6830318-1974_35_06.jpg
Digital In Arbeit

Gegen das „Muckertum“

19451960198020002020

Einen leichten Anstieg der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter erwarten die Statistiker der DDR für die nächsten Jahre. Nach den neuesten Mitteilungen der DDR-Zentralverwaltung für Statistik gibt es in Mitteldeutschland jetzt 16,979.620 Einwohner, darunter 9,8 Millionen Frauen. Auf 100 Männer kommen also 121 Frauen. Für die Periode 1976/78 haben die mitteldeutschen Statistiker eine jährliche Zunahme von DDR-Bürgern zwischen 120.000 und 140.000 vorausgesagt, während danach der Zugang wieder geringer wird.

19451960198020002020

Einen leichten Anstieg der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter erwarten die Statistiker der DDR für die nächsten Jahre. Nach den neuesten Mitteilungen der DDR-Zentralverwaltung für Statistik gibt es in Mitteldeutschland jetzt 16,979.620 Einwohner, darunter 9,8 Millionen Frauen. Auf 100 Männer kommen also 121 Frauen. Für die Periode 1976/78 haben die mitteldeutschen Statistiker eine jährliche Zunahme von DDR-Bürgern zwischen 120.000 und 140.000 vorausgesagt, während danach der Zugang wieder geringer wird.

Werbung
Werbung
Werbung

Gegenwärtig entfallen auf jeweils 100 Personen im arbeitsfähigen Alter 73 Kinder und Rentner. Von den 12,3 Millionen Einwohnern über 18 Jahren waren 68,7 Prozent verheiratet, 14 Prozent ledig, 13,3 Prozent verwitwet und 4 Prozent geschieden. Mehr als 6,3 Millionen DDR-Bürger verfügten am 1. Jänner 1974 über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Facharbeiter oder Meister bzw. hatten Fach- oder Hochschulabschluß. Allein 5,4 Millionen haben das Zertifikat als Facharbeiter oder Meister. Mehr als 970.000 sind Absolventen von Fachoder Hochschulen. Bei den Frauen haben 37 von 100, bei den Männer 71 von 100 eine abgeschlossene Ausbildung dieser Art.

Die derzeitigen bevölkerungspolitischen Hauptsorgen Ost-BerMns sind die immer noch sinkende Geburtenziffer und die ungünstige Altersstruktur der Bevölkerung. Über zehn Prozent der Ehen in der DDR sind ungewollt kinderlos. Das teilte jetzt der bekannte DDR-Sexualforscher Dr. Siegfried Schnabl mit. Nach seinen Angaben sind die Ursachen etwa je zur Hälfte bei der Frau und beim Mann zu suchen. Nur in einem Teil der Fälle können sie durch Behandlung behoben werden. Auf der anderen Seite neigen aber auch viele Frauen, und besonders Unverheiratete, zum Sohwangerschaftsabbruch. Der Potsdamer Gynäkologe Manfred Herger hat jetzt in diesem Zusammenhang im SED-Blatt „Märkische Volksstimme“ kritisiert, daß ln der DDR nicht wenige Mädchen, die sich eigentlich ein Baby wünschen, zum Schwanigerschaftsabbruch gedrängt werden. Eltern und Partner forderten nachdrücklich zum operativen Schwangerschaftsabbruoh auf, weil er ihnen als der „bequemste Ausweg aus dem durch die verfrüht eingetretene Schwangerschaft entstandenen Konflikt“ erscheine. Herger bezeichnete dieses Verhalten der Eltern und jungen Männer als „unerfreulich".

Besonders müssen aber auch unverheiratete junge Mütter ln der DDR gegen Vorurteile ihrer Mitmenschen ankämpfen. Der Kolumnist des SED-Blattes „Leipziger Volks tärs der mit den USA alliierten Staaten ist das kleine Schweden vermessen genug, militärisch bündnisfrei dastehen zu wollen, weder der NATO noch der EG anzugehören, und

Zeitung“, Prof. Wittenbeoher, wandte sich dieser Tage gegen „liebe Mit- mensohen, die über ein jimges Mädchen die Naise rümpfen, weil es ein Kind zur Welt gebracht hat“. Man könne nicht daraus, daß ein Mädchen vielleicht aus Liebe einmal leichtfertig gebandel’t haibe und frü her als gewünscht oder allgemein üblich ein Kind bekomme, ableiten, es sei „imoralisoh nicht einwandfrei“. Das, so Prof. Wittenbecher weiter, „wäre hofftiungsloses Muckertum, wie es aiif dem Boden der bürgerlichen Moral blüht, bei tips aber keinen Platz mehr hat“. Ganz im Gegenteil bedürfe eine solche junge Mütter der Hilfe nicht nur ihrer Familie und Freunde, sondern ihrer Mitmenschen überhaupt.

Wie weiter aus zuverlässiger Quelle zu erfahren war, gibt es in der DDR unter den arbeitsfähigen Männern derzeit keine ungenutzten Arbeitsreserven mehr. Der Beschäftigungsgrad der Frauen ist einer der höchsten in der Welt; er beträgt 83,6 Pozent. In der DDR arbeiten nur 810.000 Frauen zwischen 18 und

60 Jahren nicht, darunter 420.000 Frauen mit einem oder zwei Kinder. Durch die Schaffung neuer Kinder- krippenplätze soll auch nocb ein Großteil dieser Frauen für den Arbeitsprozeß freigemacht werden.

Sehr imgünstig wirkt sich auch der hohe Prozentsatz an Ehescheidungen auf die Bevölkerungskurve der DDR aus. Allein 1973 wurden in Mitteldeutschland 34.788 Scheidungen vollzogen. Das wirkte sich natürlich auch auf die Geburtenzahlen der vergangenen Jahre aus. Am größten ist die Scheidungshäufigkeit im zweiten bis vierten Ehejahr, allerdings mit rückläufiger Tendenz. Dagegen nimmt der Anteil der Scheidungen von Ehen mit einer Dauer zwischen 10 und 25 Jahren seit’ einigen Jahren zu, was mit wachsender Sorge und einer gewissen Ratlosigkeit betrachtet wird.

In diesem 2usammenhang werden neuerdings in der DDR bemerkenswerte Anstrengungen unternommen, um junge Leute auf die Ehe vorzubereiten. Neben Eheschulen, die in der letzten Zeit in einer Reihe von Städten gebildet wurden, veranstalten auch die Volkshochschulen entsprechende Ehelehrgänge. Sie sollen es den jungen Menschen erleichtern, „eine glückliche Ehe zu führen und ein harmonisches Familienleben zu gestalten“. Nach Ansicht des DDR- Volksblldungsministeriums entsprechen sie daher „einem besonderen gesellschaftlichen Bedürfnis“, denn den jungen Eheleuten wird nahegebracht, für die ersten Ehejahre wenigstens zwei Kinder einzuplanen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung