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Jenseits des traditionellen Zusammenlebens

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In ganz Europa entwickeln sich seit einigen Jahrzehnten nichteheliche Lebensgemeinschaften zu einer anerkannten Form des Zusammenlebens.

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In ganz Europa entwickeln sich seit einigen Jahrzehnten nichteheliche Lebensgemeinschaften zu einer anerkannten Form des Zusammenlebens.

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Entstanden als kinderlose Übergangsphase, lassen sich heute in vielen Ländern Europas immer mehr dauerhafte Lebensgemeinschaften und auch solche mit Kindern finden. Diese Entwicklung hat bisher nicht zu einer Auflösung der Kernfamilie geführt, sehr wohl aber verringert sich europaweit die Bedeutung der lebenslangen, traditionellen Ehe.

Das Phänomen „Lebensgemeinschaft” hat seinen Ausgang im Norden Europas genommen und ist im Begriff, sich über den Westen nun auch in den Süden und in den Osten Europas zu verbreiten. In der Altersgruppe der 25- bis 29jährigen lebt in den meisten Ländern West- und Nordeuropas bereits rund ein Drittel aller Paare in einer Lebensgemeinschaft, in Schweden mehr als 40 Prozent. Bereits bei den 35- bis 39jähri-gen liegt der Anteil nur bei rund zehn Prozent (in Schweden bei 20 Prozent), weil nach wie vor ein großer Teil der Lebensgefährten zu einem späteren Zeitpunkt, insbesondere wenn Kinder zur Welt kommen, eine Ehe schließen. In Südeuropa liegen die Werte noch deutlich geringer, die Tendenz ist aber dieselbe. Unverheiratetes Zusammenleben hat sich insbesondere als normaler Beginn einer Partnerschaft etabliert. In der jüngeren Altersgruppe haben bereits 70 bis 80 Prozent der westeuropäischen Frauen ihre erste Partnerschaft als Lebensgemeinschaft begonnen, in den skandinavischen Ländern sogar rund 90 Prozent. Nur zehn Jahre zuvor lagen diese Anteile erst bei etwa 40 bis 60 Prozent.

Gleichzeitig beginnt sich aber auch, wieder mit großen geographischen Unterschieden, das Geburten-verhalten zu ändern. Zwischen 1980 und 1994 hat der Anteil unehelicher Geburten überall rapide zugenommen. Zur Zeit erfolgen in Osterreich und einigen anderen Ländern etwa drei von zehn Geburten unehelich, in Norwegen und Schweden schon etwa 50 Prozent, in Südeuropa aber immer noch weniger als zehn Prozent. Auch in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und der Schweiz ist der Anteil an unehelichen Geburten mit unter 15 Prozent auffallend gering, wenngleich die steigende Tendenz dieselbe ist. In Österreich war die Zunahme zuletzt unterdurchschnittlich, was vor allem auf den bereits sehr hohen Anteil unehelicher Geburten im Jahr 1980 (und auch schon früher) zurückzu- ” führen ist.

Im übrigen gibt es innerhalb Österreichs große regionale Unterschiede, mit traditionell sehr hohen Unehelichenquoten etwa in Salzburg, Kärnten und der Steiermark, während in Niederösterreich, Vorarlberg und im Burgenland von unverheirateten Müttern vergleichsweise wenige Kinder zur Welt gebracht werden.

Untersucht man die Zunahme unehelicher Geburten zwischen 1980 und 1994 im Detail, so zeigt sich, daß die Ursachen im europäischen Vergleich durchaus unterschiedlich sind. In Skandinavien ist praktisch der gesamte Zuwachs auf eine steigende Zahl von Geburten in Lebensgemeinschaften zurückzuführen. Aber auch in Österreich und Italien gehen 70 Prozent des Anstiegs unehelicher Geburten auf das Konto von Geburten in Lebensgemeinschaften. Andererseits gibt es aber auch Länder, in denen vor allem ein Zuwachs an Geburten alleinstehender Frauen zu beobachten war; allen voran Polen und die Schweiz, wo jeweils nur zehn Prozent der Zunahme auf eine steigende Zahl von Geburten in Lebensgemeinschaften zurückgeführt werden kann. Überall dort, wo heute bereits ein hoher Anteil unehelicher Geburten verzeichnet wird oder aber die Zunahme in den letzten 15 Jahren besonders stark war, wird es zusehends zur Norm, Kinder auch außerhalb der Ehe zu bekommen.

Wenngleich es interessant zu wissen wäre, weshalb manche Paare heiraten und andere nicht, so ist die wesentliche Frage, ob es für das Kind einen Unterschied macht, ob seine Eltern verheiratet sind oder nicht. Unterschiede lassen sich im wesentlichen auf zwei Ebenen finden: in bezug auf

■ individuelles Verhalten und

■ soziale Normen und Gesetzgebung.

Im Bereich individuellen Verhaltens liegt der größte Unterschied in unterschiedlichen Trennungsraten. Obwohl die Scheidungswahrscheinlichkeit bei Ehen heute schon sehr hoch liegt, zeigt sich bei Lebensgemeinschaften europaweit ein noch deutlich höheres Trennungsrisiko auch dann, wenn es sich um Partnerschaften mit Kindern handelt. Im Durchschnitt wird etwa jede dritte Ehe geschieden, wobei auch hier sehr große regionale Unterschiede bestehen. Je geringer der Anteil an Ehegemeinschaften in einem Land ist, desto höher ist das Scheidungsrisiko - beides ist somit ein Zeichen für die Auflösung traditioneller Partnerschaftsmuster. Da die Trennungswahrscheinlichkeit bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften noch einmal um mindestens 50 Prozent höher liegt (wenn keine Kinder vorhanden sind, noch wesentlich höher), muß man auch in Zukunft mit einer sehr deutlichen Zunahme von sogenannten Scheidungsund Trennungskindern rechnen.

Hinsichtlich sozialer Normen lassen sich heute in jenen Ländern, wo Lebensgemeinschaften mit Kindern ein relevantes Ausmaß erreicht haben, kaum noch Stigmatisierungen ausmachen; das gilt aber nicht gleichermaßen für Kinder von Alleinerzieherinnen. Eine beträchtliche Diskriminierung findet sich vielerorts nach wie vor im Bereich gesetzlicher Begelungen, was zum Teil auch erklärt, weshalb in manchen Ländern trotz einer Akzeptanz von Lebensgemeinschaften in solchen nur sehr wenige Kinder geboren werden (Beispiel: Deutschland oder die Schweiz). Es besteht kein Zweifel daran, daß Kinder eines gesetzlichen Schutzes bedürfen, unabhängig vom Familienstand der Eltern. Und es findet sich keinerlei Bechtfertigung, weshalb Kinder von Lebensgefährten in rechtlicher Hinsicht, also beispielsweise in bezug auf Erbfolge, Sorgerecht oder Karenzregelungen, von Kindern von Ehepartnern unterschieden werden sollten - ehelich oder unehelich ist schließlich keine Eigenschaft des Kindes. Es läßt sich europaweit auch eine sukzessive An-gleichung der Bechtslage erkennen, wobei Österreich diesbezüglich gemeinsam mit Skandinavien durchaus zu den fortschrittlichsten Ländem zählt. Insbesondere sollten auch nach einer etwaigen Trennung oder Scheidung keine ungleichen Bedingungen gelten.

Eine der großen Herausforderungen an unsere Gesellschaft wird es sein, ein soziales und rechtliches Klima zu schaffen, das es der steigenden Zahl von Kindern, die eine Scheidung oder Trennung ihrer Eltern miterleben, ermöglicht, eine normale und möglichst unbeeinträchtigte Beziehung zu beiden Elternteilen aufrecht zu erhalten.

In diesem Zusammenhang wird man unter anderem über Möglichkeiten eines geteilten Sorgerechtes nachdenken müssen. In jedem Fall sollten die Pflichten und Bechte der Eltern gegenüber ihren Kindern und die Rechte der Kinder gegenüber, ihren Eltern unabhängig davon sein, ob die Eltern zusammen oder getrennt leben. Ebenso wichtig ist für unsere Gesellschaft die Teilung der Rechte und Pflichten gegenüber den Kindern in aufrechten Partnerschaften - gleichgültig, ob es sich um eine Ehe oder eine Lebensgemeinschaft handelt. Nur damit wird es jedem einzelnen ermöglicht, seine familienorientierten Ziele mit dem Wunsch nach einer befriedigenden Berufslaufbahn zu vereinbaren; und nur damit kann langfristig die Beproduktion unserer Gesellschaft sichergestellt werden.

In diesem Zusammenhang sind Politik und Wirtschaft gleichermaßen gefordert, durch die Bereitstellung ausreichender Kinderbetreuungsplätze (mit vernünftigen Öffnungszeiten) und von flexiblen Arbeitszeitarrangements und Teilzeiterwerbsmöglichkeiten für Eltern (nicht nur für Mütter) auch in einer modernen Gesellschaft das Leben und Aufziehen von Kindern zu ermöglichen.

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