Es geht um mehr als Geld

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Ein Volksbegehren bietet jetzt die Chance, für ein familienfreundlicheres Österreich zu votieren.

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Ein Volksbegehren bietet jetzt die Chance, für ein familienfreundlicheres Österreich zu votieren.

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Ob schlichtes Verschlafen angesichts des Nationalratswahlkampfes oder bewußtes Totschweigen - durch eine wirklich angemessene Berichterstattung über das von 9. bis 16. September laufende Familien-Volksbegehren hat sich die Mehrzahl der Medien in Österreich bisher, zumindest bis zum Beginn dieser Woche, nicht hervorgetan. Und ohne ein gewisses Rauschen im Blätterwald beziehungsweise im Äther droht die Aktion in den Geruch einer Minderheitenfeststellung zu kommen, die wenig politisches Gewicht hat.

Für welche Anliegen werben nun die Träger des Begehrens - der Österreichische Familienbund, der Katholische Familienverband, die die ARGE der Bäuerinnen, die Österreichische Schülerunion, das Österreichische Hilfswerk, die Österreichische Hausfrauen-Union und die Katastrophenhilfe Österreichischer Frauen - um Unterschriften?

Unter dem Titel "Familien stärken - Zukunft sichern!" stehen folgende Punkte: * Karenzgeld für alle * Kinderbetreuungsgeld * Vereinbarkeit von Familie und Beruf * Schutz vor Sekten und Gewalt in den Medien * Heimfahrtbeihilfe für Schüler und Lehrlinge * Voller Kostenersatz für Zahnspangen Der dramatische Geburtenrückgang der letzten Jahre von 130.000 auf 80.000 Geburten pro Jahr ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß die an sich positive Einstellung zu Partnerschaft und Familie, die bei über 90 Prozent aller Jugendlichen vorhanden ist, in der Realität auf große Schwierigkeiten stößt. Es kommen viel weniger Kinder zur Welt, als sich die jungen Frauen in der Theorie wünschen, auch viel weniger, als das Land in den nächsten Jahrzehnten brauchen würde, um das Verhältnis zwischen arbeitender Bevölkerung und Pensionsempfängern auch nur annähernd stabil zu halten. Der Mut zum Kind ist wie der Mut zur dauerhaften Bindung in Form der Ehe stark gesunken. Der "Lebensabschnittspartner" verdrängt den Ehepartner, der Ruf, alle Formen von Lebensgemeinschaften den durch Trauschein besiegelten Ehen gleichzustellen, ertönt von einigen Seiten immer lauter.

In dieser Situation spielt wie seinerzeit das Frauen-Volksbegehren das Familien-Volksbegehren natürlich in ideologische Konflikte hinein. Die Lager jener, welche dabei nur die Rolle der Frauen betrachten und diese entweder nur am heimischen Herd oder nur im außerhäuslichen Erwerb (mit den Kindern, so vorhanden, möglichst früh in Betreuungseinrichtungen wie Kinderkrippen, Krabbelstuben oder Kindergärten) sehen wollen, prallen unversöhnlich aufeinander. Der häufigere Fall ist aber, daß Frauen und Männer dieses sture Entweder-Oder gar nicht wollen, sondern individuelle, flexible Lösungen anstreben, um Familie und Berufsleben unter einen Hut zu bringen.

Wer - meist ist es die Mutter - den außerhäuslichen Erwerb unterbrechen will, um ein kleines Kind zu betreuen, sollte nicht als "Heimchen am Herd" gebrandmarkt werden. Dieser Schritt verdient Anerkennung statt Diskriminierung. Der Wiener Katholische Familienverband hat es jüngst auf den Punkt gebracht: "Fast jede Form der Kinderbetreuung wird mit öffentlichen Mitteln gefördert, nur die Betreuung durch die eigenen Eltern nicht. Würden Mütter ihre Kinder tagsüber tauschen, wären sie als ,Tagesmutter' durchaus förderungswürdig. Betreuen sie hingegen ihre eigenen Kinder, gibt es dafür keinen Groschen!"

Was bei alten, gebrechlichen Personen durch die Einführung des Pflegegeldes akzeptiert ist - daß nämlich die Betreuung daheim mehr im Sinne der Betroffenen ist und die öffentliche Hand billiger kommt als die Unterbringung in Pflegeheimen -, wird bezüglich der Kinder anscheinend nicht begriffen.

Einzelne der jetzt im Volksbegehren geforderten Maßnahmen werden schon lange heißt diskutiert. Die reservierte Haltung von SPÖ, Liberalen und Grünen zum von der ÖVP geforderten Karenzgeld für alle oder zum Kinderbetreuungsgeld in den ersten Lebensjahren, das die FPÖ in Kärnten mit dem Titel "Kinderbetreuungsscheck" vor der letzten Landtagswahl versprochen hat und nun in zwei Gemeinden erproben will, ist bekannt.

Dabei hat eine vom Wiener Katholischen Familienverband in Auftrag gegebene Fessel-GfK-Umfrage gerade ergeben, daß 60 Prozent der Bevölkerung das Karenzgeld für alle und 58 Prozent den Kinderbetreuungsscheck (etwa in der Höhe des Karenzgeldes zwei bis drei Jahre über die Karenzzeit hinaus) befürworten. Die Befragten bis 29 Jahre äußerten sogar zu 77 beziehungsweise 78 Prozent Zustimmung zu diesen Maßnahmen, lediglich die Altersgruppe über 60 Jahre und dementsprechend die Pensionisten standen diesen Dingen mehrheitlich ablehnend gegenüber. Die Wähler aller politischen Parteien, vor allem der ÖVP und der Grünen, neigen mehrheitlich beiden Maßnahmen zu.

Die Initiatoren des Volksbegehrens betonen, daß diese Maßnahmen aus den Überschüssen des Familienlastenausgleichsfonds finanzierbar wären. Doch auf dortige Überschüsse hat der Finanzminister seit jeher ein begieriges Auge geworfen, schon 1979 und 1981 wurden die Einnahmen des Fonds um insgesamt ein Viertel gekürzt. Den Familien entgehen seither etwa 13 Milliarden Schilling pro Jahr, die zu den Pensionisten umgeschichtet wurden. Dabei ist unbestritten, daß in vielen Familien die Unterstützung durch die Großeltern, die meist auch großzügig erfolgt, eine wesentliche Rolle spielt, um über die Runden zu kommen.

Es dient aber niemandem, Senioren und Familien gegeneinander auszuspielen, vielmehr müßte eines, und zwar rechtzeitig, bevor die "Alterspyramide" völlig auf dem Kopf steht, erkannt werden: Wie die Sorge um die Alten muß auch die Sorge um die Kinder Anliegen der ganzen Gesellschaft sein. Dabei darf es nicht nur um Geld gehen, noch wichtiger ist persönliche Zuwendung und das Ermöglichen der dafür nötigen Zeit.

Wie bei jedem Volksbegehren kann man auch bei diesem über Details streiten. Details waren aber bei jeder nachträglichen Betrachtung eines Volksbegehrens nie wichtig, wohl aber stand der Stellenwert des Grundanliegens auf dem Prüfstand. Am 3. Oktober geht es nur unter anderem um Familienpolitik, in erster Linie wird ein neuer Nationalrat gewählt. Wer das Grundanliegen Familie gesellschaftlich hoch bewertet sehen will, dem bleibt nichts anderes übrig, als genau jetzt durch seine Unterschrift Farbe zu bekennen.

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