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„Es muß auch Revolutionen geben“

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Am 5. Juni kommt im Wiener Akademietheater „Winzige Alice“ von Albee zur österreichischen Erstaufführung. Vom gleichen Autor waren schon „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ und „Alles im Garten“ bei uns zu sehen. In diesem, seinem letzten Stück zeigt sich Albee von einer ganz neuen Seite. Seine Figuren bleiben den ganzen Abend Erfindung des Autors, sie leben einzig durch die Tatsache, daß am Abend des Spiels Schauspieler sich ihrer bemächtigen. Sicher aber läßt das Stück eine Schockwirkung zurück. Wir sprachen mit Frau Düringer, der Trägerin der einzigen weiblichen Rolle, die nicht leicht zu gestalten ist, über ihre Arbeit.

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Am 5. Juni kommt im Wiener Akademietheater „Winzige Alice“ von Albee zur österreichischen Erstaufführung. Vom gleichen Autor waren schon „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ und „Alles im Garten“ bei uns zu sehen. In diesem, seinem letzten Stück zeigt sich Albee von einer ganz neuen Seite. Seine Figuren bleiben den ganzen Abend Erfindung des Autors, sie leben einzig durch die Tatsache, daß am Abend des Spiels Schauspieler sich ihrer bemächtigen. Sicher aber läßt das Stück eine Schockwirkung zurück. Wir sprachen mit Frau Düringer, der Trägerin der einzigen weiblichen Rolle, die nicht leicht zu gestalten ist, über ihre Arbeit.

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FRAGE: Was haben Sie, gnädige Frau, für eine Meinung von dem Stück, will es den Glauben schlechthin oder will es den gläubigen Menschen ad absurdum führen?

A. DÜRINGER: „Winzige Alice“ von Albee hat, wie New Yorker Zeitungen herausgefunden haben, achtzehn Interpretationsmögiichkeiten, vielleicht noch mehr. Das Stück kommt mir vor wie ein abstraktes Gemälde, nicht erklärbar, jedoch erzeugt es Spannungen, erfreut, entzückt oder bestürzt. Man kann es aber nicht zergliedern.

Ich glaube nicht, daß es gegen den Glauben geschrieben ist. Es zeigt nur, was geschieht, wenn ein Mensch wie Julian in die Maschinerie unserer heutigen Welt gerät: Es muß quietschen. Ein solcher Mensch muß ihr, sagen wir dem herrschenden Gangsterwesen oder einer mächtigen Institution, einfach gefährlich werden. Es ist ein großes Stück und wirklich dichterisch in seiner Aussage.

FRAGE: Wie fassen Sie Ihre Rolle auf? Es scheint, als ob Sie nie Ihrem Gefühl und Ihrem Willen nachgeben können, die Gestalt ist sehr zwielichtig.

A. DÜRINGER: Alice ist das Instrument einer Macht, ein Element der Versuchung, das benützt wird, den Konflikt auszulösen. Sie ist ein armes Geschöpf, eine Dame, dann ein Kind oder eine Dirne … Sie spielt ebenso mit dialektischen Ausdrücken wie mit dem trivialsten Dingen. Sie ist unglaublich wechselhaft und verhält sich jeweils konträr zur vergangenen Situation.

FRAGE: Wie ist Ihre Arbeit mit Regisseur Wicki?

A. DÜRINGER: Wir arbeiten ausgezeichnet miteinander. In diesem Stück muß der Regisseur Dialoge schaffen. Es wird nicht auf eine Pointe hingearbeitet, sondern Satz um Satz muß so gesetzt werden, daß stets auch etwas Drittes und Viertes gemeint ist. Das verlangt eine minutiöse Regiearbeit, die einem Puzzlespiel vergleichbar ist. Wir mußten vorher viel darüber diskutieren, es ist eine schwere geistige Arbeit, jeder entdeckt etwas dabei. Das Stück gewinnt nur dann Sinn, wenn man sich damit auseinandersetzt.

FRAGE: Spielen Sie lieber Boulevardtheater mit einer Bombenrolle, wo Sie richtig brillieren können, oder ziehen Sie ernste Stücke vor?

A. DÜRINGER: Ich spiele alle Rollen gern, wenn das Stück gut ist. Ich lehne aber Starrollen wie in Stük- ken etwa „Gugusse oder die Orangen sind reif“ ab. Ich hasse schlechte Stücke, sie sind für mich eine physische Qual, etwa so, wie wenn David Oistrach auf einer verstimmten Geige spielen müßte. Allein, die Annahme einer Rolle ist für mich brotwichtig.

FRAGE: Was halten Sie von „offener Dramaturgie“ am Burgtheater?

A. DÜRINGER: Offene Dramaturgie heißt, die Schauspieler an der Spielplangestaltung zu interessieren. In Praxis würde das heißen, daß ein Schauspieler einen „Gugusse“ verhindern kann. Die Darsteller müssen sich einen solchen Qualitätsbegriff aneignen, so daß der Direktor nicht mehr wagt, ein minderwertiges Stück anzusetzen. Auch muß eine Atmosphäre geschaffen werden, in der der Schauspieler nicht angefeindet wird, wenn er mit einem Regisseur nicht einverstanden ist, und nicht mit einem Regisseur arbeiten muß, der der Sache nicht gewachsen ist. Es heißt, dem Schauspieler die Möglichkeit zu geben, seine Zweifel zu äußern. Da der neue Direktor, Herr Klingenberg, selbst am Reformplan mitgearbeitet hat, erhoffen wir von ihm, daß dieser Weg auch tatsächlich beschritten wird.

FRAGE: Was halten Sie von der Reform des Burgtheaters?

A. DÜRINGER: Das Burgtheater ist eine absolut konservative, ja ich möchte sagen monarchistische Institution, mit all ihren Privilegien und Hierarchien. Damit aber Theater lebendig bleibt, muß es sich immerzu erneuern. Es müssen stets neue Ideen kommen, es muß Junges das Alte ab- lösen, es muß ununterbrochen durchblutet werden, es muß auch Revolutionen geben. Das heißt nicht, daß es eine festgefahrene marxistische Ideologie verkünden muß, wie es die Ultras, die APO, Antikapitalisten, Kommunisten oder Maoisten glauben. Diese Namen sind letztlich Begriffe, die Leute gebrauchen, die etwas vertuschen wollen oder die ein Schlagwort verwenden, nur um einen frischen Wind vorzutäuschen. Diese Leute wollen dem natürlichen Wachstum ein Etikett ankleben, das dem notwendigen Prozeß einen falschen Anstrich gibt. Wenn nun in dieses Burgtheater neues Gedankengut getragen wird, kann nur ein Idiot behaupten, daß das etwas mit „Links“ zu tun hätte!

FRAGE: Was halten Sie von einem Schauspielerkollektiv?

A. DÜRINGER: Es gibt verschiedene Schauspielerkollektive. Strehler etwa hält es mit seinem Ensemble genauso wie früher im Piccolo Teatro in Mailand. Man beschäftigt sich monatelang mit einem Stück, es wird viel diskutiert, doch bei der direkten Probenarbeit hat der Regis seur allein das Wort. Je stärker und sicherer er ist, um so leichter unterwirft man sich seinen Anweisungen.

Dann gibt es das Theaterkollektiv in Halle. Diese Leute sind Anhänger einer Ideologie. Sie haben gute Inszenierungen und solche Interpretationen, die großen Widerspruch her- vorrufen. Auch bei ihnen gibt es letztlich einen Mann, der die Sache führt.

Dann gibt es in Deutschland noch einige Theaterkollektive — über sie wird viel geschrieben —, doch ihre Aufführungen sind einfach zum Abgewöhnen! Es wird bei den Proben viel geredet, allein es ist keine Hand da, die eine Idee durchzieht. So ein Abend wird dann fad und langweilig und das Publikum bleibt aus.

Ich wehre mich, das anzunehmen, was drei oder vier Leute ex cathedra als Modell erklären. Theater ist Leben, es ändert sich ununterbrochen. Man kann da keine Dogmen aufstellen. Wenn man all die neuen Ideen verfolgt, und das Glück hat, auch einiges zu sehen, wundert man sich über die Verdikte, die abgegeben werden, um nur ja modern zu erscheinen! Die meisten Rezensenten haben eine panische Angst davor, selbst nicht mehr mitzukommen, und erklären darum vieles für exzellent, was ein normaler Zuschauer ausgesprochen miserabel finden muß. Es werden Interpretationen und philosophische Auslegungen abgegeben, die absolut nicht mehr davon handeln, was gesehen wurde, sondern was den Kritiker beleuchtet. Er will auch meist gar nicht mehr das Publikum animieren, ja die Ultras wollen es sogar mit Absicht verscheuchen! Doch wo Schauspieler, Kritiker und Publikum keine Einheit mehr bilden, geht das Theater zugrunde.

Der Pole Jirschi Gretkowski hatte wohl jahrelang ohne Publikum experimentiert, er hatte ein sogenanntes Theaterlaboratorium, doch schließlich stellte auch er sein Ergebnis dem Publikum vor. Er konnte so lange auf Zuschauer verzichten, da er vom Staat subventioniert wurde. Ich persönlich bin dafür, daß Experimente auf eigenes Risiko und nicht von Subventionen getragen werden. Es gehört Idealismus und Glauben dazu, damit etwas von Wert herauskommt. In New York habe ich solche Gruppen gesehen. In Wien ist man in dieser Hinsicht zu verwöhnt!

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