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Die vaterlose Familie

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In den vergangenen Jahren wurden von der Familienbewegung ganz besonders Aufgabe und Bedeutung der Mutter in der Familie untersucht und öffentlich behandelt. Kernstück war das Problem der erwerbstätigen Mutter und das Los der Schlüsselkinder. Wenngleich wir vom erwünschten Ziel noch weit entfernt sind, kann man doch sagen, daß es gelungen ist, die Einsicht in dieses Problem zu wecken bzw. zu vertiefen und das öffentliche Gewissen etwas wachzurütteln. Man hat inzwischen vielerorts einzusehen begonnen, daß die Familie als Prototyp aller Gemeinschaft und als kulturell und religiös unersetzlicher Lebensquell zu einer funktionsentleerten Bettgehergemeinschaft degeneriert, wenn die Mutter ihre familiäre Aufgabe nur noch als Nebenberuf betrachtet; daß der lebendige Organismus Familie abstirbt, wenn das Herz fehlt. Zweifellos ist nun hier schon einer neuen Entwicklung Bahn gebrochen — nach vielem Widerstreben und demagogischem Sperrfeuer gewisser sich fortschrittlich dünkender Kreise, die uns — das Problem selbst bagatellisierend und unsere Absichten mißdeutend — oft und gern als „reaktionär“ beschimpften, bis sie zu merken begannen, daß sie sich damit selbst bezeichneten; es war ihnen die Zeit davongelaufen, die sich nicht durch überholte und durch unsachliche Schlagwörter vom „Gebärzwang“ und von der „Verbannung der Frau hinter den Herd“ aufhalten läßt. Die Einführung einer von uns seit Jahren mit Nachdruck geforderten Mutterbeihilfe im Rahmen des Familienlastenausgleichs ab 1961 hat gezeigt, daß die Einsicht bis in die politische Verantwortlichkeit vorzudringen beginnt. So weit, so gut.

Anders beim Vater. Bei ihm müssen wir erst dort anfangen, wo wir vor zahlreichen Jahren mit der Mutter begonnen haben. Dies wird insofern noch schwieriger sein, weil seine Abwesenheit von der Familie, sein Fehlen in der Erziehung im Hinblick auf die .Folgen nicht mit jener Deutlichkeit gesehen und erlebt werden wie bei der Mutter. J)&. . Zusammenhang ist nicht so augenscheinlich. Und doch: der lebendige Organismus Familie erstirbt ebenfalls, wenn das Haupt fehlt. Damit sind wir beim engeren Thema: die vaterlose Familie in der Industriegesellschaft. Es ist an der Zeit, die Diskussion nun darüber zu beginnen, soll nicht der falsche Eindruck Platz greifen, die Familie sei nur Gemeinschaft voh Mutter und Kind, der Vater ein biologisch und finanziell notwendiges Anhängsel dazu.

„Gestalt im Schatten" ist der Vater von heute schon genannt worden. Das will besagen, daß er durch Beruf und Arbeit, durch die heutige Gesellschaftsund Wirtschaftsverfassung vielfach a n den Rand der Familie gedrängt wurde und in die Isolierung geraten ist. Die Kinder kennen oft nur noch sein müdes, abgespanntes Gesicht, desgleichen die Frau. Daheim ist er müde, daheim ist er abgekämpft, daheim schläft er. Noch schlimmer beim Wochenpendler; ihn haben Frau und Kinder nicht einmal täglich müde und schlafend bei sich. Ist das ein Vorwurf gegen den Vater? Grundsätzlich und im allgemeinen natürlich nicht. Die arbeitsteilige Wirtschaft ist ein zwangsläufiges Ergebnis der industriellen Zeit; und schließlich, für wen rackert sich der Vater die ganze Woche über ab? Doch nur für seine Familie! — Woher soll Hilfe kommen?

Wirtschaft und Gewerkschaft müssen helfen

Zunächst wird man in der Wirtschaft versuchen müssen, bei der Arbeitseinteilung, bei der Schichtzuteilung, bei Sonntagsarbeit (Verkehrsbetriebe), bei Versetzungen vom Wohnort usw. auf die Arbeitskraft Vater im Hinblick auf dessen familiäre Aufgabe Rücksicht zu nehmen. Er hat, wo dies betrieblich möglich ist, gegenüber dem Ledigen und Kinderlosen in dieser Hinsicht bevorzugt behandelt zu werden. Es gibt da noch viele ungenützte Möglichkeiten. Wo dies bewußt nicht geschieht, muß dies als Auswirkung einer familienfeindlichen Einstellung bezeichnet werden, gegen die in den verschiedensten Bereichen die Fami lienorganisationen seit Jahren einen umfassenden Kampf führen.

Daneben besteht unsere große Hoffnung in einer familiengemäßen Nützung des verlängerten Wochenendes (Samstag und Sonntag) und in der inzwischen schon erfolgten reichlichen Kürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 45 Stunden (gegenüber etwa achtzig Stunden in der ersten Phase des Industriezeitalters). Diese Hoffnung allerdings wird sofort wieder dadurch weithin zunichte gemacht, daß viele Väter gerade ihrer Familie wegen infolge des immer noch sehr unzulänglichen Familienlastenausgleichs Überstunden machen und einer Nebenbeschäftigung nachgehen müssen. Das ist eine schwere Hypothek unserer sozialen Ordnung, die auf diese Weise vielen Familien — insbesondere gerade den kinderreichen — den Vater in dessen Freizeit wegnimmt. Unter diesem Gesichtspunkt könnten etwa auch die Gewerkschaften mit den Familienorga- nisationen für eine weitere, spürbare Verbesserung des Familienlastenausgleichs eintreten, damit der Arbeitnehmer Vater wieder Zeit für seine Familie hätte (oder gibt es unter den gewerkschaftlich organisierten Männern keine Väter, insbesondere solche mehrerer Kinder?). Das wäre für die Familien und somit für das Volksganze viel wichtiger als das Anstreben einer unter den gegebenen Verhältnissen auch volkswirtschaftlich und arbeitspolitisch kaum verantwortbaren weiteren allgemeinen Arbeitszeitverkürzung, die auf Grund des vorhin Gesagten den Vätern bzw. ihren Familien ohnehin nicht viel nützte, dafür aber den Ledigen und den doppelverdienenden kinderlosen Ehepaaren ihre im breiten Durchschnitt umbewältigte Freizeit oder ihren manchmal exorbitanten Lebensstandard (durch Ermöglichung weiterer Einnahmen von nebenberuflicher und Überstundentätigkeit) noch erhöhen hülfe. Abhilfe also wäre vor allem dadurch zu schaffen, daß es den weiteren Ausbau des Familienlastenausgleichs den alleinverdienenden Vätern, das sind in der Regel diejenigen mit mehreren Kindern, ermöglicht würde, ihre freie Zeit tatsächlich bei ihrer Familie zu verbringen, anstatt aus Gründen ungelogener wirtschaftlichen Dringlich- lichkedt Überstunden machen und einem Nebenberuf nachgehen zu müssen. Ein solcher weiterer Ausbau des Familienlastenausgleichs könnte gerade an Stelle einer noch weitergehenden allgemeinen Arbeitszeitverkürzung durch Verwendung eines Teiles der dabei ersparten Gelder auf dem Wege einer Erhöhung der derzeit sechsprozentigen Abgabe zum Kinderbeihilfenfonds erfolgen. Machen wir uns doch nichts vor! Im Gegensatz zu den üblichen Reden über eine großzügige Fa- roilienpolitik ist doch in den zurückliegenden fünf Jahren (seit der Be- schließung des Familienlastenausgleichsgesetzes) der stete Zuwachs des Nationalprodukts fast ausschließlich auf der Ebene der ersten Einkommensverteilung (Löhne, Gehälter) verausgabt worden, während die geringfügigen Verbesserungen im Fämilien- lastenausgleich in, der Hauptsache nur nominelle, zahlenmäßige Beihilfen-

erhöhungen aus der inzwischen gleichgebliebenen sechsprozentigen Abgabe zum Kinderbeihilfenfonds im Sinne einer Kompensation zur laufenden Geldverdünnung darstellen. Dies betrifft auch die im vergangenen Spätherbst zwischen den Koalitionsparteien vereinbarte Aufteilung der bis 1964 zu erwartenden Überschüsse in den Familienfonds. Während man in den vergangenen fünf Jahren eine auch nur geringfügige Erhöhung dieser Abgabe zum Kinderbeihilfenfonds jeweils als unerfüllbar zurückgewiesen hat, haben die Gewerkschaften und politischen Parteien ein Vielfaches unserer Wünsche auf dem Lohn- und Gehaltssektor durchgesetzt, weil man — wie Nell- B r e u n i n g kürzlich zutreffend gesagt hat — die Familie in unserer Gesellschaftsordnung immer noch zum „Sozialgepäck“ rechnet. Eine der Folgen davon ist die vaterlose Familie von heute.

Urlaub: Generalversammlung der Familie

Eine weitere Hoffnung zur Rückgewinnung des Vaters für seine Aufgabe in der Familie konzentriert sich auf seinen Urlaub. Auch hier müßte er, wenigstens bei Vorhandensein schulpflichtiger Kinder, gegenüber dem Ledigen und Kinderlosen insofern bevorzugt werden, als er seinen Urlaub auf jeden Fall zur Zeit der Schulferien der Kinder sollte nehmen können, und zwar zur Ermöglichung einer Familienerholung. Wohlgemerkt: einer Familienerholung! Wo eine solche Möglichkeit besteht, sollte sie dann unbedingt auch genützt werden, da ein von der ganzen Familie gemeinsam verbrachter Urlaub psychologisch und pädagogisch nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Da ist endlich eine Zeit, in der die Familie einmal ganz ihren Vater und in der der Vater einmal ganz seine Familie hat. Eine Zeit, in der der Vater seine Kinder wieder richtig kennen und verstehen lernen kann, in der gemeinsames Wandern und Spielen, Unterhaltung und Spaß detl-Tagesablauf bestatnmen. Das ist, äuch9 die Zeit, in der der Mann seine’, Frau,, wjederfindet, in Ruhe und Erholung, in gemeinsamen glücklichen Stunden. Nicht zuletzt im menschlichen Gespräch, zu dem während des Jahres oft so wenig Zeit bleibt. Und dies alles ohne Hast, ohne Hetze, abseits von beruflichem Ärger sowie körperlicher und geistiger Ermüdung. Eine solche gemeinsame Erholung kann für das ganze Familienleben ein neuer Ausgangspunkt werden: die gegenseitigen Beziehungen leben wieder auf, und schon manche freudlose oder wacklige Ehe, schon manche defekte Familie verdankt einer solchen gemeinsamen Familienerholung eine spontane Wiederbelebung und Wiedergesundung. Deshalb halten wir auch nicht viel von separater Mütter- und Kindererholung, es sei denn, daß es sich um Genesungsurlaube oder um sonstige besonders gelagerte Fälle handelt. Man sollte dieser Erkenntnis auch im katholischen Lager voll Rechnung tragen, wo manchmal separate Mütter- und Kindererholung als Grundsatz weiterbetrieben wird. In diesem Zusammenhang sei auch nicht verschwiegen, daß wir es für einen groben Schnitzer halten, daß die Caritas der Erzdiözese Wien (ob dies anderswo auch geschieht, weiß ich nicht) im Sommer — und sogar an den Kirchentüren! — Plakate anschlagen läßt mit folgendem Aufruf: „Wohin im Sommer mit den Kindern? Natürlich in eine Tagesheimstätte der Caritas!“ Nein, das ist grundfalsch! Genauso falsch, wie wenn eine solche Aufforderung etwa von den Kinderfreunden ausgeht. Es widerspricht den Grundsätzen einer familiengemäßen Erziehung, wenn man die Kinder, anstatt sie möglichst mit ihrer Familie zu vereinen, immer mehr einem Familienersatz überantwortet. Soll aber der Vater von seinem Schattendasein in der Familie wieder erwachen, wird gerade auch die Urlaubszeit im Sommer mit ihren besonderen Möglichkeiten genutzt werden müssen.

Vorliegende Zeilen konnten nur einige praktische Hinweise zur Lösung des aufgeworfenen Problems geben. Grundsätzliche Gedanken zur Problematik des Vaters in der Familie wie auch in der Öffentlichkeit müssen aus Platzmangel späteren

Veröffentlichungen Vorbehalten bleiben.

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