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Nur Japanerin: zuwenig

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AMERIKANISCHER EINFLUSS! Er zeigt sich nicht nur in breiten und komfortablen Autos, in Kühlschränken, in Bazillenangst und Papierkrieg; auch die amerikanische Vorliebe für Analysen und Statistiken findet in den Ländern, wo sich amerikanische Zivilisation breitmacht, dankbare und begierige Aufnahme. Ein solches Land ist Japan. Japan saugt alles auf, was aus Amerika kommt; sei es materieller oder geistiger Art. So hat vor einigen Wochen eine führende japanische Tageszeitung eine statistische Untersuchung veröffentlicht, nach der 61 Prozent aller japanischen Frauen nicht zufrieden sind, „nur” Frauen zu sein; sie wären lieber Männer. Diese Zahl ist erschreckend hoch. Heißt es doch, daß 29 Millionen Frauen unzufrieden im Beruf, in ihrer Stellung als Hausfrau — kurz und gut, überhaupt unzufrieden sind, Frauen zu sein.

NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG wurde die japanische Frau in allen Rechten den japanischen Männern gleichgestellt. Und trotzdem ist, um bei Statistiken zu bleiben, der monatliche Durchschnittslohn für Frauen (im Jahre 1962) 16.000 Yen (1120 Schilling), während die Männer mit 35.012 Yen (2450,84 Schilling) gegenüberstehen. ES ist also nicht ganz unerklärlich, wenn sich die arbeitende Frau dem Mann gegenüber sehr im Nachteil und minderwertiger fühlt. Dazu kommt noch, daß sich die Aufstiegsmöglichkeiten für eine Frau als sehr viel geringer und schwieriger als für einen Mann mit den gleichen Fähigkeiten und derselben Schulbildung erweisen.

Arbeitgeber betrachten Frauen nur als vorübergehende Kräfte, die sofort durch neue ersetzt werden müssen, wenn sie heiraten. Eine der größten Radiofabriken in Japan hat errechnet, daß eine Arbeiterin durchschnittlich nur drei Jahre in ihren Werken arbeitet. Man kann den Arbeitgebern also daraus keinen Vorwurf machen; die Mehrzahl der Mädchen zieht eine Ehe mit finanziell guten Aspekten einer Karriere im Beruf vor. Heiratet sie, so bleibt sie nur in den seltensten Fällen im Beruf. Sie übernimmt die Pflichten des Haushaltes oder genießt die Früchte einer wohlarrangierten Heirat.

Denn noch heute werden ungefähr 80 Prozent der Ehen zwischen jungen Japanern „arrangiert”. Um das 20. Lebensjahr stellen sich die jungen Mädchen dem Photographen, lächeln auf hübschen Photos, und die Eltern zeigen dann die Bilder in Familien mit heiratsfähigen Söhnen herum. Auch werden Bekannte um Vermittlung gebeten, und besonders Geschickte können nach 100 oder 150 gestifteten Ehen ein denkwürdiges Jubiläum feiern. Diesen Vermittlern sind die jungen Eheleute dann für ihr weiteres Leben verbunden und zeigen durch besondere Aufmerksamkeiten ihre Dankbarkeit.

Bei einer solchen Heiratsvermittlung wird aber auch neben der Schönheit der Braut Augenmerk auf die Familie des Mädchens gelegt. Es ist von nicht geringer Bedeutung, welchen Beruf der Bruder oder der Vater ausübt, wer die Frau des Bruders ist und aus welcher Familie sie stammt!

NEBEN EINEM UNIVERSI- TÄTSDIPLOM wird aber auch auf Häuslichkeit sehr großer Wert gelegt. So verbinden die japanischen Mädchen das Nützliche mit dem Zeitvertreib und belegen auf Frauenuniversitäten das Fach „Lebenskultur”. Sie pflegen neben Kochen, • Nähen, Klavierspiel, Blumenarrangieren und Teezeremonie auch englische Literatur, wobei sie allerdings mit der englischen Sprache so herumjonglieren, wie es unsere Großmütter mit der französischen taten.

Als ich vor einiger Zeit ein junges Mädchen fragte, wozu es englische Literatur studiere, antwortete es mir mit charmantem Lächeln: „Ich will eine perfekte Dame werden!” Und im Japan von heute gehört die englische Sprache nun eben zum guten Ton.

Mädchen im heiratsfähigen Alter, zwischen 18 und 22 Jahren — mit 25 Jahren beginnt man „überzählig” zu werden —, verbringen ihre Freizeit mit der Kunst der Teezeremonie und des Blumenarrangierens. Zum Gegensatz aber sind sie auch mit Feuereifer bei Tanzparties und im Kino anzutreffen. Den Unterricht in der Teezeremonie erteilen Lehrer oder Lehrerinnen, die dafür eine Lizenz erwerben müssen. In diesen Unterrichtsstunden haben -die jungen Mädchen Gelegenheit, ihre Kimonos vorzuführen und auf Mütter, die sich nach einer Schwiegertochter umsehen, Eindruck zu machen.

Wir wundern uns immer wieder, daß so viele Leute an der Sitte der Heiratsvermittlung festhalten. Ihr Hauptargument ist, daß — auch wieder statistisch festgestellt — diese Ehen viel dauerhafter sind als die sogenannten „Liebesehen”. Dem kann man aber wohl entgegenhalten, daß sich ein junges Mädchen, das die Unabhängigkeit besitzt, einen Mann selbst zu wählen, doch etwas anders, vielleicht sogar weniger anpassungsfähig in der Ehe verhält als eine Frau, die sich ohne Widerspruch eine Ehe arrangieren läßt und aufopfernd und duldend ihrem Mann dient.

SCHEIDUNGEN SIND in Japan sehr häufig, weil es den Ehepaaren leicht gemacht wird, sich zu trennen. Sind sie sich über eine Scheidung einig, brauchen sie nur noch gemeinsam den Weg zum Standesamt einschlagen und die dort registrierte Ehe für ungültig erklären, und schon sind sie wieder „frei”. Ist einer der beiden Ehepartner aber mit einer Scheidung nicht einverstanden, dann geht eine solche Scheidungsklage denselben gerichtlichen Weg wie in Österreich. Nach einer vollzogenen Scheidung muß der Mann, wenn er die Trennung angestrebt hat, seiner Frau monatlich bis zu 50.000 Yen (3500 Schilling) zahlen. Die Unterhaltskosten für die Kinder werden nach dem Gehalt des Mannes berechnet, ebenso wie das finanzielle Opfer, das Väter außerehelicher Kinder zu bringen haben.

Neben dem legendenumwobenen Beruf der Geisha, der sehr traditionsgebunden ist und nicht ins 20. Jahrhundert zu gehören scheint, stehen Autobusschaffnerinnen mit beiden Beinen in unserem Zeitalter, während man in den Straßenbahnen nur sehr selten weibliche Schaffner findet. Frauen, die sich durch mehr oder minder geschicktes Chauffieren eines eigenen Autos unbeliebt machen, sind seltener zu sehen, und weibliche Taxichauffeure scheint es überhaupt nicht zu geben.

Sehr selten ist der Beruf der Rechtsanwältin, und weibliche Lehrkräfte an Universitäten können sich nicht durchsetzen. Auch die höheren Positionen in Fabriken und Gesellschaften werden durchweg von Männern gehalten. Etwas häufiger trifft man Ärztinnen, weil es den japanischen Frauen vor 50 Jahren möglich wurde, sogenannte „medizinische Schulen für Frauen” zu besuchen.

Das Jusstudium ist ihnen aber erst seit Ende des zweiten Weltkrieges erlaubt. Vor einigen Jahren war Japan bei den Vereinten Nationen durch eine Frau vertreten; sie kam nach zwei Jahren ihrer Tätigkeit bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Mittlerweile haben sich sogar zwei weibliche Diplomaten im Außendienst durchgesetzt.

DIE ZAHL DER FRAUEN, dje nach ihrer Heirat im Beruf bleiben, wächst jedes Jahr. 1962 waren 21,7 Prozent aller berufstätigen Frauen verheiratet, denen im Jahre 1954 nur 14,2 Prozent gegenüberstanden.

Jetzt wird natürlich viel geklügelt und gerätselt, warum diese Rate ständig im Ansteigen ist; ob es ökonomische Notwendigkeit sei, ob die Ansprüche in den Familien steigen oder ob es vielleicht gar der Ehrgeiz der Frauen ist, der seine Ventile im Berufsleben sucht, da er sie im täglichen Einerlei der Hausarbeit nicht finden kann. Es ist aber nicht nur das Geld, das diese Frauen ins Berufsleben lockt, sondern auch das Gefühl der Selbständigkeit, das ihnen ein Verdienst geben kann. Dieses Selbständigkeitsstreben wird aber nur allzu oft durch langsame Beförderung oder geringe Bezahlung gehemmt. Ein Resultat der Schwierigkeiten im Berufsleben sind die Heiraten der japanischen Mädchen mit Ausländern, die immer häufiger werden.

Wenn ein begabtes Mädchen einige Jahre in den Vereinigten Staaten oder in Europa studiert hat und nach Japan zurückkehren will, findet es nur sehr schwer eine angemessene Stelle. Um dem Leitersystem des langsamen Aufstiegs und der Bevorzugung der männlichen Kollegen auszuweichen, zieht es vor, im Ausland zu bleiben, und heiratet dann meist in absehbarer Zeit.

DIE INTELLEKTUELLEN Japanerinnen, die sehr gern einflußreiche Positionen von Frauen gehalten sehen möchten, beobachten diese immer häufigeren Fälle mit großer Sorge. Sie sind der Meinung, daß eine intelligente Frau auf verantwortungsvollem Posten nicht nur dasselbe leistet wie ein Mann, sondern auch die Meinung der Fra u, die Phantasie und die Klugheit — die sich oft sehr von der eines Mannes unterscheidet — würden eine vollkommene Ergänzung auf allen Gebieten der Industrie, der Bürokratie und in der Politik geben.

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