Altern zwischen den Klischees

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Sie werden als pflegebedürftig und dahinsiechend oder als jung geblieben und agil gezeichnet. Wie gehen alte Menschen mit diesen Bildern um, und wie wollen sie gesehen werden?

Ein verregneter November-Nachmittag in einem Wiener Café-Haus: Ein Paar trinkt Kaffee und liest die Zeitung. Wolfgang Micko, 71, und seine Frau Almuth, 72, müssen nicht lange nachdenken: Nein, weder Bilder von ewig jungen Alten noch jene vom angeblichen Pflegenotstand würden sie unter Druck setzen oder irritieren. Es würde ihn nur stören, wenn Sachverhalte absichtlich schlimmer dargestellt würden, meint der Oberst in Ruhe. Werbung übertreibe freilich, fügt seine Frau zurückhaltend hinzu. Aber im Grunde seien eben Pflegebedürftige und „Junggebliebene“ Teil der Realität. Ihr Leben beeinflussten beide Bilder nicht.

Wenig weiter in einem Friseursalon weist Frau K., 69, die Frage nach den Klischees und deren möglichen Einfluss lachend zurück. Gewiss, sie lasse sich die Haare nach dem Vorbild der Christiane Hörbiger richten, die wirke immer so jung. Jünger ausschauen wolle sie schon, aber nur nicht übertreiben.

Anderenorts: Frau B. will sich ebenso von Medien- und Werbebildern nicht beeinflussen lassen. „Alles Humbug“, sagt die Salzburgerin. „Ich möchte so sein, wie ich bin. Einigermaßen gesund, damit ich in meinem Garten arbeiten kann. Ich bin 68 Jahre, aus, basta“, meint sie, obwohl sie erst in einigen Monaten 68 Jahre alt wird. Die Heimlichtuerei bezüglich des Alters störe sie. „Man muss immer das sein, was man ist. Alles andere ist Blödsinn.“

Eine kleine Blitzumfrage gibt der These recht, die der Psychotherapeut und Rektor der Sigmund Freud Privatuniversität, Alfred Pritz, vertritt: Er meint, dass sich alte Menschen immer weniger durch Klischees unter Druck setzen lassen, ein Thema seien diese dennoch. „Die Betroffenen wehren sich zunehmend. Insgesamt würde ich sagen, dass es eine Emanzipation der Alten gibt.“ Als Beispiel nennt Pritz das früher völlig tabuisierte Thema Alter und Sexualität.

„Emanzipation der Alten“

Die Alten – sie sind längst viel beschrieben. Entweder über angebliche Defizite wie pflegebedürftig, auf Hilfe angewiesen, abbauend. Dem gegenübergestellt ist das von der Werbung lieb gewonnene Bild der jung gebliebenen, kaufkräftigen Alten. Und auch diese Polarisierung rückt Gegner und Rebellinnen auf den Plan, die ein „bunteres“ Bild ohne Klischees einfordern oder überhaupt die späteren Jahre als „neues Lebensgefühl“ beschreiben wollen. So geschehen von der Autorin Lo von Gienanth in ihrem Buch „Was heißt hier alt?“ Die Unterzeile verrät ihr Motto: „Anstiftung zum Eigensinn“ (Droemer Verlag, 2008). Oder von Werner Bartl in seinem Buch „Jetzt erst recht! Das neue Lebensgefühl ab 50“ (Molden, 2009). Bartl schreibt: „Während also die Werbestrategen noch immer nachdenken, in welche Schublade sie uns stecken könnten, ist unsere Revolution schon längst im Gange.“ Sein Credo: „Wir sind auch ab 50 noch frisch und frech.“ Laut Experten bedienen diese Bücher nur ein beschränktes, wenn auch wachsendes Segment: jenes der gebildeteren, gesünderen, wohlhabenderen und aktiveren Alten oder Älterwerdenden.

Das Meinungsforschungsinstitut Fessel-GFK hat 2003 auf Basis einer Befragung eine Seniorentypologie erstellt und Seniorinnen und Senioren in grob vier Typen eingeteilt: 16 Prozent gelten als die „Flotten“: Ihr Motto: Ich bin nicht alt, ich bin voll dabei. 27 Prozent werden als „Neugierige“ bezeichnet: Ihre Parole: Ich gönne mir noch etwas. 30 Prozent bekommen das Label „die Zufriedenen“. Ihr Leitspruch: Ich genieße mein Alter im Kreise meiner Lieben. 27 Prozent werden als „Zurückgezogene“ eingestuft. Diese Gruppe muss sich eingestehen: Ich habe resigniert. So die Typologie im Buch „Die Freiheit hat kein Alter“ des Österreichischen Seniorenbundes (ÖVP), das 2006 im Molden-Verlag erschienen ist.

Doch das Bild der Alten ist freilich noch vielschichtiger. Nicht so in der Wahrnehmung. Alte Frauen blieben immer noch unsichtbar, so die These der Soziologin Elisabeth Hellmich in ihrem Buch „Forever Young? Die Unsichtbarkeit alter Frauen in der Gegenwartsgesellschaft“ (Milena Verlag 2007). Seit der Veröffentlichung ihres viel beachteten Buches sei zwar das Thema „alte Frauen – ihre Sichtbarkeit und Darstellung in der Öffentlichkeit“ vermehrt diskutiert worden, verändert habe sich aber nicht wirklich etwas, betont Hellmich. Sie meint, dass sich die Bilder alter Menschen immer noch entlang zweier Pole gestalten: die gebrechlichen und die dynamischen. Hellmich erläutert, dass das Problembewusstsein alter Menschen in Bezug auf diese Bilder und Klischees gering sei, weil sie diese gewöhnt seien. Das Alter selbst sei immer noch ein Tabu.

„Das Alter – immer noch ein Tabu“

Die fast 80-jährige Soziologin, die nach der Pensionierung zu studieren begann und promovierte, kann sich auch mit der vielfach gelobten Werbelinie einer Kosmetik-Firma nicht anfreunden, die angibt, die „wahre Schönheit“ zu zeigen, also „normalere“ Frauen, auch ältere Frauen. Hellmich studierte etwa das Bild einer älteren schlanken Frau, die nackt abgebildet wurde. Sie fühlte zunächst nur Unbehagen, konnte es aber nicht verbalisieren, bis ihre Kollegin sagte: „Das ist der ins Alter verlängerte männliche besitzergreifende sexualisierte Blick“, der da angeregt werde. Wie dann alte Frauen in der Werbung für Schönheitsartikel darstellen? Hellmich wehrt sich gegen die Frage: „Es muss sich aufhören, dass Frauen immer auf Schönheit festgelegt werden. Insofern ist der Ansatz falsch, zu fragen, wie soll man Schönheit im Alter darstellen.“

Elisabeth Hellmich plädiert für einen Paradigmenwechsel: Das Alter soll so dargestellt werden, wie es ist, und dies würdevoll. Sie ermutigt daher andere Frauen zu dem Ausspruch: „Ich bin eine alte Frau.“ Das falle vielen schwer aufgrund der frauenspezifischen Biografien, geprägt vom Dasein für andere, der Ansprüche und Klischees. Dieses Umdenken könne man niemanden verordnen, sagt sie: „Ich bin vorsichtig, wenn ich Frauen darauf anspreche, die ihr ganzes Leben eine typische Frauenbiografie gelebt haben, diese ziehen sich schnell zurück, weil sie sonst so viel in Frage stellen müssten.“

Die Tendenz zu mehr Selbstbewusstsein betrifft zwar immer mehr, aber viele alte Menschen leben in einer anderen Realität: „Psychische Probleme bei alten Menschen sind schon erheblich“, betont Alfred Pritz. Depressionen seien stark verbreitet, viele alte Menschen würden einsam sein. Und das Bedenklichere: Alte Menschen würden in dieser Hinsicht oft zu wenig ernstgenommen. Zu oft herrsche die Meinung vor, die würden eh nur jammern oder das würde eh nichts mehr bringen. „Tatsächlich weiß man aber aus der Forschung, dass ältere Menschen genauso von einer Psychotherapie profitieren wie Jüngere,“ betont Pritz.

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