker schreiben fast immer schlechte Theaterstücke -; zweitens mit allen übrigen Dramatikern, denn auch diese hätte ich ja nur zu einem kleinen Bruchteil spielen können, und die wenigen, die ich gespielt hätte, hätten behauptet, ich hätte sie in Grund und Boden gespielt; drittens mit sämtlichen Schauspielern: mit den bei mir engagierten, weil ich sie ungenügend beschäftigt hätte — und jeder Schauspieler findet sich ungenügend beschäftigt, weil man ihn doch beim besten Willen nicht an allen Abenden gleichzeitig alle Rollen spielen lassen kann —, mit den bei mir nicht engagierten, weil ich sie nicht sofort mit einer Riesengage für mein Unternehmen gewonnen hätte; und schließlich mit dem gesamten Rest der Wiener Bevölkerung, weil es ja in dieser schönen Stadt überhaupt keinen Menschen gibt, der nicht entweder ein Stück in der Lade hegen hat oder sich für einen heimlichen Kainz oder Gi-rardi hält.

Hätte ich sogenannte Dichter gespielt, so hätte es geheißen, ich mache müßige literarische Experimente, ich sei ein Snob, aber kein praktischer Theatermann; hätte ich Kassenstücke, also Mist gespielt, so hätte ich mich damit natürlich auch nicht in der Achtung der Menschen befestigt; hätte ich einige prominente Schauspieler engagiert, so hätte man geschrien, bei mir herrsche eine unkünstlerische Starwirtschaft; hätte ich versucht, ein Ensemble zu schaffen, so hätte man mir vorgehalten, ich sei ein Unterdrücker der machtvollen künstlerischen Individualität.

Kurz, die von mir seit Jahren mit dem größten Aufwand an Umsicht und Geschicklichkeit verheimlichte Tatsache, daß ich vollkommen unfähig bin, wäre binnen weniger Monate unwiderruflich ans Tageslicht gekommen; mein ganzes mühsames Lebenswerk wäre mit einem Schlage vernichtet gewesen, ganz abgesehen davon, daß noch allerhand andere diffamierende Details aus meinem Privatleben von meinen zahllosen Feinden aus dem Dunkel gezerrt worden wären, zum Beispiel, daß mein älterer Bruder Operetten schreibt, und dergleichen mehr.

So aber: Wie schön ist das Leben! Immer wird es einige edle, gütige Optimisten geben, die von Zeit zu Zeit sagen: „Warum dieser Friedell nie eine Theaterdirektion bekommt! Der hätte doch wahrhaftig das Zeug dazu, eine Art moderner Laube! Aber natürlich: Da ruft man alle möglichen ahnungslosen Idioten herbei, und nur an den, der es wirklich könnte, denkt niemand! Das ist echt österreichisch.“

Und das ist sogar ein Verhältnis, das sich von Jahr zu Jahr verbessert. Denn immer mehr Menschen blamieren sich als Theaterdirektoren, immer kleiner wird der Kreis derer, die es noch nicht waren, immer höher schwillt das Unrecht, daß man mich übergeht. Und diesen, wie jedermann zugeben wird, für mich durchaus angenehmen und schmeichelhaften Zustand wünsche ich bis zu meinem Tode zu erhalten...

Leicht gekürzt aus: „DAS FRIEDELL LESEBUCH ; Beck'sche Reihe. Verlag C. H. Beck, München 1988. 250 Seiten, öS 131,-.

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