6613520-1955_16_06.jpg
Digital In Arbeit

Die Not der „weichenden Erben“

Werbung
Werbung
Werbung

Kinder bedeuten Glück. Im Bauernhaus zudem auch hochwillkommene Arbeitskräfte. Es ist für die schwierige Lage sehr vieler Bauernhöfe kennzeichnend, daß sie sich nur dann aufrechterhalten können, wenn mithelfende Kinder einen Großteil der Arbeit abnehmen und daß schon mancher nur deshalb verkauft werden mußte, weil der Bäuerin der Muttersegen versagt blieb und so die helfenden Kinder fehlten.

Aber auch dieses Glück findet ein Ende, wenn der altgewordene Bauer den Hof einem der Kinder übergibt, während sich die anderen mit einer meist nur recht bescheidenen Abfertigung begnügen müssen. (Dem Uebernehmer, der auch für den Unterhalt der Eltern — das Ausgedinge — aufzukommen hat, fallen jedoch auch diese Leistungen meist recht schwer, und manchem Bauern gelingt Zeit seines ganzen Lebens nicht, die aus der Uebergabe stammenden Schulden abzustoßen. In Würdigung dieser Tatsache werden ja auch die Bewertungen der Liegenschaften, welche, für die Verteilung der Erbteile maßgebend sind, stets sehr nieder vorgenommen.)

Einige der „weichenden“ Geschwister — es sind dies immer weniger — bleiben auf dem elterlichen Hof. Sie verzichten auf Ehe und Selbständigkeit und dienen dem Bruder als treueste und — doch nicht immer bedankt — als billigste Helfer. Die meisten aber gehen „in die Welt“. Nicht gerne als Knechte oder Mägde auf eine andere Bauernwirtschaft, da sie — als Bauernkinder — darin einen sozialen Abstieg erblicken. Lieber wandern sie in die Stadt ab, in ein Industrieunternehmen, oder sie suchen eine Anstellung als Gendarmeriebeamter oder als Briefträger. Der Uebergang — verbunden mit einer tiefgreifenden Umstellung in der bisherigen Lebensweise — fällt ihnen meist sehr schwer. Da sie außerdem keine handwerkliche Ausbildung genossen haben und ihre im Elternhaus gewonnenen Kenntnisse und Erfahrungen in der neuen Umgebung nur selten verwerten können, bleiben sie zumeist — trotz aller natürlichen Fähigkeiten — in untergeordneten Stellungen, besonders dann, wenn sie den Beruf erst in vorgerückten Jahren wechseln.

Die meisten Landflüchtigen (Professor Seedorf nennt sie richtiger „Landvertriebene“) wären angesichts der harten Bedingungen des Ueber-ganges glücklich, könnten sie auf dem Lande, in der gewohnten Umgebung und bei der liebgewonnenen Arbeit verbleiben. Aber die bescheidenen Mittel langen bei weitem nicht aus, um auch nur den kleinsten Hof zu pachten oder als geeigneter Bewerber um die Hand einer Hoferbin aufzutreten. (Auch in diesen Belangen spielt die Höherbewertung von „reich“ vor „tüchtig“ sowie das falsche soziale Vorurteil eine unselige Rolle.) Es verbleibt den meisten weichenden Erben somit nichts anderes übrig, als sich mit ihrem traurigen, armen Schicksal abzufinden.

Man nimmt an, daß sich in Oesterreich rund 40.000 „auslaufende“ Höfe befinden, das sind Anwesen ohne Erben. Es waren auf diesen entweder niemals Kinder vorhanden oder diese wurden Opfer des Krieges oder sie zeigen keine Neigung, den Hof zu übernehmen. Die alten Besitzer führen ihn daher, so gut sie es noch vermögen, allein weiter, müssen aber zusehen, wie seine Erträge langsam sinken und er, da auch mangels genügender Mittel die notwendigsten Erhaltungsarbeiten unterbleiben, allmählich verfällt. Es wäre naheliegend, den Hof zu verpachten. Aber der Pachtzins würde nur in den seltensten Fällen für das zum Leben Notwendige reichen. Und die Angst vor einer neuerlichen Geldentwertung — es ist unvergessen, wie viele Alte nach dem ersten Weltkrieg die bösesten Erfahrungen machten — hält die Besitzer zurück, ihren Hof zu verkaufen.

In einzelnen, leider seltenen Fällen haben die alten Bauern einem Verwandten oder einem ehemaligen Hausgenossen den Hof gegen die Zusicherung eines notariell genau festgelegten „Ausgedinges“ übergeben und damit eine Tat gesetzt, die alle Teile voll befriedigt: Die alten Besitzer haben ausgesorgtl Ihr Lebensabend kann ruhig und sorgenlos verlaufen. Die jungen Uebernehmer wurden, auch wenn sie außer starken Fäusten, einem guten Willen und einem anständigen Charakter (das ist freilich nicht wenig) keinerlei Vermögen besaßen, Bauersleute, welche die Last der Ausnahme leicht auf sich nehmen können und auf einem Hof gerne das leisten, was die Allgemeinheit von diesem an Nutzungen und Steuern erwartet.

In einzelnen Fällen gelang es also — wie eben gezeigt werden konnte —, einen weichenden Erben — auch ohne Eigenmittel — an das Ziel seiner Träume zu bringen und zugleich alten Leuten wirksam und dauernd zu helfen. Ist nicht nun, angesichts dieser erfreulichen Tatsache, die Frage berechtigt: Warum kann diese einfache und dabei doch so glückliche Lösung nicht auch in den anderen 40.000 Fällen herbeigeführt werden, in denen doch so ganz ähnliche Verhältnisse bestehen?

Die Antwort ist leicht gegeben: Keiner weiß vom anderen! Keiner findet den Weg, den Anschluß, keiner wagt — um ja nicht mißverstanden zu werden — auch nur eine Anfrage! Das ist verständlich! Aber es gibt Personen, besonders des geistlichen Standes, die infolge ihrer Stellung über den Parteien und der genauen Kenntnis des beiderseitign Notstandes in der Lage wären und — wie es mir scheint — auch berufen sind, die ihnen geeignet Erscheinenden näherzubringen, zwischen ihnen zu vermitteln und zum Zustandekommen eines den beiderseitigen Interessen voll Rechnung tragenden Uebereinkommens beizutragen.

Der Durchführung dieses Gedankens steht die Höhe der bei Schenkungen zwischen Lebenden zur Vorschreibung gelangenden Gebühren hindernd entgegen. Es wäre wohl angesichts der Vorteile, die sich aus solchen Hofübergaben für die Allgemeinheit in so vieler Hinsicht ergeben, gerechtfertigt, für derlei Fälle Ausnahmebestimmungen — etwa durch Gleichstellung der Uebernehmer mit Kindern — zu treffen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung