Lieben, testen und wenig wagen

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Die Zahl der Hochzeiten sinkt, jene der Scheidungen steigt. Diesem Trend wollen Therapieangebote, Beratungsstellen und virtuelle Foren wie eheonline.at entgegenwirken.

Wenn auch der Wonnemonat Mai für kurzzeitige Entspannung sorgt: Der Handlungsbedarf für die Ehe ist groß. Österreichweit wurde im Vorjahr der statistische Tiefststand der Nachkriegszeit von 33.911 Hochzeiten erreicht. Nur das kriegsbedingt schwache Ehejahr 1945 konnte mit 31.363 Paaren diese Zahl noch unterbieten. Übertriebene Hoffnungen auf eine Trendwende sind überdies fehl am Platz: Kein einziges Bundesland kann auf eine steigende Tendenz zum Ja-Wort fürs Leben verweisen. In Vorarlberg und Oberösterreich, den Spitzenreitern in Sachen Ehemüdigkeit, sank die Zahl der Hochzeiten zwischen 2001 und 2000 sogar um rund 18 Prozent.

Ebenso rückläufig ist die Zahl der Neugeborenen. Erblickten im Jahr 2000 noch 78.268 Säuglinge das Licht der Welt, so waren es 2001 nur noch 74.630. Bereits ein Drittel davon kam unehelich zur Welt. Auch die Entwicklung der Scheidungsrate spricht Bände: Im Jahr 2000 erreichte sie satte 50 Prozent. Setzt sich der jahrelange Trend zum Eheschwund fort, könnte der Wert vom Kriegsende bald unterboten sein.

Hohe Erwartungen

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Mitschuld am Nichtzustandekommen von Ehen - oder ihrem Scheitern - ist kurioserweise die mit 150 Jahren noch junge "Erfindung" der Liebesheirat. Die Anforderungen an die Ehe sind oft zu hoch, weiß die Wirtschafts- und Sozialhistorikerin Birgit Bolognese-Leuchtenmüller: "Früher war wechselseitige Zuneigung eines von vielen Wahlkriterien. Es ging vor allem um standesgemäßes Zusammenpassen und gemeinsames Arbeiten. Gegenseitige Achtung war ein Idealfall. Heute werden enorm hohe Erwartungen in die Ehe gesetzt: Sie muss emotionale Sicherheit, Geborgenheit und Sinnstiftung geben." An diesen Anforderungen zerbrechen viele Ehen, Risikophasen sind die ersten Ehejahre und der Zeitpunkt, an dem die Kinder das elterliche Zuhause verlassen. Zudem lässt die im historischen Vergleich enorm gestiegene Lebenszeit Ehen mittlerweile 50 bis 60 Jahre dauern.

Die Krise der Ehe ist demnach nicht nur ein zwischenmenschliches, sondern auch ein gesellschaftliches Phänomen. "Die Diskussion über die Ehe macht sich immer an steigenden Scheidungszahlen fest. Dabei ist dieser Strukturwandel das Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung", gibt Bolognese-Leuchtenmüller zu bedenken. "Nicht nur die Ehe, die gesamte Lebenswelt hat sich verändert."

Ehetipps online

Grund genug, sich heute mehr denn je für die Ehe stark zu machen. So betreibt etwa das Forum "Beziehung, Ehe und Familie" der Katholischen Aktion ihr zeitgemäßes "Lobbying für die Ehe" im World Wide Web. "1990 gab es in der Erzdiözese Wien noch 5.241 Hochzeiten, 2000 jedoch nur noch 3.320. Da muss man sich nach den Gründen fragen", erklärt Josef Marhofer, Leiter des Referates Ehe und Familie der Diözese Linz. "Junge Menschen haben immer noch Sehnsucht nach einer fixen Beziehung, aber in den Medien wird die Ehe schlecht behandelt. Dagegen wollen wir etwas tun."

Seit 23. April soll nun die neue Homepage www.eheonline.at der Ehe Fernstehende und Bindungsscheue zum Heiraten ermutigen. Neun Fragen wie "Was hat die Ehe, was Beziehung nicht hat?" oder "Du reichst mir" vermitteln Wesentliches über diese Bindung fürs Leben. "Wir wollen den Menschen Lust auf die Ehe machen", erklärt Forums-Sprecher Wolfgang Hinker. Praktische Tipps zu Rechtsfragen bis hin zur Organisation von Hochzeiten ergänzen das Angebot. Per E-mail kann man sich sogar beraten lassen. Für größere Krisen finden sich Links zu Beratungsstellen vor Ort.

"Wir haben die Ehe als sehr positiv erlebt, und wollten jungen und älteren Menschen ein Angebot machen, bei dem sie etwas davon entdecken können", erklärt die Vizepräsidentin der Katholischen Aktion Österreich, Luitgard Derschmidt, die Motivation zu eheonline.at. "Natürlich gibt es keine Patentrezepte. Jede Ehe ist anders. Deshalb sehe ich diese Homepage vor allem als Suchbewegung." Die Texte dazu wurden sehr vorsichtig ausgewählt und formuliert, um Kirchenferne nicht durch Begriffe wie "Sakrament" vorschnell abzuschrecken. Eine Straßenbefragung in Wels unterstreicht die Bedeutung des Mediums Internet auch für diesen Bereich. Auf die Frage "Wo würden Sie sich kundig machen, wenn Sie etwas über die Ehe wissen wollen?" antworteten die meisten mit dem Internet, dicht gefolgt von der Kirche. Trotz gewisser Vorbehalte sieht auch Familienbischof Klaus Küng die neue Homepage positiv: "Viele tun sich schwer, sich zu binden und das Wagnis Ehe einzugehen. Ich sehe dieses Bemühen als Ermutigung."

Auch das Kardinal König Haus in Wien-Lainz leistet Pionierarbeit in der Beratung und Begleitung Geschiedener und Wiederverheirateter. Seit 1977 finden Ratsuchende dort professionelle Hilfe. "Wo Gott nicht mehr die letzte Rolle spielt, muss der Partner oft in Gottes Rolle schlüpfen. Das schafft er nie", weiß der Eheberater und Jesuitenpater Richard Plaickner aus Erfahrung. Die meisten Ehen würden schon an viel zu hohen Ansprüchen zerbrechen. "Die Kirche darf die Leute nicht leichtfertig ins Sakrament der Ehe hineinstürzen lassen. Sie muss in familiärer und lebensbegleitender Seelsorge da sein." Das Bildungshaus Lainz bietet daher unter dem Titel "In Liebe das Leben wagen" Ehevorbereitungsseminare an. Am 24. Mai folgt ein Vortrag des Berliner Familientherapeuten Martin Koschorke zum Thema "Trennung oder Neuanfang" (Infos unter www.kardinal-koenig-haus.at).

Auch die Initiative "Marriage Encounter" bemüht sich seit 1979 um die Ehe. In "Wochenenden der Begegnung" sollen Paare, aber auch Ordenschristen und Priester, ihre Beziehung zum Partner, zur Gemeinschaft und zu Gott wieder intensiv, offen, ehrlich und lebendig leben und spüren lernen (www.marriage-encounter.at).

Viel Erfahrung in der Eheberatung hat schließlich auch die Gemeinde Wien. Seit 1949 suchen hier Familienberatungsstellen nach Lösungen in Krisenfällen. "Unsere Servicestelle ist ausgelastet", sagt Ingrid Moser, die seit über 25 Jahren in einer der drei Beratungsstellen der Stadt Wien arbeitet. "Vor allem die therapeutisch orientierten Angebote werden sehr gut angenommen und sind ausgebucht. Leichter ist es noch, juristische Beratung zu bekommen." Im Laufe der Zeit haben sich freilich die Herausforderungen und auch die Ratsuchenden in den österreichweit über 500 Familienberatungsstellen verändert, weiß Moser: "Vor 25 Jahren waren verlassene Frauen das Hauptklientel. Jetzt sehen auch die Männer die Ehe oder Beziehung mehr als ihr Problem an." Grundsätzlich ist der Trend zum unverheirateten Zusammenleben ungebrochen, so Moser. "Die Leute sind vorsichtiger. Sie wollen testen, wie es geht."

Einen Hauptgrund für die schwindende Bereitschaft zum Bund fürs Leben ortet der Theologe, Therapeut und Männerforscher Erich Lehner auch im gewandelten Selbstverständnis - und der gestiegenene Unabhängigkeit - von Frauen: "So lange es nur 1,3 Prozent Karenzväter gibt, ist es kein Wunder, dass drei Viertel der Frauen die Scheidung einreichen und der Ehe skeptisch gegenüber stehen. Sie wollen eben keine verheirateten Alleinerzieherinnen sein." Zwar wünschen sich 70 Prozent der Frauen Kinder, doch nur 40 Prozent würden tatsächlich Mutter, so Lehner.

Vater, nicht Versorger

Gerade auf Männerseite klaffen Realität und Wunsch meist stark auseinander: In Umfragen nennen haushaltsabstinente Väter die Familie als höchsten Wert, gefolgt von Arbeit, Freizeit, Politik, Religion und Kirche. Fragt man sie jedoch nach ihren Aufgaben in der Familie, stößt man an die Wurzel des Problems. Noch immer besteht diese Aufgabe aus "Versorgung, Entscheidungen treffen, Zukunft planen". Das entspreche dem traditionellen Rollenbild des Mannes, weiß Lehner - und dieses halte ihn de facto von der Familie fern.

Der Psychotherapeut fordert daher gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die eine ausgewogene Lastenverteilung in Haushalt und Familie für Frauen und Männer erleichtern. "In Skandinavien und den nordischen Ländern wird Karenzgeld nur ausgezahlt, wenn auch der Mann zu Hause bleibt", nennt er ein positives Beispiel. "Die gesetzliche Regelung des Kindergeldes, die weiterhin Männer aus dem Haushalt und Frauen aus dem Beruf treibt, ist eine vertane Chance."

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