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OHRFEIGEN GEBEN MÜSSEN"

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□ das Fehlen einer positiv erfahrbaren Vaterfigur

□ eine extrem patriarchale Familienstruktur

Im ersten Fall sind die Väter entweder nicht beziehungsweise kaum präsent oder sie sind gewalttätig. Dadurch ist die Entwicklung der männlichen Identität einerseits extrem von außerfamiliären Rollenbildern und -ansprüchen abhängig und - in Ermangelung anderer Bezugspersonen - dementsprechend stereotyp geprägt. Andererseits wird am Modell gelernt: Gewalt gehört zum Mann-sein - und andere Modelle gibt es nicht.

Idealisierung des Vaters, Identifikation und positive Einschätzung der Person des Vaters in seiner Männlichkeit, alles notwendige Faktoren zur Übernahme der männlichen Geschlechtsrolle, kommen im ersten Fall nicht oder ungenügend zum Tragen, im zweiten Fall führen sie direkt zu gewalthaftem Verhalten.

Die emotionale Bindung ist vor allem beim gewalttätigen, angsterzeugenden Vater auf die Mutter konzentriert, die Ablösung in diesen Konstellationen verläuft oft schwierig, ein möglicher Ursprung von Haß und Aggression auf Frauen.

Aber nicht nur die reale Ablösungsproblematik verfolgt den Buben in die Pubertät, auch Reaktionen der Umgebung, die Mutter und Sohn unter Druck setzen („Mamabua", „aus dem wird nie ein rechter Mann",...), und die allgemeinen sexistischen Bewertungen stürzen den Jugendlichen unter Umständen in ein Dilemma, aus dem er sich durch Anschluß an „besonders männliche" Peers zu befreien hofft. Extreme Rollenstereotype „festigen" seine - vielleicht nur subjektiv so wacklige-männliche Identität, weibliche Anteile müssen abgespalten und bekämpft werden. Aggression und Haß können so die Grundlage zu einer intimen Beziehung mit einer Frau bilden, oft auch gepaart mit kindlichen Beziehungswünschen.

Ganz anders die extrem patriarcha-len Familienstrukturen, der Vater ist, wenn auch nicht unbedingt emotional, so doch in seiner Autorität sehr präsent. Die „Gewalt" des Familienoberhauptes, starre Ordnung und Funktionalität der Beziehungen prägen die kindliche Erfahrung. Emotionen und Individualität haben wenig Platz in diesem System, die Abhängigkeit besteht in der unkritischen Übernahme der Werte und Normen, ohne die die Identität ins Wanken gerät.

Die streng geschlechtsspezifische Rollen- und Funktionsteilung führt zu einem Bruch in der Entwicklung des Buben, der zuerst der Zuständigkeit der Mutter untersteht und dann abrupt die Funktionen und Werte der männlichen Welt übernehmen muß. Margarete Mitscherlich beschreibt die Problematik der gewaltsamen Entidenti-fizierung von der Mutter, die in dieser Familienstruktur zusätzlich zu extremer Abspaltung von Gefühlen und Abwertung von „weiblichen" Eigenschaften führen dürfte („Die friedfertige Frau", Frankfurt/Main 1985).

Gewalt wird allgemein gerechtfertigt oder nicht als solche bezeichnet, die absolute Autorität des Familienoberhauptes birgt latente Gewalt. Eine Frau wird ausgewählt für die ihr zugedachten Funktionen; erfüllt sie diese nicht in erwarteter Art und Weise, so wird die latente Gewalt manifest.

Geschlechtsspezifische Sozialisation als Einfluß der gesellschaftlich vorgegebenen Werte und Rollenbilder wirkt unbemerkt und unreflektiert bei Männern wie bei Frauen. Alle Befragten entstammen Familien mit traditioneller Aufgaben- und Funktionsteilung, die nie in Frage gestellt wurde.

Das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern aufrecht zu erhalten wird für die männlichen Täter zur Essenz ihres „gesellschaftlichen Auftrages" als Mann. Die eigene Identität bleibt eng mit dem rigiden System verknüpft, beide genannten Familienstrukturen bieten - ebenso wie ihr soziales Umfeld - keine Möglichkeit zur Entwicklung einer Geschlechtsidentität, die sich von frühkindlichen Rollenstereotypen lösen kann.

Die Frau als Versorgungsinstanz sowohl oraler als auch emotionaler Bedürfnisse wird einerseits nie in Frage gestellt, andererseits gibt ihr diese Position ungebührend viel Macht - und schafft für den Mann unerquicklich viel Abhängigkeit. Das Dilemma des heranwachsenden Buben, daß die Macht „Mutter", von der er als Kind abhängig ist, gesellschaftlich gesehen keine Macht sein darf und somit die eigene männliche Position schwächt, zieht sich offenbar durch das Leben dieser Männer. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen paßt nicht in ihr starres Konstrukt einer Paarbeziehung.

Dementsprechend sind Paarbeziehungen, in denen Männer Gewalt anwenden, vorwiegend vom Mann und seinen Vorstellungen geprägt. Zwei Beziehungsverläufe, die auffallend oft in unserer Stichprobe zum Tragen kommen, erhöhen offenbar die Wahrscheinlichkeit männlicher Gewalt. In beiden wird die Frau nicht als Subjekt gesehen, sondern nur als Ergänzung des Mannes und seiner Wünsche.

□ Funktion „Frau"

Die Lebensvorstellungen dieser Männer sind sehr konkret, sie sind geprägt von in der Kindheit vorherrschenden „extrem patriarchalen Familienstrukturen", die bruchlos übernommen werden. Die jeweilige Partnerin muß in den Lebensplan des Mannes passen, sie wird hauptsächlich in ihrer Funktionalität gesehen.

Herr S. antwortet auf die Frage, ob er zu Beginn der Beziehung Vorstellungen gehabt hätte: „Ja, Vorstellungen hab ich schon gehabt, ich wollt mir was schaffen."!

Herr B. ist noch präziser: „/ hab halt die Vorstellung ghabt, wenn eine Frau korpulent ist, kann sie besser arbeiten. " (im landwirtschaftlichen Betrieb, Anm. d. A.)

Zu Beginn der Beziehung teilt der Mann der Frau seinen Lebensplan mit, mit dem sie sich einverstanden erklärt. Wird nicht darüber gesprochen, setzt er ihr Einverständnis voraus. Gefühle spielen keine sehr große Rolle. Immer wird geheiratet, teilweise wegen einer ungeplanten Schwangerschaft. Die Arbeitsteilung ist extrem geschlechtsspezifisch, an einmal getroffenen Abmachungen wird vom Mann rigide festgehalten. Sozialkontakte des Mannes haben oberflächlichen und „männerbündle-rischen" Charakter.

Typischerweise überwiegen Konflikte im Rahmen „gemeinsamer Lebensgestaltung" und „Alltagskon-flikte", Konfliktlösung kann nicht existieren, da für den Mann klar ist, daß er die Regeln der Beziehung bestimmt. Der Mann greift zu Gewalt, wenn Funktionen und Rollen nicht in der von ihm definierten Weise erfüllt werden. Wenn die Frau ihre Funktionen nicht erfüllt, kommt es zur Mißhandlung im Kontext von „Alltagskonflikten", erfüllt er seine Rolle nicht, kommt es zur Mißhandlung als „Kompensation eigener Schwäche".

Die eigene Gewalthandlung wird nicht in Frage gestellt, Gewalt wird mit dem Fehlverhalten der Frau gerechtfertigt. Bei Trennungsabsichten der Frau eskalieren die Gewalthandlungen schnell. Motive sind weniger der Verlust der Frau als der befürchtete Verlust von Besitz und gewohnter Ordnung im Zuge einer Scheidung.

Herr J. ist schon 30, hat einen guten Beruf, als er sich überlegt, daß erheiraten und eine Familie gründen sollte. Einige Wochen nach diesem Entschluß lernt er seine zukünftige Frau kennen. Sie entspricht seinen Vorstellungen, er fordert sie zum Tanzen auf, drei Monate später heiraten sie. Sein Leben ist bis ins kleinste Detail geplant (etwa: drei Söhne, für die er ein bestimmtes Ausmaß an Besitz anschaffen will). Konflikte und Gewalt treten auf, als seine Frau nach zwei Kindern kein drittes mehr bekommen möchte, den Haushalt nicht so führt, wie er es sich vorstellt und vermehrt eigene Vorstellungen entwickelt. Herr J. bringt seine Frau im Zuge der nachfolgenden Scheidung um.

□ Symbiose Die Lebensvorstellungen sind geprägt vom Ideal der „allumfassenden, alles verändernden Liebe" und der Ergänzung der eigenen persönlichen Mängel durch eine Frau.

Herr Z. ist zwar heute noch der Meinung, daß sich Mann und Frau grundsätzlich ergänzen sollen, doch wurden gerade die Eigenschaften, die ihn an seiner Frau angezogen haben (lebenslustig, kontaktfreudig, aktiv), zum Hauptkonfliktpunkt in der Beziehung. Er sieht sich als „ruhigen, häuslichen Typ " und deshalb „ hat sie zu Hause zu sein, wenn ich heimkomme", ist einer seiner Standpunkte.

Die Suche nach einer Frau, die „in guten und schlechten Tagen" zum Mann steht, ist oberstes Lebensziel. Sie wird hauptsächlich als Objekt narzißtischer Besetzung gesehen. Wir finden Wünsche nach Selbstergänzung und kindliche Wünsche nach Symbiose. Der Selbstwert der Männer wird aus der ständigen Reflexion, Zuneigung und Bewunderung einer Frau - in der Kindheit der Mutter, im Erwachsenenleben der Partnerin - bezogen. Tiefere Sozialkontakte, besonders zu Männern, sind nicht vorhanden.

Der Beginn der Beziehung ist von starken euphorischen Gefühlen gekennzeichnet, kaum besteht die Beziehung, ist die Angst vor dem Verlassenwerden ständig präsent. Mißhandlungen geschehen typischerweise im Kontext „Eifersucht" mit eskalierendem und gefährlichem Verlauf bei realer Trennungsabsicht der Frau. Gewalt hat die Funktion des Festhaltens der Frau und der Kontrolle des Ausmaßes der Intimität innerhalb der Beziehung, Herr M. sehnte sich immer nach einer Frau, „die mich wirklich gern hat, die was zu mir haltet". Seine spätere Frau ist äußerlich genau sein Typ, er ist eher überrascht, daß sie sich auf ihn einläßt. Diese Liebe macht ihn enorm stolz und glücklich, auf der anderen Seite macht sie aber auch Angst: seine Frau ist so schön, daß jeder Mann sie ihm ausspannen könnte. Kaum sind sie verheiratet lebt er in der ständigen Angst, diese Frau zu verlieren. Er kontrolliert sie immer mehr, ist auf alles und jedes eifersüchtig und sticht schließlich mit einem Messer auf sie ein.

Nur ein Mann unserer Untersu-chungsgruppe suchte Hilfe zur Bewältigung seiner Gewalttätigkeit, in allen anderen Fällen ging eine Veränderung von den Frauen aus. Nicht immer waren die Reaktionen sozialer Einrichtungen und der Polizei/Gendarmerie hilfreich. Häufig wird Gewalt mit Beziehungskonflikten verwechselt, die als Privatangelegenheit betrachtet werden.

Die Schuldgefühle der Frauen werden verstärkt, indem ihr „Mitbeteiligtsein" am Streit betont wird („Zu einem Streit gehören zwei"). Die bei Delikten im Familienkreis übliche Praxis, Anzeigen nur auf ausdrücklichen Wunsch der Frau entgegenzunehmen und weiterzuverfolgen, macht sie zusätzlich zum Opfer von Erpressungen und Drohungen des Mannes.

Selten wird der-Mann aufgefordert, Verantwortung für sein Verhalten zu übernehmen. Sogar im Gefängnis ist es weitermöglich, Verantwortung abzuschieben, man ist „wegen der Frau" und nicht wegen einer begangenen Straftat im Gefängnis. Die meisten Frauen müssen die Erfahrung machen, daß sie in gefährlichen Situationen von niemandem geschützt werden,, sie sehen daher die Anpassung an den Mann lange Zeit als „sicherer" an.

Hilfreich für mißhandelte Frauen sind klare Reaktionen gegen Gewalt und praktische Unterstützung durch Freundinnen, Freunde, Verwandte und Hilfseinrichtungen. Die Trennung kann gefährlich werden, Gewalttätigkeiten eskalieren häufig und Frauen werden gezwungen, ihr soziales Umfeld zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Die daraus resultierenden ökonomischen Benachteiligungen und sozialen Einschränkungen für Frauen und Kinder werden in der Öffentlichkeit selten wahrgenommen.

Auf gesellschaftlicher Ebene sind dringend andere Rollenbilder, Familien- und Partnerschaftsmodelle gefragt. Partnerschaftliches Umgehen mit dem anderen Geschlecht kann nur - wenn nicht in der Familie - in Schule und Jugendarbeit gezielt vermittelt werden. „Sensivity Training" für Buben ist in anderen Ländern schon Bestandteil des Lehrplanes, warum also nicht auch bei uns?

Gewalttätigen Männern muß unmißverständlich klar gemacht werden, daß sie strafbare Handlungen begehen. Dafür muß es eine strafrechtliche Konsequenz geben. Alternativen zu den gängigen Haft- und Geldstrafen sind wünschenswert, doch Therapie allein kann strafrechtliche Maßnahmen nicht ersetzen.

Der zentrale Begriff der Verantwortungsübernahme für die Straftat muß sich durch alle neu zu überlegenden Maßnahmen für gewalttätige Männer ziehen. Finanzielle Wiedergutmachung, etwa indem Zahlungen für eine Therapie der Frau entweder direkt an das Opfer oder an eine diesbezügliche Einrichtung geleistet werden, sollte Bestandteil von rechtlichen Konsequenzen werden.

Die Autorinnen sind Koordinatorinnen und Sachbearbeiterinnen der Studie und Mitarbeiterinnen der „Beratungsstelle und Treffpunkt für Frauen" in Wien. Mag. Elfriede Fröschl ist Soziologin und Sozialarbeiterin, Dr. Sylvia Low Psychologin; beide arbeiteten lange Jahre im Wiener Frauenhaus.

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