"Diese alten wollen noch Weiber etwas tun!"

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Die Soziologin Elisabeth Hellmich und die Schauspielerin Annemarie Düringer diskutieren über alte Frauen, das eigene Altwerden und die Einsamkeit.

Die Furche: Frau Hellmich, Sie sprechen in Ihrem Buch "Forever Young" von der Unsichtbarkeit alter Frauen in der Gesellschaft.

Elisabeth Hellmich: Es fängt bei der Sprache an. Wenn Menschen - das gilt nicht nur für alte Frauen - in der Sprache nicht vorkommen, dann kommen sie auch im Bewusstsein nicht vor, das ist eine Wechselwirkung. Alter ist ein Tabu. Man sagt "älter", "Senioren und Seniorinnen" oder "50plus". Es kommen ja auch Frauen an sich sprachlich nicht vor, wenn man keine geschlechtergerechte Sprache verwendet. Bei alten Frauen kommt dann beides zusammen. Es geht darüberhinaus auch um die mediale Darstellung. Da kommen alte Frauen relativ selten vor, überhaupt alte Menschen; und wenn, dann sehr klischeehaft. Es gibt immer die gleichen Typen: die Oma, die Komische, die Fitgebliebene. Diese Darstellungen verfälschen die Realität und Vielfalt der Frauen im Alter. Dann würden wir noch alte Frauen brauchen, die in wichtigen Stellungen sind und die auch darüber reden, wie das ist, alt zu sein.

Die Furche: Der Film "Die Herbstzeitlosen", in dem Sie, Frau Düringer, mitwirken, spielt ja mit diesen Klischees, die angesprochen wurden, und zugleich bricht er sie auch, weil diese alten Damen zeigen, dass sie noch etwas draufhaben.

Annemarie Düringer: Das ist der tiefere Sinn des Filmes gewesen: Diese alten Weiber wollen noch etwas tun! Das hat viele Menschen angesprochen und gefreut. Wir dürfen aber nicht vergessen: Jung muss diese Welt sein! Weil die Jungen kaufen, wir kaufen ja nicht mehr. Ich habe mich davon zurückgezogen, es wird ja nicht mehr altersgerecht verkauft. Es gibt zahlloses Cremes für alternde Haut. Und an wem werden sie gezeigt? Auf jungen Gesichtern. So ist das auch mit der Kleidung. Diese Fetzenladen, ich sage wirklich Fetzen, diese Kleidung ist ja nicht tragbar, zumindest für mich.

Die Furche: Was hatten Sie für ein Bild vom Alter, als Sie jung waren?

Düringer: Gar keines. Man denkt nicht ans Alter, wenn man jung ist. Man ist doch nie alt, man ist dabei! Altsein empfinde ich erst, seit mir in der Früh immer etwas weh tut. Wenn mir nichts mehr weh tut, dann bin ich tot.

Die Furche: Teilen Sie die Sicht, dass alte Frauen in der Gesellschaft unsichtbar sind?

Düringer: Schauspieler führen ein anderes Leben, es ist vieles gar nicht wahrnehmbar, weil man sich damit nicht beschäftigen muss.

Hellmich: Unter den alten Frauen ist die Armut ungeheuer groß, das ist ein Faktor, der unsichtbar macht.

Düringer: Es kostet halt alles etwas, und es gibt keiner etwas her. Jeden Tag hört man in den Nachrichten, dass sich Firmen "gemergert" haben und zahlreiche Arbeiter "freigestellt" werden, es wird nicht gesagt, sie seien "arbeitslos" geworden. Die Herrn da oben haben nicht einmal den Mut zu sagen, welche Sauerei sie machen. Ein Mensch, der entlassen wird, hat eigentlich nur bis 40 eine Chance, wieder engagiert zu werden. Aber er muss eine spezielle Ausbildung haben. Der ganz Gewöhnliche gilt als Schrott.

Die Furche: Ist das bei Schauspielern auch so?

Düringer: Nein, eben nicht. Sie müssen ja auch einmal eine alte Frau spielen. Aber in der dramatischen Literatur gibt es ganz wenige Frauengestalten über 50. Diese wurden nicht geschrieben, damals wurde man nicht so alt.

Hellmich: In einer Untersuchung über Literatur von der Antike bis ins 20. Jahrhundert wurde festgestellt, dass es sehr wohl Romane gibt, in denen alte Männer im Mittelpunkt stehen, aber keine, in denen eine alte Frau die zentrale Hauptfigur ist.

Düringer: Das stimmt. Die Jugend regiert. Das ist ein Phänomen unserer Zeit.

Hellmich: Das Alter war auch früher nicht gut angesehen. Es hat immer Generationskonflikte um oft sehr wenige Ressourcen gegeben. Man muss sich nur überlegen, dass im 18. bzw. 19. Jahrhundert 80 Prozent der Menschen in Mitteleuropa arm waren. Das macht deutlich, wie schwer es auch zwischen den Generationen gewesen sein muss, da ist es ja ums Überleben gegangen. Es gab immer die Diskussion: Wer sind gute Alte, wer schlechte? Welche sind brauchbar, welche sind angepasst; und welche nicht.

Die Furche: Sie sind ja beide nicht wirklich in Pension; als Schauspielerin kann man eigentlich gar nicht in Pension gehen …

Düringer: Als Doyenne des Wiener Burgtheaters bin ich vom Pensioniertsein befreit. Das gilt bis zur Grabstätte.

Die Furche: Ist das Alter eigentlich als das Ausscheiden aus der Arbeitswelt definiert?

Düringer: Die Frage ist, ob Sie gesund sind oder nicht. Wenn Sie gesund sind, auch wenn Sie 70 oder 80 sind, da haben Sie das Bedürfnis, etwas zu tun, etwas zu schreiben, etwas zu sein und Einfluss zu haben. Im Moment, wo Sie aus irgendeinem Grund behindert sind und leiden, dann vergeht einem die Lust, dann ist man froh, wenn man noch etwas kann und die sozialen Verhältnisse so sind, dass es einem nicht miserabel geht. Das ist eine große Aufgabe für ein Land, dem es gut geht.

Hellmich: Für mich war die Situation schon wesentlich anders. Ich wollte studieren und konnte es nicht. Widerwillig bin ich Sekretärin geworden, und war nach vielen Jahren Familienarbeit wieder Sekretärin. Ich habe danach gelechzt, nicht mehr Sekretärin zu sein. Ich hatte niemals eine Identität über einen gerne ausgeübten Beruf. Dass ich dann im Alter studiert habe, das war ein Nachholen, aber es war nie mehr ein Beruf, das war zu spät. Gleichzeitig bin ich jetzt in eine Krise gekommen. Denn aufgrund des Erfolgs meines Buches erhielt ich zahlreiche Anfragen, ob ich irgendwo mitmachen wollte. Ich war mit meinem Alter immer sehr versöhnt, und jetzt denke ich, warum bin ich nicht um zehn Jahre jünger. Ich könnte noch so viel machen, aber ich habe zu wenig Kraft.

Düringer: Sie sind ja nicht krank, aber Sie haben nicht mehr diese Energie.

Die Furche: Wie erhält man sich die Energie?

Düringer: Wenn man durch eine Anfrage, wollen Sie da mitmachen, gefordert wird.

Hellmich: Wenn man noch ein Ziel hat, das gibt Energie. Aber es ist trotzdem so, dass dann der Körper nicht mehr mitmacht.

Düringer: Das ist es ja. Ich wüsste so viel zu tun, aber der Körper sagt: Gib eine Ruhe!

Die Furche: Wollten Sie den Film gerne machen?

Düringer: Ja! Ich war ganz glücklich, dass jemand auf mich gekommen ist, noch dazu ein Schweizer Film. Wir haben den Erfolg nicht erwartet. Ich habe vor einem Jahr in Locarno den Film das erste Mal gesehen. Ich hatte Angst und dachte mir: Mein Gott, was haben wir da wieder gemacht. Aber es war so eine vergnügte Stimmung, und das hat wieder Mut gemacht. Ich fand ihn eigentlich einen sehr harmlosen, netten Film. Dann habe ich gehört, dass er in der Schweiz so gut gelaufen ist. Das haben wir nicht erwartet. Dieser Aspekt mit der Energie, den Sie angesprochen haben, der ist eine Aussage des Films. Da sind vier Mädels oder Weiber, die sagen sich, wir machen noch was. Die Dame, die ich spiele, trägt ja noch Hut. Ihr Mann war Bankdirektor. Seit er tot ist, muss sie in einem Seniorenheim leben. Das ist sehr fad. Durch Langeweile kann man animiert werden, noch etwas zu tun. Aber es gibt viele, die noch Geld verdienen müssen.

Hellmich: Die noch gar nicht ihre Pensionsjahre zusammen haben und auch nicht damit rechnen können, dass die Pension existenzsichernd sein wird. Andererseits ist es schon ein Problem, wenn jetzt plötzlich die Rede vom aktiven Altern ist. Am schrecklichsten finde ich die Formulierung "erfolgreich Altern". Das erzeugt einen ganz starken Druck auf Menschen, die das nicht können oder auch einmal ihre Ruhe haben wollen.

Die Furche: Sehen Sie sich als Vorbilder für jüngere Frauen?

Hellmich: Ich glaube, dass mich meine Töchter insofern als Vorbild sehen, als dass ich nach dem Tod meines Mannes - da war ich 50 Jahre alt - mein Leben völlig neu organisiert und noch einmal neu begonnen habe. Davor habe ich ein ganz traditionelles Frauenleben geführt. Das andere ist die Schwierigkeit, auch darauf zu bestehen, dass ich alt bin. Ich möchte auch sagen können: Ich bin eine alte Frau, und nicht immer beschwichtigt werden. Ich will auch alt sein dürfen. Ich habe in meinem Buch den Ageismus, die Altersfeindlichkeit, betont. Das ist parallel zum Sexismus zu sehen. Auch ich musste mich damit auseinandersetzen, dass ich eigentlich altersfeindlich bin. Denn Altern ist nicht so was Tolles. Ich muss mich fragen: Habe ich denn alte Menschen geschätzt?

Düringer: Je länger ich Ihnen zuhöre, umso mehr merke ich, dass ich ein ganz anderes Lebensbild habe. Wir sind so verschieden. Sie haben den Willen, darüber nachzudenken …

Hellmich: Ich kannte zwei Frauen, die sind in das Alter und in die Alzheimer-Krankheit hineingeschlittert, ohne sich davor wirklich damit auseinandergesetzt zu haben. Und da habe ich mir gedacht: Das will ich nicht.

Düringer: Sie haben sich mit dem Alter auseinandergesetzt. Was heißt das?

Hellmich: Ich wollte mich mit dem Altern, mit Krankheit und dem Tod auseinandersetzen. Der erste Versuch ist völlig schief gegangen. Ich bin mit der Leiterin eines Seniorenvereins ins Gespräch gekommen und habe ihr gesagt, warum ich über das Altern reden müsste. Sie hat gesagt: Über das können Sie bei uns nicht reden.

Düringer: Ich hatte immer das Bedürfnis, nicht alt zu werden. Das ärgert mich, dass ich nicht den Mut hatte, irgendwohin alleine zu gehen, immer musste ich so ein Mannsbild neben mir haben. Ging es Ihnen nicht auch so?

Hellmich: Ich habe da eigentlich resigniert. Woher soll ich noch ein passables Mannsbild hernehmen? Aber ich habe viele Freundinnen.

Düringer: Wenn man solche nicht hat, wird man einsam.

Hellmich: Ich mache einen großen Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit. Ich bin gerne allein, sonst hätte ich auch keine Dissertation schreiben können. Aber speziell am Abend, denke ich mir oft, wenn jetzt noch jemand da wäre …

Düringer: Ich brauche das Alleinsein auch. Aber in letzter Zeit sterben furchtbar viele Menschen, die ich kenne. Die Leute, die jetzt heranwachsen, leben in einer anderen Welt. Ich habe kein sehr großes Interesse an ihnen.

Das Gespräch moderierten Regine Bogensberger und

Matthias Greuling.

Forever Young

Die Unsichtbarkeit alter Frauen in der Gegenwartsgesellschaft.

Von Elisabeth Hellmich. Milena Verlag, Wien 2007,165 Seiten, kt., € 17,90

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