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Eine Form, um das Christsein intensiver zu leben

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Seit fast einem Jahr wohnen die drei jungen Ehepaare und ein Kind zusammen in einer Wohnung, die sie gemeinsam in Praternähe gemietet haben. Sie waren auch vorher keine Anfänger in Sachen Wohngemeinschaft; beide Paare hatten bereits mit anderen mehrere Jahre hindurch in Oberösterreich eine Wohnung geteilt. Wer sind die jungen Leute, die diese mit so vielen Vorurteilen belastete Lebensform gewählt haben? Die Männer arbeiten hauptamtlich in der Katholischen Arbeiterjugend. Eine der beiden Frauen ist Büroangestellte, die andere im Karenzjahr zu Hause; nach ein oder zwei Jahren möchte sie, ausgebildete Sozialarbeiterin, wieder ihrem Beruf nachgehen.

Es läge nun die Vermutung nahe, daß die Hausfrau nicht nur ihr Kind, sondern auch ihre drei Mitbewohner zu versorgen hätte. Das ist nicht der Fall. Nicht nur, daß sie nach Absprache am Abend allein oder mit ihrem Mann ausgehen kann. Dann kümmern sich die anderen um das Kind, das alle vier als Bezugspersonen akzeptiert hat. Mit dem Haushalt hat sie weniger Arbeit als andere Hausfrauen: zwischen den erwachsenen Familienmitgliedern bestehen klare Abmachungen.

Jedes Paar, bewohnt ein eigenes Schlafzimmer, groß genug, um sich auch darin aufzuhalten und dorthin zurückziehen zu können. Die Pflege dieses Zimmers ist Sache des jeweüi-gen Paares. Das Kinderzimmer fällt in die Kompetenz der Mutter. Alle übrigen Räume - das gemeinsame Wohnzimmer, Vorzimmer, Küche und Bad -werden von allen zusammengeräumt, und zwar so, daß jede(r) abwechselnd für einen Raum einen Monat lang verantwortlich ist.

Und Wäschewaschen? Einkaufen? Die sonstigen Pflichten, die in einem Haushalt anfallen? Da klappt die Aufteilung noch nicht ganz. Die Frauen glauben, daß sie selbst die Männer nicht genug einspannen, aber langsam ändert sich auch hier einiges. In einer Wohngemeinschaft halten sich die traditionellen Rollenklischees nicht. Die „Aufweichung“ tritt fast automatisch ein, wenn das entsprechende Bewußtsein vorhanden ist. V

Ihr gemeinsames Hauptproblem ist die hohe Miete, denn trotz langer Suche war eine billigere, für ihre Zwecke passende Wohnung nicht zu finden. Um zu sparen, wurden die meisten Adaptierungsarbeiten selbst durchgeführt Miteinander haben sie keine finanziellen Probleme. Für Miete, Licht, Gas, Heizung, Haushalt, Lebensmittel und das Mittagessen am Arbeitsplatz führen sie ein monatliches Budget, das je nach Verdienst prozentuell aufgeteilt ist. Derzeit zahlt das kinderlose Ehepaar mehr, weil dem anderen durch das Karenzjahr der jungen Mutter weniger Geld zur Verfügung steht. Es ist eine Frage der Nächstenliebe, daß weniger Verdienst nicht auch weniger Rechte bedeuten darf. Vor allem darf der, der finanziell weniger in die Gemeinschaft einbringen kann, nie das Gefühl haben, von den anderen etwas „geschenkt“ zu bekommen, weil er trotzdem von allem gleich „profitiert“. Die Gemeinschaft zielt also auch auf eine „Aufweichung“ des finanziellen Leistungsprinzips.

Wohngemeinschaften dieser Art sind im katholischen Bereich keine Seltenheit mehr. Der Trend nimmt zu, auch bei der katholischen Landjugend. Die Gemeinschaft funktioniert nur dort, wo sie über die reine Schlaf-und Eßgemeinschat hinaus, zu einer Erlebnis-, Aktions- und Glaubensgemeinschaft wird. Nicht bloß die Gemeinsamkeit zwischen den einzelnen Ehepaaren und innerhalb ihrer selbstgewählten Familie ist für das Leben, wie es diese jungen Menschen verstehen, ausschlaggebend. Sie tragen ihr gesellschaftliches und christliches Engagement in ihren persönlichen Lebensbereich hinein. Auf die Dauer wird dadurch eine starre Trennung zwischen Privatleben und Berufsleben unmöglich, und das ist gut so. Jeder nimmt Anteil auclAm Berufsleben der anderen, lernt seine Probleme auch außerhalb der Familie kennen. Nur so entstehen gemeinsame Interessen und gemeinsame Ziele, privat und gesellschaftlich.

Natürlich gibt es auch hier Konflikte, gar nicht selten sogar, und bestimmt nicht weniger als in allen anderen Familien. Zu Krisen kommt es allerdings selten, weil die Konflikte, die dazu führen, früher erkannt und auch ausgetragen werden. Ein Ehepaar allein kann Auseinandersetzungen ausweichen; so aber fallen den anderen Spannungen oft früher auf als den Betroffenen. Es gehört zu den wichtigsten Regeln einer Wohngemeinschaft, Konflikte nicht aus falsch verstandenem Harmoniestreben zuzudecken, im Privatleben ebensowenig wie im Berufsleben, im gesellschaftlichen oder auch im kirchlichen Bereich. Dazu findet auch einmal pro Woche eine Besprechung zwischen allen vieren statt, in der auftretende persönliche und gemeinsame Probleme besprochen und im Protokoll festgehalten werden.

Wohngemeinschaften haben mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Frauen können sich nicht vorstellen, „mit anderen in der Küche zu stehen, ihr Kind gemeinsam aufzuziehen, den Mann nicht allein für sich zu haben“. Männer neigen dazu, die verbreiteten Vorurteile anzuführen: Wohngemeinschaft als Sex-, Rauschgift- und Anarchiegemeinschaft.

Wer die jungen Menschen gesehen hat, mit ihnen gesprochen und sich ihre Wohnimg angesehen hat, wird diese Vorurteile nur schwer aufrechterhalten können. Hier ist eine Lebensform entstanden, die zu den oft isolierten, überforderten und gesellschaftlich desinteressierten Kleinfamilien unserer Zeit eine Alternative darstellen soll.

Abschließend einige Zitate aus einem Protokoll, das eine andere katholische Wohngemeinschaft schon vor drei Jahren über sich zusammengestellt hat:

„Wir sind drei Ehepaare, die angeregt durch unser Engagement und Leben in der KAJ versuchen möchten, in einer Wohngemeinschaft zu leben. Ausschlaggebend für diesen Entschluß waren nicht die wirtschaftlichen Vorteile, die durch eine solche Gemeinschaft entstehen, sondern das Bewußtsein, daß dies eine Form ist, das Christ-sein in der heutigen Zeit intensiver zu leben...

Wir erfahren immer wieder: unsere Gesellschaft ist in vielen Bereichen davon geprägt, daß jeder Mensch nur auf sich selbst gerichtet ist... Unser Ziel ist es, eine Veränderung dieser Gesellschaft anzustreben. Eine Veränderung in den Bereichen, wo es uns möglich ist. Die Werte des Teilens -ideell, materiell -, der Offenheit, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität sollen zu einer Richtschnur in unserem Leben werden.

Eine zweite Erfahrung zeigt uns, daß es oft schwer ist, bestehende Konflikte miteinander auszutragen. Wir sind oft nicht bereit, diese Konflikte zu lösen, sondern es ist einfacher, sich zurückzuziehen und auszuweichen... In diesem Punkt ist unser Ziel das Lernen, miteinander Konflikte zu lösen, um so zu einem tieferen Mensch-sein zu gelangen ...

Eine dritte Erfahrung ist die Isolation vieler junger Ehen. Die Isolation, die von den Paaren selbst ausgeht. „Wir beide genügen uns“, „Wir müssen eine Familie aufbauen und haben daher für niemanden anderen Zeit“. Ehe heißt für uns aber nicht nur ein Leben zu zweit, sondern zu zweit mit uns für andere da zu sein. Unser Ziel und Versuch ist daher, dieses neue Verhältnis von Ehe und Gemeinschaft ganz konkret zu leben.“

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