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Sind Kinder nur Privatsadie?

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Zum erstenmal seit ihrer Gründung im Jahre . 1947 veranstaltet die „Union Internationale des , Osganismes Familiaux“ ihre jährliche Studientagung in Oesterreich. In der zweiten Septemberwoche treten die wissenschaftlichen Experten und die Delegierten der Familienverbände aus allen Ländern der Welt in Wien zu ihren Beratungen über das Thema „Familienlastenausgleich als Element der sozialen Ordnung" zusammen.

Die Redaktion.

Sicher haben auch Sie schon hören können: Zum Kuckuck mit dieser Familienpolitik I Kinder sind doch eine private Angelegenheit jedes einzelnen. Warum also sollen wir dafür zahlen? Man unterstützt damit nicht zuletzt jene asozialen Großfamilien, bei denen der Mann nicht arbeiten braucht, weil er sich von den Kinderbeihilfen miterhalten kann. Andere wieder sagen: Mit der Familienpolitik haben wir schon unsere Erfahrungen gemachtl Der Staat braucht Soldaten zum Kriegführen und die Wirtschaft ein großes Angebot an Menschen für billige Arbeitskräfte. Nein, bei uns Zieht dieser Schlager nicht mehr. Kinder kriegen und aufziehen ist eine Sache der Dummen, die sich für andere einspannen lassen. So klingen auch heute noch manche Reden, stark emotional gefärbt wie, immer, wenn Leistungen für die Gemeinschaft verlangt werden oder wenn Ressentiments die Ansicht bestimmen.

Wenden wir uns den Tatsachen zu. Jedes

Volk hat bekanntlich nur dann Bestand, wenn aus seinen Familien ein ausreichender Nachwuchs kommt. Diese Binsenwahrheit gilt schon außerhalb jeder wehrpolitischen Betrachtung, weil ein Staat mit anhaltendem Bevölkerungsabgang eines Tages ohne einen Schuß Pulver von geburtenfreudigen Nachbarländern auf friedlichem Weg „besetzt“ wird.. Kinder sind auch in Friedenszeiten Voraussetzung der nationalen Selbsterhaltung und somit eine Leistung für die ’Gesamtgesellschaft. Wenigstens für jene, denen die Erhaltung des eigenen .Volkes einen Wert bedeutet.

Immer dann aber, wenn staatliche Maßnahmen direkt auf die Hebung oder Senkung der Geburtenfreudigkeit abzielen, ist der Ausdruck „Familienpolitik“ fehl am Platz. Hier handelt es sich vielmehr um „Bevölkerungspolitik“, einerlei ob diese ein erstrebenswertes Ziel verfolgt (z. B. die Sicherung der Pensionen und Renten für die kommenden Generationen) oder ob zweifelhafte Absichten damit verbunden sind („Der Staat braucht Soldaten, die Wirtschaft billige Arbeitskräfte“). Für die Bevölkerungspolitik sind die Maßnahmen für die Familie Mittel zum Zweck. Familienpolitik aber in der Auffassung der Familienbewegung bedeutet ein umfassendes Programm für die Familien um ihrer selbst willen. Es wäre sehr wünschenswert, wenn eine klare Unterscheidung dieser beiden Begriffe und ihrer sprachlichen Benennung allgemein Eingang in die Literatur und in die Ausdrucksweise des Volkes fände. Damit würden viele Mißverständnisse und Mißdeutungen ein Ende finden, die heute immer noch die familienpolitischen Bestrebungen belasten.

Es ist unbestreitbar, daß auch bei uns in Oesterreich zahlreiche familienpolitische Fortschritte auf bevölkerungspolitischen Antrieben beruhen. Keine Sorge: wehrpolitische Ueber- legungen waren es im militärisch neutralen Kleinstaat Oesterreich nicht. Aber die Angst vor der weiteren Vergreisung unseres Volkes, vor der auf die Spitze- gestellten Bevölkerungspyramide, die beim Fortbestand dieser Verhält nisse den Zusammenbruch unseres stolzen Wohlfahrtsstaates zeitlich genau berechnen ließ. Diese Erkenntnis hat auch in jenen Kreisen ihre Wirkung nicht verfehlt, die bisher dem Familiengedanken uninteressiert oder ablehnend gegenüberstanden. Man erkannte, daß Kinder nicht nur Privatsache sind, daß sie vielmehr neben der friedlichen Selbsterhältung des Volkes auch die Voraussetzung dafür bilden, daß die Altersversorgung der jeweils im Arbeitsprozeß stehenden Generation gewährleistet bleibt.

Familienpolitik beginnt also erst dort, wo der Familie als der Grundzelle und Ordnungseinheit aller menschlichen Gemeinschaft der ihr gebührende Platz in allen Bereichen der Gesellschaft ihres Eigenwertes wegen eingeräumt wird. Soweit es die materielle Seite betrifft, besteht die Lösung der Familienfrage bekanntlich in der Verwirklichung eines umfassenden Familienlastenausgleichs, welcher eine gleichmäßige Verteilung der im Interesse des Gemeinwohls aufgewendeten Mittel für Aufzucht und Erziehung der Kinder unter allen Mitgliedern der Gesellschaft herbeiführen soll. Bei der Ueberwindung der sozialen Deklassierung der Familie geht es ja nicht nur um die Sicherung der vitalen Lebensbedürfnisse, sondern vor allem auch um die Bereitstellung jener Mittel, welche die Familie braucht, um ihre unersetzliche erzieherische und kulturelle Funktion wieder voll erfüllen zu können. Eines der alarmierenden Anzeichen für den bestehenden Mangel ist beispielsweise die große Zahl jener Familienmütter, die zum Schaden von Familie, Volk und Kultur gezwungen sind, wegen des unzureichenden Einkommens des Familienerhalters einem außerhäuslichen Erwerbsleben nachzugehen.

Die Widerstände gegen die Einführung eines umfassenden Familienlastenausgleichs sind nach wie vor nicht gering. Einerseits wirkt sich das traditionell individualistische Denken der westlichen Welt nachteilig aus, welches allzu stark das Individuum betont und deshalb die,'Zelle der menschlichen Gemeinschaft vernachlässigt. Auf der anderen Seite verbindet man vielfach mit; dem Begriff der Familienpolitik Vorstellungen der Fürsorge und der christlichen Caritas. Unbeschadet der Bedeutung der Fürsorge und der zeitlosen Gültigkeit der christlichen Caritas handelt es sich aber beim Familienlastenausgleich gründsätzlich nicht um eine Frage der Notstandshilfe, sondern um soziale Gerechtigkeit. Neben dem unangetasteten Prinzip des individuellen Leistungslohnes soll der Familienlastenausgleich eine von diesem unabhängige zweite Einkommensverteilung nach dem’ Gesichtspunkt des Familienstandes darstellen. Schließlich wirkt es sich als großer Nachteil aus, daß die kinderreichen Familien eine Minderheit darstellen, nur jede vierte Familie hat in Oesterreich drei oder mehr Kinder. Ihre Forderungen finden deshalb oft nicht das nötige Gehör bei den Politikern.

Der Einwand, daß zur Familie wesensgemäß Opferbereitschaft gehöre und die Realisierung eines umfassenden Lastenausgleichs gerade dieses, das religiös-sittliche Fundament der Familie bestimmende Merkmal zum Verschwinden brächte, ist nicht richtig. Opfer sind in einer Fatniliengemeinschaft noch genug zu bringen, auch wenn der drückende Kampf um das tägliche Brot wegfällt. Wie viele Sorgen sind es, die um das leibliche und seelische Wohl eines Kindes von der Geburt bis zum Eintritt in das selbständige Erwachsenenleben den Eltern erwachsen! Die Lösung der Berufsfrage gehört ebenso noch dazu wie die oft lebensbestimmende Wahl des 'Ehepartners. In Wirklichkeit ist es daneben so, daß erst der Wegfall von finanzieller Bedrückung das menschliche und kulturelle Leben innerhalb einer Familie richtig erblühen läßt. Es ist also eine Ironie, wenn zu allen wesensnotwendigen großen Opfern der Elternschaft der zermürbende Kampf um die vitalen Lebensbedürfnisse als familiengemäß dazugefordert wird.

Wenn nun in der eben begonnenen Legislaturperiode die Familienverbände im Rahmen gegebener Möglichkeiten weitere Fortschritte im Familienlastenausgleich anstreben werden, so mögen die politischen Parteien mit uns einen mutigen Schritt nach vorne wagen. Wir wollen es als ein gutes Zeichen werten, daß eine der ersten Handlungen des neuen Parlaments die Einführung der vollen 13. Kinderbeihilfe brachte. Als ein gutes Zeichen nur, denn die Familie verlangt mehr als eine Politik der kleinen Mittel!

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