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Bevölkerungspolitik ist nicht Familienpolitik

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Die Anliegen der Familien werden nun schon seit mehr als einem Jahr in breitester Form durch die gesamte österreichische Presse lebhaft debattiert und in vielen öffentlichen Reden behandelt. Dabei wird aber wahllos von „bevölkerungspolitischen“ und von „familienpolitischen" Erwägungen gesprochen, weil der tiefe Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen ziemlich unbekannt ist. So hat es auch wenig Ueberraschung ausgelöst, daß der Verfassungsgerichtshof den zur Debatte stehenden Familienlastenausgleich als bevölkerungspolitische Maßnahme deklarierte. Sein Erkenntnis vom 21. Juni 1954, veröffentlicht im Bundesgesetzblatt vom 17. August 1954, wurde in folgendem Rechtssatz zusammengefaßt:

„Maßnahmen zur Erleichterung der Familiengründung und zur Hebung der Geburtenfreudigkeit durch Gewährung von Familienbeihilfen fallen unter den Kompetenztatbestand ,Bevölkerungspolitik'.“

Es besteht aber ein grundlegender Unterschied zwischen „Bevölkerungspolitik“ und „Familienpolitik“. Wie sehr man in Oesterreich nur bevölkerungspolitische Maßnahmen im Auge hat, wenn man von Familienpolitik spricht, geht daraus hervor, daß solche Maßnahmen wohl oder übel in die Kompetenz der Länder fallen, wie etwa auch „Prämien zur Aufzucht von Kälbern“. Wo die Seele des Kindes nicht mit ins Kalkül gezogen wird, genügt die „Aufzucht“. Wer aber an eine Seele glaubt, der wird die bloße Aufzucht von Kindern für unzureichend halten und der Meinung sein, daß bei Kindern — sehr zum Unterschied von Kälbern — die Erziehung dazukommt und mindestens ebenso wichtig ist wie die Aufzucht. Und zur richtigen Erziehung der Kindersind Vater und Mutter erforderlich, die dabei im Rahmen einer geordneten Familie Zusammenwirken müssen.

Während die Hauptfrage des Bevölkerungspolitikers „W ie viele Kinder?“ lautet, ist die Sorge des Familienpolitikers darauf gerichtet, daß die vorhandenen Kinder (ohne Rücksicht auf ihre Anzahl, also auch die Alleinkinder einbezogen) i m Schoß geordneter Familien erzogen werden.

Für das Bestehen geordneter Familien sind auf allen Gesetzesgebieten entsprechende Voraussetzungen notwendig. Die materiellen Voraussetzungen gipfeln aber in folgenden zwei Hauptforderungen der Familienpolitik:

a) Die Familie muß über ein Einkommen verfügen, welches wenigstens so ausreichend ist, daß die Hausfrau und Mutter ihrem häuslichen Pflichtenkreis erhalten bleibt.

b) Die Familie muß eine genügend große Wohnung haben.

Die erste Grundvoraussetzung eines geordneten Familienhaushaltes beschrieb schon Papst Pius XI. in seiner Sozialenzyklika „Quadragesimo anno“ mit folgenden Worten: „Daß Hausfrauen und Mütter wegen Unzulänglichkeit des väterlichen Arbeitsverdienstes zum Schaden ihres häuslichen Pflichtenkreises und besonders der Kindererziehung außerhäuslicher Erwerbsarbeit nachzugehen genötigt sind, ist ein schändlicher Mißbrauch, der — koste es, was es wolle — verschwinden muß.“ Aber leider ist dieser Mißbrauch, der mit den Müttern getrieben wird und der viele Frauen zu ihrem eigenen Leid an der Erfüllung ihrer natur- und gottgewollten Berufung verhindert, bis heute noch nicht verschwunden. Auch in christlichen Staaten nicht. Auch in Oesterreich sind die wirtschaftlichen Verhältnisse so, daß jede dritte Hausfrau berufstätig ist, „zum Schaden ihres häuslichen Pflichtenkreises und besonders der Kindererziehung“.

Wenn es also dem Staate gelänge, im Wege des Familienlastenausgleiches und einer familiengerechten Besteuerung die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen,

daß die Ehefrau cs nicht mehr notwendig hat, einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit nachzugehen, so wäre damit ein wertvolles familienpolitisches Ziel erreicht. Den Segen eines solchen Erfolges könnte man bald in der ganzen Bevölkerung verspüren. Abgesehen von vielen wirtschaftspolitisch wünschenswerten Erfolgen, wie Verminderung der Arbeitslosigkeit (es gibt in Oesterreich über eine halbe Million verdienende Ehefrauen), erhöhte Arbeitswilligkeit der Männer usw., wären selbstverständlich auch bevölkerungspolitische Auswirkungen (Vermehrung der Kinderzahl) und familienpolitische Wirkungen (z. B. Verminderung der Ehescheidungen, bessere Erziehung der Kinder, Eindämmung ungesunder Verschwendungssucht, Abnahme der Fürsorgefälle usw.) zu erwarten. Und für den Staat selbst ist es nicht unerheblich, daß er sich — nach entsprechenden Verbesserungen des Familienlebens und der Kindererziehung — auch eine entsprechende Abnahme der Kriminalität, besonders unter der Jugend, erwarten kann.

Zwei Mittel hätte der Staat in der Hand, um uns diesem familienpolitischen Ziel näherzubringen: Einerseits die Gewährung ausreichender Kinderbeihilfen, anderseits die Aufhebung der durch nichts gerechtfertigten und geradezu ungeheuerlichen doppelten Steuerbegünstigung der doppelt verdienenden Ehepaare. Nebenbei erwähnt, würden sich diese beiden Mittel gegenseitig vortrefflich ergänzen bzw. würde das zweite das erste ermöglichen. Wenn nämlich die „Nichtzusammenrechnungs-Begünsti- gung“ für die Einkommenbesteuerung der doppelt verdienenden Ehepaare aufgehoben würde, so könnte der Staat daraus ein steuerliches Mehraufkommen von — gering geschätzt — einer Milliarde Schilling jähr lich erzielen, womit gleichzeitig die schwierige Frage der Mittelaufbringung für ausreichende Familienbeihilfen gelöst wäre. Dann müßte man aber auch an jene Mütter denken, die schon ohne männlichen Ernährer dastehen und die Last eines doppelten Pflichtenkreises auf sich nehmen müssen: einerseits Haushalt und Kindererziehung, anderseits die Erwerbsarbeit zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes für sich und die Kinder. Wenn eine ausreichende Rente vorhanden ist, so übernimmt zwar diese die Funktion der Sicherstellung des Lebensunterhaltes, aber bei den übrigen unversorgten Müttern und Kindern ist die Fürsorgepflicht unseres „sozialsten Staates“ Oesterreich noch in einem mittelalterlichen Stadium steckengeblieben. Eine W aisenzulage zur Kinderbeihilfe (sowohl für vaterlose wie auch für mutterlose Kinder) könnte in allen jenen Fällen Hilfe bringen, wo keine Rente oder anderweitige Versorgung gesichert ist.

Die zweite Grundvoraussetzung eines geordneten Familienhaushaltes besteht in einer familiengerechtenWohnung. Auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens geschieht in Oesterreich zwar erfreulich viel, aber leider nicht familiengerecht.

Man kann es nicht oft genug und klar genug feststellen: Zu einer familiengerechten Wohnung müssen drei Schlafräume und ausreichender Wohn- und Abstellraum gehören. Nicht die Anzahl der „Wohnungseinheiten" ist maßgeblich, sondern ob sie für Familien mit heranwachsenden Kindern auch groß genug sind. Darüber schweigen leider die Statistiken, die so gerne stolze Ziffern von soundso vielen neugeschaffenen Wohnungseinheiten verkünden. Oesterreich ist seit der ersten Nachkriegszeit wie vernarrt in den Begriff der „Kleinwohnung“. Nur diese werden mit öffentlichen Steuergeldern gefördert, wobei aber nicht bedacht wird, daß für eine auch nur halbwegs kinderreiche Familie eine Vierzimmerwohnung ebenfalls eine Kleinwohnung darstellt. Die Wohnungsgröße soll im Verhältnis zur Anzahl der Familienmitglieder stehen. Ein- und Zweizimmerwohnungen sind Zwangsjacken für kinderwillige Jungehen.

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