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Öffnung in eine befreiende Welt

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Wie kommt es, daß Frauen heute so massiv aus alten Rollen und Ordnungen ausbrechen?

Dafür gibt es meiner Meinung nach mehrere Ursachen:

1. Eine wachsende Demokratisierung in unserer Gesellschaft, als deren Folge die im Grundgesetz festgelegte Gleichstellung der Frau in den verschiedenen Bereichen eingelöst wird. Frauen werden sich ihrer Rechte und Möglichkeiten am Arbeitsplatz und in der Familie bewußt.

2. Medizinisch-technische Entwicklungen wie zum Beispiel die

Erfindung der,.Pille", die Frauen die Chance gibt, über ihren Körper zu bestimmen.

3. Eine zunehmende Individualisierung in unserer Kultur und Gesellschaft, ein Abbau von Ordnungsvorstellungen, der den Verlust der Großfamilie und die Frage nach der Identität des einzelnen mit sich bringt.

4. Die Minderheitenbewegung in aller Welt, die zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortung auffordert.

5. Die heutige Frauenbewegung, der Feminismus, der viele dieser oben genannten Strömungen enthält, aber speziell die psycho-so-ziale wirtschaftliche und kulturelle Situation der Frau analysieren und und verändern will.

Das Wort Feminismus erzeugt bei Männern und auch bei vielen Frauen Ängste, — Angst vor Aggressivität, vor Machtergreifung von Frauen, vor Lesbiertum, vor Anarchie. Aber keiner, der sich ernsthaft mit der Situation der Frau in unserer Kultur befaßt, kann an der feministischen Herausforderung mit ihren scharfen Analysen vorbei.

Ging es der alten Frauenbewegung der Jahrhundertwende um die Gleichberechtigung der Frau, so entzündet sich die neue Bewe-

gung an der Diskussion um den 218 (strafrechtliche Bestimmungen um die Abtreibung) und damit an der Selbstbestimmung der Frau.

Das Gefühl der Ohnmacht einigte Frauen lange. In Frauengruppen, Frauenzentren versuchten Frauen sich frei von den verschiedensten Zwängen traditioneller Frauenrollen zu erleben. Die in den Frauengruppen erlernte Uberwindung weiblicher Passivität schlägt sich im hohen Frauenanteil an Bürgerrechtsbewegungen nieder.

Der andere wichtige Aspekt der feministischen Herausforderung war, daß die deformierende

Struktur des Patriarchats nicht nur Frauen, sondern auch Männern deutlich wurde und Psychologen, Ärzte und Soziologen auf den Plan rief.

Welche dieser verschiedenen Einflüsse auch immer die Oberhand gehabt haben, den Frauen öffneten sich die Augen für eine neue Welt, eine Welt, die für viele befreiend, für viele aber auch beängstigend war. Die Mehrzahl der christlichen Frauen — und das muß hier deutlich gesagt werden — schreckte allerdings vor der neuen Frauengeneration wie vor dem Tier aus dem Abgrund zurück. Sie fühlten sich besonders allein gelassen mit einer Bibel, die

scheinbar anders sprach, und einer Kirche, die anders gelehrt hatte.

Zu der Autonomie, die von Frauen jetzt zur Meinungs- und Bewußtseinsbildung nötig war, waren viele Frauen nicht fähig. Die angelernte Opferrolle wurde weiter tradiert, die keinen Liebesverlust seitens der Familie riskiert.

Von Müttern erzogen, in enger symbiotischer -Beziehung zu ihnen gehalten, da die Mütter selbst abhängig und oft unreif waren, gelingt es Frauen weit schwerer als Männern, autonom zu werden. Sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen, erschreckt oft. Zwischen der erfahrenen weiblichen Sozialisation und dem Zwang oder Wunsch, ein eigener Mensch zu werden, klafft eine Lücke, die für viele schwer zu schließen ist.

Die Erfahrung vieler Frauen bis heute ist, daß zu ihrer Identität Partnerschaft mit einem andern Menschen gehört. Das Selbstgefühl von Frauen belebt sich tatsächlich, wenn sie in der Lage sind, Anschluß und Partnerbeziehungen herzustellen und zu erhalten. Und umgekehrt bedeutet die Drohung, daß eine Verbindung zerbrechen könnte, für viele Frauen nicht nur den Verlust einer Beziehung, sondern fast so etwas wie einen totalen Verlust des eigenen Selbst (J. BakerMiller).

Das Problem liegt aber weniger in der Partnerschaft als in der traditionellen Ehe- und Familienform, die die Selbstfindung der Frau erschwert. Jahrhundertelang waren Ehe und Familie, Fortpflanzung und Haushalt die einzigen Lebensbereiche, in denen sich die Frau entfalten mußte und ihre integrativen Fähigkeiten auch bestätigt bekam. In einer Gesellschaft, die sich immer stärker in private und öffentliche Bereiche spaltete, wurde es für Frauen zunehmend schwieriger, für ihre Tätigkeiten öffentliche Anerkennung zu finden.

Partnerschaften, Ehen, in denen Frau und Mann mütterliche und väterliche Funktionen wechselseitig erfüllen, geben der Frau neue Freiheit und dem Mann neue Befriedigung, seinen weiblichen Anteil einzubringen. Die Frage nach Partnerschaft kehrt sich also um zur Frage an den Mann, ob er seine anerzogene Rolle verläßt und eine neue Rolle zu übernehmen bereit ist.

Der Bereich, in dem die Ich-Erfahrung der Frau noch am wenigsten artikuliert werden kann, ist der Bereich der Sexualität. In diesem tabuisierten Bereich verändern sich traditionsgebundene, tief verwurzelte Wertvorstellungen und Haltungen nur langsam.

Frauen aus christlichen Traditionen mit der starren, althergebrachten Sexualmoral der Kirche im Nacken haben hier am mühsamsten folgen können und haben damit den eigentlichen Zentralpunkt der feministischen Bewegung bisher verpaßt. Die Frauenbewegung selbst sah und sieht in der Kirche ihren Hauptgegner.

In der Studie des Weltrates der Kirchen „Die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche", an der Frauen aus fast allen Ländern der Welt mitgearbeitet haben, sind die Fragen nach Sexualität und nach der Rolle der Frau darin kaum beantwortet. Das Christentum hinkt hier den eigentlichen Problemen und der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher.

Die Autorin ist Theologin und lebt als Journalistin in Tübingen, ist verheiratet und hat vier Kinder.

Ein stark gekürzter Refe: ratsauszug der Konferenz deutschsprachiger Pastoraltheologen über „Frau und Kirche" analysiert die gesellschaftlichen Veränderungen.

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