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Hyänen in Unterröcken?

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„Suffragetten“, so belehrt ein juristisches Handbuch aus dem Jahr 1923, „sind unter die politischen Verbrecherinnen einzureihen“. Nicht ganz so drastisch sahen die Karikaturisten jener Zeit das Phänomen, aber natürlich benutzten sie das Vorrecht ihres Metiers, die ganze Bewegung ins Lächerliche zu ziehen — und das für alle Zeiten, so scheint's zumindest. Denn die Vorstellung von der emanzipierten, verbissenen, an verdrängten Komplexen leidenden Frauenrechtlerin, die, natürlich schiach und unattraktiv und darum für die eigentliche Aufgabe ihres Geschlechts (dem Mann zu gefallen nämlich) ungeeignet, ihr unerfülltes Weibsein in Agitation und Demonstration ausleben muß, ist heute ebenfalls verbreitet.

Warum? Weil (so argumentieren die Feministen) unsere patriarchalische Gesellschaft sich damit vor einem Einbruch in ihr Gefüge schützen möchte, weil der Männerstaat von seinen Rechten, von seinen Privilegien nichts abgeben will. Denn wie inzwischen wissenschaftlich bewiesen, liegt im Haushaltführen, Kinderaufziehen und ansonsten Für-den-Mann-da-Sein keinesfalls die von der Natur für die Frau bestimmte Rolle. Vielmehr gab es vor unserer Zeitrechnung hochentwickelte Amazonenstaaten in Libyen zum Beispiel, in Sparta und im alten Ägypten, die von Frauen regiert wurden und in denen interessanterweise Frauen ganz dieselben Verhaltensweisen zeigten wie die Männer in unserem Männerstaat: sie führten die Kriege, machten die Gesetze, besorgten die Geschäfte außerhalb des Hauses, hatten das Besitzrecht, traten als Liebeswerber auf und besaßen die größere sexuelle Freiheit. Während die Männer das Haus besorgten, Kinder großzogen und ansonsten dem Weibe Untertan waren. Diese Fakten werden von den Feministen ins Treffen geführt, wenn es gilt, ihre Forderungen nach Gleichberechtigung durchzusetzen.

Die ersten Suffragetten hatten solche Beweismittel noch nicht zur Hand. Sie mußten unter äußerst schwierigen Bedingungen um Glaubwürdigkeit kämpfen, denn die Situation der Frau war damals traurig genug: sie durfte keinen qualifizierten Beruf erlernen und ausüben (die Zünfte und die Universitäten waren ihr verschlossen), und gehörte sie der armen Schicht an, wurde sie als billige Arbeitskraft in den niedrigsten Positionen mißbraucht. Sie durfte kein Vermögen besitzen, ihren Mann natürlich nicht betrügen (erst 1919 wurde das Gesetz abgeschafft, das den Männern erlaubte, ihre Frauen durch „körperliche Züchtigung zur Einhaltung der ehelichen Pflichten“ zu zwingen), sie durfte oft nicht einmal allein außer Haus gehen, während dem Mann selbstverständlich alle diese Freiheiten offenstanden und noch einige mehr dazu. Und hatte sie die Kühnheit, sich dagegen aufzulehnen, ein wenig aus ihrer vorgeschriebenen Rolle zu fallen, so wurde sie noch früher kurzerhand als Hexe verbrannt. Aber Jean Jacques Rousseaus Ausspruch vom Menschen, der frei geboren sei, galt offensichtlich nicht für Frauen. Madame Roland, deren Salon geistiger Mittelpunkt der Girondisten war, wurde von den Jakobinern hingerichtet, Olympe Marie Gouges, die während der Revolution für mehr Frauenrechte eintrat, starb 1793 ebenfalls auf der Guillotine. Der Verein revolutionärer Republikanerinnen, der bereits 1789 das aktive und passive Wahlrecht für Frauen gefordert hatte, wurde von Robespierre verboten. Der erließ außerdem ein Gesetz, nach dem Frauen weder öffentlich reden noch sich organisieren durften. Aber der erste Schritt war getan, die Frauen waren rebellisch geworden. In England veröffentlichte 1792 Mary Wölstonecraft eine Streitschrift zur Verteidigung der Rechte der Frau und wurde dafür „Hyäne in Unterröcken“ genannt. Und 1791 wurde die Frauenrechtlerin Theroigne Meri-court aus Lüttich auf der Feste Kufstein in Haft gehalten. Bis zur organisierten Suffragettenbewegung mußten jedoch noch fast 100 Jahre vergehen. Dazwischen passierte wenig, sieht man von einigen — meist mißglückten — Versuchen wie der Petition für das Frauenwahlrecht des John Stuart Mill 1867 in England, den Bemühungen von Louise Otto, der ersten Frauenrechtlerin in Deutschland (ihre erste „Frauen-Zeitung“ wurde ein Jahr nach ihrem Erscheinen verboten) und etlichen Versammlungen und Demonstrationen für Frauenrechte in den USA einmal ab.

Erst gegen Ende des Jahrhunderts begann sich die Situation der Frau allmählich zu verbessern: sie durfte Tennis spielen und Rad fahren, eine etwas legerere Kleidung tragen, sie wurde (ganz allmählich) über Geburtenregelung aufgeklärt und an Universitäten zugelassen. Schließlich bekam sie sogar den Nobelpreis: 1903 Marie Curie zusammen mit ihrem Mann Pierre und Becquerel und 1921 allein, 1905 die Pazifistin Baronin Bertha von Suttner und 1909 die schwedische Schriftstellerin Selma Lagerlöf. Aber das waren die gro-

ßen Ausnahmen, die ein wenig vielleicht auch den Patriarchen als Alibi dienten. Dem Gros der Frauen allerdings öffnete sich der erste Schritt zur Emanzipation durch die neuen Berufsmöglichkeiten, die sich im Zuge der Industrialisierung und Verstädterung ergaben, wobei vor allem die Zunahme und Vereinfachung der Büroarbeit eine entscheidende Rolle spielte. Die Buchhalterinnen und Stenotypistinnen ebenso wie die Telephonistinnen vollbrachten damals Pionierleistungen. Es gab aber auch vereinzelt bereits Ärztinnen und Juristinnen, während der Lehrberuf den Frauen schon früher offenstand.

Diese zunehmende wirtschaftliche Unabhängigkeit verhalf den Frauen zu einem neuen Selbstbewußtsein. Ihr Auftreten wurde bestimmter, ihre Forderungen wurden kühner. Sie konzentrierten sich vor allem auf das Frauenwahlrecht, und weil dies der Punkt war, an dem sich der Widerstand der Männer offen manifestierte, wurden ihre Methoden immer kompromißloser und militanter. Der im Jahre 1903 von Emmeline Pankhurst in England gegründeten „Women's Social and Political Union“ war jedes Mittel recht, das sie ihrem Ziel näher brachte, solange es keine Menschenleben forderte. Ihre Mitglieder ketteten sich an Eisengitter an, versteckten sich unter Rednertribünen, um mit dem Kampfruf „Stimmrecht für Frauen“ Versammlungen zu stören, schlugen Fensterscheiben ein und schreckten sogar vor Brandstiftung nicht zurück. Unter ihrem Spitznamen „Suffragetten“) (von suffrage = Wahlrecht) erregten sie großes Aufsehen, obwohl ihre Taktik für die Frauenbewegung insgesamt eigentlich gar nicht typisch war. Aber sie war zweifellos am spektakulärsten.

Als dann die inhaftierten Frauen einen Hungerstreik begannen und zwangsweise ernährt werden mußten, als bei Demonstrationen mehr und mehr Frauen festgenommen' und häufig von Polizisten brutal behandelt wurden, begann sich die- Läge zuzuspitzen und die Sympathie der Öffentlichkeit schlug zugunsten der mißhandelten Frauen um, selbst wenn man ihre Forderungen keinesfalls überall guthieß oder überhaupt verstand. Und als die Frauenrechtlerin Emely Davison für das Frauenwahlrecht ihr Leben opferte, indem sie sich im Juni 1913 auf einem Derby in Epson vor einen Pulk galoppierender Pferde warf, hatte die Bewegung endgültig ihre Märtyrerin gefunden. Die Überführung des Leichnams in das Familiengrab in Nordengland, wobei der Sarg von der Londoner Viktoria Station zur King's Cross Station gebracht werden mußte, gestaltete sich zu einer der größten Demonstrationen in der Geschichte der Frauenbewegung. \ v

Darin kam der Krieg, und erst 1918 erhielten die Frauen in England, Deutschland und Schweden das Wahlrecht. 1920 folgten die USA und 1923 Österreich, während in Frankreich die Frauen erst nach dem Zweiten Weltkrieg zur Urne schreiten durften. Bis dahin hatten fast alle europäischen Staaten das Frauenstimmrecht. Einzige Ausnahme bildet die Schweiz, wo die Frauen bis heute nur in einigen Kantonen wahlberechtigt sind.

Die Suffragettenbewegung hat diese Entwicklung zweifellos beschleunigt. Trotzdem kam sie immer noch zu spät. Denn was die Frauenrechtlerinnen damals durch einen größeren Einfluß auf die Politik erreichen wollten, fand häufig schon früher statt, begünstigt durch die harten Kriegsjahre, in denen die Frau „ihren Mann stellen“ mußte. Sie hatten jene größere berufliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung erreicht, die es ihnen ermöglichte; auch ohne Mann eine Rolle zu spielen. Der Kampf der Suffragetten, der Mahatma Gandhi zu seiner Taktik des „zivilen Ungehorsams“ angeregt haben soll, ist zweifellos die große, die heroische Zeit in der langen Geschichte der Frauenbewegung. Was dann kam, war ein großes Atemholen. Es dauerte bis in die sechziger Jahre unseres Jahrhunderts. Da begann es erneut zu kriseln. Ursprungsland waren diesmal die USA, wo sich die Women's-Liberation-Be-wegung formierte, die viele ihrer Ideen und Aktionsformen von den Black Panthers übernahm. Bezeichnend auch ihr Signum: die geballte Faust im Weiblichkeitszeichen. Diese radikal feministische Bewegung, die ebenfalls mit Schockmitteln arbeitet, sieht sich als Nachfolgerin der Suffragetten, stellt darüber hinaus jedoch etwas grundsätzlich Neues dar: sie fordert die- bewußtseinsmäßige Befreiung vom Mann und die Konzentration auf weibliche Leitbilder,' eine weibliche Gegenkultur zur Kultur des Mannes, worunter sie eine bessere Welt versteht.

Auch in der Bundesrepublik begann , Ende der sechziger Jahre — beeinflußt und inspiriert durch die Geschehnisse in den USA — die Unzufriedenheit unter den Frauen wieder aufzuflackern. Überfordert durch die neuen. Errungenschaften des Erwerbslebens, die jedoch keinesfalls eine Verringerung der häuslichen Aufgaben mit sich brachten, gingen immer mehr Frauen gegen die Zumutung eines 12- bis 16-Stunden-Ta-ges auf die Barrikaden. Vorerst innerhalb der allgemeinen Studentenrevolte, später in eigenen Gruppen. Heute gibt es vielleicht ein- bis zweihundert Gruppen in der BRD, die sich in radikal feministische, sozialistisch feministische und autonom feministische spalten. Ihre Forderungen sind: Gleichheit vor dem Gesetz, gleicher Lohn für gleiche Arbeit und gleichrangige Stellung bei gleicher Ausbildung. Darüber hinaus jedoch die Befreiung der Frau von ihrer traditionellen Rolle als Behüterin von -Herd* und*Haus; die Einführung einer geteilten Arbeitszeit für Mann und Frau (die auch eine Beteiligung des Mannes an der Kindererziehung und am Haushalt ermöglicht) und eine bessere Geburtenkontrolle (die nicht nur die Frau, sondern auch den Mann zum Pillenschlucker macht).

Was in den USA so vehement begann und in der Bundesrepublik recht lebhaft weiterplätschert, scheint in Österreich fast zu versiegen. Hier sind insgesamt zwei (Wiener) Frauengruppen bekannt. Die österreichische Frau, so stand es kürzlich in einer (österreichischen) Wochenzeitung zu lesen, fände die Emanzipation nur bedingt begrüßenswert. Das deshalb, weil sie nicht überzeugt sei, daß eine völlige Emanzipation ausschließlich Vorteile mit sich bringe. Man macht's hier liebenswert und fordert charmant die Aufwertung der Hausfrau, die „still und bescheiden den Haushalt führt“ (in eben dieser Zeitung zu lesen).

Soweit, so gut. Emanzipation soll nicht bedeuten, daß eine Frau partout im beruflichen und gesellschaftlichen Leben ihre alleinige Erfüllung findet. Es darf nicht Ziel und Zweck der Frauenbewegung sein, ein Klischee durch ein anderes zu ersetzen. Das ist nicht mit Freiheit gemeint, die vielmehr fordert, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, sei's das einer Hausfrau, Mutter, Sekretärin, Künstlerin oder Atomphysikerin. Solange allerdings erstgenannte Selbstverwirklichung mit dem allgemeinen Wohlwollen und der nötigen Förderung von Staat, Gesellschaft und öffentlicher Meinung rechnen kann, während letztgenannte nur mit Hindernissen bepflastert wird (was die wenigen Frauen in beruflichen Spitzenpositionen immer wieder bestätigen), haben die Frauengruppen ihre Berechtigung. Auch die weniger sanften!

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