Der große kleine Unterschied

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Sind die Männer mittlerweile zum eigentlich schwachen Geschlecht geworden? Ja, meinen - nicht nur - Scheidungsväter. Nein, meinen Frauenrechtlerinnen. Tatsächlich befindet sich das Männerbild seit einigen Jahrzehnten im Umbruch. Es fehlt an tauglichen Vorbildern - vor allem für die Männer der Zukunft: die Buben. Redaktionelle Gestaltung: Doris Helmberger. Die alten männlichen Rollenbilder sind überholt - und neue Vorbilder Mangelware. Männer auf Identitätssuche zwischen Softie und Macho.

Männer und Frauen sind füreinander ein faszinierendes Rätsel. Das hat mit der Tatsache zu tun, dass beide Naturwesen und Kulturwesen in einem sind. Rein körperlich lassen sich biologische Unterschiede ausmachen, die von manchen immer noch süffisant als "klein" disqualifiziert werden. Unterschiedliche Anatomie ist aber Schicksal. Der an Körperkraft überlegene Mann ist der Frau, dem lebenskräftigeren Geschlecht, in Sachen Lebenserwartung klar unterlegen.

In manchen Bereichen prägen biologische Unterschiede die Wahrnehmung von Wirklichkeit elementar. Männer können nicht begreifen, was für Frauen menstruieren, empfangen und gebären bedeutet, weil sie Männer sind. Frauen wiederum bleibt die männliche Erektion, der Leidensdruck, wenn selbige ausbleibt, und das Ejakulieren unbekanntes Terrain, einfach weil sie Frauen sind. Angeblich so "kleine" Unterschiede wie diese sind nicht durch die sensibelste Form der "Einfühlung" überbrückbar, weil sie eben fundamental sind.

Gewandelte Geschlechter

Deshalb bedürfen die biologischen Unterschiede der Anerkennung: Andererseits muss vor ihrem Missbrauch für etwaige männliche Hegemonialansprüche oder heimliche weiblichen Überlegenheitsideologien gewarnt werden. Denn Männer und Frauen lernen die reale Ausgestaltung ihres elementaren Geschlechts durch soziale Erfahrung, soziales Lernen und soziale Tradition. Diese sind wie alle soziokulturell geprägten Phänomene wandlungsfähig.

Der Berliner Soziologe Walter Hollstein hat mehrfach darauf hingewiesen, dass beispielsweise im bäuerlichen Leben der vorindustriellen Epoche die Aufgaben und Funktionen der Geschlechter weit weniger rigide verteilt waren. "Die strenge Aufspaltung von Erwerbsarbeit für den Mann und Hausarbeit für die Frau ist die Erfindung und unabdingbare Voraussetzung des industriellen Zeitalters." Hier setzt die "Polarisierung der Geschlechtscharaktere" (Karin Hauen) deutlich ein. Mit den Folgen, dass auf Grund der neuen ökonomischen Bedingungen der ausschließlich auf das öffentliche Leben fixierte Mann den Zugang zu seiner Innerlichkeit verliert, während die auf Hausarbeit und Kindererziehung beschränkte Frau all ihrer Außenaktivitäten beraubt ist. "Passivität ist nun exklusiv weiblich", wie Hollstein schreibt, und "Aktivität ausschließlich maskulin ... Emotionalität wird ihr zugewiesen und ihm die Rationalität." Der Pionier der Sozialwissenschaften, Georg Simmel, hat das Dilemma des modernen Mannes schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts treffend formuliert. "Für den Mann ist die Geschlechtlichkeit ein Tun, für die Frau ein Sein."

Die Weltkriege des 20. Jahrhunderts beförderten und radikalisierten das Männerbild des im Außen triumphierenden Kriegers: "Flink wie die Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl." Der hartgesottene, unberührbare und körperverpanzerte Mann war zum Leitbild eines ideologisch aufgeladenen Männlichkeitswahns geworden. Dieses beeinflusste Männer als Beschützer und Verteidiger ebenso wie jene, die zu Mördern und Vergewaltigern wurden. Der Zweite Weltkrieg mit 55 Millionen Toten entlarvte dieses Männlichkeitsideal nicht nur als ein zerstörerisches.

Spätestens hier vollzog sich ein tief greifender Bruch. Männlichkeit und Väterlichkeit haben seitdem den Beigeschmack des Autoritären, Starren und Lebensfeindlichen. Sie stehen für ein gezwungenes Leben im "stählernen Gehäuse" der Moderne. Millionen von Männern kehrten aus diesem Krieg nicht mehr zurück. In großer Zahl sind es Frauen, die nun gezwungen sind, die traditionellen Männerrollen des Ernährers und Versorgers zu übernehmen, um sich und die Restfamilie am Leben zu erhalten.

Vaterlose Gesellschaft

Aber auch dort, wo die Arbeits- und Produktionsverhältnisse noch männerdominiert sind, ist ein Phänomen bereits unübersehbar geworden, das Alexander Mitscherlich als die "vaterlose Gesellschaft" beschrieben hat. Viele Väter, so sie physisch noch präsent sind, sind für ihre Kinder psychisch nicht mehr als positive Identifikationsfiguren erreichbar. Ob durch frühen Tod, Trennung oder Absorption durch Erwerbsarbeit: die Abwesenheit und Entfremdung von Vätern und positiven Vaterfiguren hat gravierende Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung, in besonderer Weise auf die der jungen Söhne. In Familie, Kindergarten und Schule erleben die Jungen, dass sie von Frauen erzogen werden. Auch die Männerbilder, die sie vermittelt bekommen, sind Bilder von Frauen über Männer. Viele Söhne wach-sen so mit einer "Vaterwunde" auf, und hinter ihrer Ablehnung und manchmal auch Hass auf das inadäquate Männliche steht eine ungestillte "Vatersehnsucht".

"Scheinautonom" - so kennzeichnet der deutsche Männerforscher Herrmann Bullinger viele Männer aus der heutigen Erwachsenengeneration, die schwere Sozialisationsbedingungen angetroffen haben. Auf dem Hintergrund des schmerzlich vermissten Vaters konnten sie sich nicht ausreichend aus der Mutterbindung lösen. Gefangen in Misstrauen, Trotz und Ablehnung dem realen Vater gegenüber, gelingt es ihnen nicht, authentische Männlichkeit und ein gesundes Selbstwertgefühl zu entfalten. Das aber blockiert sie wiederum in der Fähigkeit, stimmige partnerschaftliche Beziehungen zu Frauen einzugehen. Stattdessen sind die meisten Männer von einer unbewussten Angst Frauen gegenüber geprägt, die sie als andersartig und übermächtig erfahren haben.

Die Entwicklung von Frauen und Männern in den letzten 30 Jahren steht im Zeichen einer rasant gewachsenen Autonomie. Frauen hatten soziohistorisch diesbezüglich ein großes Nachholbedürfnis. Vom Autonomiezuwachs haben sie mehr profitiert, sowohl in Sachen materieller Selbstversorgung, sexueller Selbstbestimmung und beruflicher Selbstverwirklichung. Männer sind heute im Zugzwang - Mannsein wurde ein hartes Brot.

Patchwork-Existenz

Die alten Rollenbilder sind nicht realitätsgemäß, überdies durchwegs negativ besetzt und zugleich fehlt es an lebensnahen positiven Vorbildern. Natürlich reproduzieren Medien gerade in Zeiten der Krise tausendfach alte Männerklischees. Abseits der großen Männermythen-Produktionsmaschine Hollywood sind es im Printbereich überwiegend Frauen, die im Vierteljahres-Rhythmus wieder einen "neuen Mann" ausrufen. Diese Patchwork-Existenz hat die Gabe zu verführen wie Casanova, einen iq wie Einstein, liebt leidenschaftlich-romantisch wie Richard Gere und ist gleichermaßen materiell erfolgreich und sicherheitgebend wie Bill Gates. Den Metrosexuellen soll er natürlich auch draufhaben. Das alles natürlich unter der Voraussetzung partnerschaftlicher Kommunikation und geschlechterdemokratischer Kooperationsfähigkeit. Wer sich als Mann diesen konstruierten Abziehbildern des momentan Wünschenswerten beugt, der macht sich so unglücklich, so gut er eben kann. Männer, die hier andere Wege suchen, werden systematisch lächerlich gemacht, entwertet und neuerdings auch geschlagen. Die permanente Vorführung des Mannes als "defizitäres Mängelwesen" löst bei vielen Männern Beschämung aus, zumal ihnen als Ausweg aus dieser Sackgasse zugleich suggeriert wird, stattdessen "weiblicher" zu werden.

Männergruppen als Oasen

Doch es gibt auch starke Zeichen eines Auswegs aus der Krise. In den letzten zwanzig Jahren entstand - aus den usa kommend - auch in Europa eine Bewegung unter Männern, die unzufrieden von den tradierten, dysfunktional gewordenen Geschlechterrollen nach neuen Wegen für ein authentisches Mannsein suchten. In den aus dieser Bewegung entstandenen "Männergruppen" geht es nicht um eine Restauration patriarchaler Männlichkeitsideale. Zunächst ermöglicht die Männergruppe einen geschützten Raum der Kommunikation unter Männern, abseits von Leistungsdenken und Verdrängung. Männer teilen dabei einander mit, wie sie fühlen, was sie brauchen und wünschen. Probleme in der Partnerschaft, mit Kindern, nach Scheidung oder bei der Suche nach einer stimmigen Liebesbeziehung sind ebenso Thema wie Konflikte am Arbeitsplatz oder die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das gemeinschaftliche Zuhören heilt oft das Leid, das Jahre zuvor entstanden ist, weil die wahrhaftige Kommunikation mit den eigenen Vätern oft nie möglich war.

In lebendigen Männergruppen würden nicht zuletzt Politiker die Probleme erfahren, die Männer und Frauen heute gleichermaßen betreffen und für die es dringend Gender-Politik braucht. Was Not tut ist eine engagierte Männer(befreiungs)politik, weil diese zudem jene schier unüberwindlichen Hindernisse in Angriff nehmen könnte, an denen die Frauenpolitik allein immer wieder scheitern musste. Dafür müssen aber Männer gemeinsam mit Frauen aufstehen und einstehen. Dann werden sie beide an Lebenskraft gewinnen.

Der Autor ist Daseinsanalytiker in Wien (www.daseinsanalyse.at), Mitglied einer Männergruppe und Journalist beim ORF-Hörfunk.

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