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Warum denn kein Erziehungsgeld ?

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Viele schöne Worte, wenig konkrete Aussichten: Die Regierungserklärung (siehe Kasten) ist für die Familien mager. Wie helfen? Warum denn kein Erziehungsgeld?

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Viele schöne Worte, wenig konkrete Aussichten: Die Regierungserklärung (siehe Kasten) ist für die Familien mager. Wie helfen? Warum denn kein Erziehungsgeld?

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Der Status quo in dürren Fakten: Verheiratete und nicht alleinstehende Mütter erhalten im Jahr 1989 ein monatliches Karenzurlaubsgeld von 4.524 Schilling. Alleinstehende Mütter und Verheiratete, deren Ehegatte kein oder nur ein geringes Einkommen erzielt oder erwiesenermaßen nicht für den Unterhalt seines Kindes sorgt, erhalten ein Karenzurlaubsgeld von 6.765 Schilling monatlich. Dieses wird bis zur Vollendung des ersten Lebensjahres eines Kindes ausbezahlt und ist von der vorhergehenden Erwerbstätigkeit der Mutter abhängig. Alleinstehende Mütter, die Karenzurlaubsgeld bezogen haben und nach dem Karenzurlaub ihre Erwerbstätigkeit nicht wieder aufnehmen können, können bis zum vollendeten dritten Lebensjahr des Kindes eine Sondernotstandshilfe beziehen, die sich nach dem vorhergehenden Erwerbseinkommen richtet. Nicht unselbständig erwerbstätige Mütter und nicht erwerbstätige Mütter erhalten kein Karenzurlaubsgeld.

In den Bundesländern Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich und Niederösterreich geben die Bundesländer Familien im zweiten Lebensjahr des Kindes, zum Teil aber auch im ersten beziehungsweise dritten Lebensjahr eine zusätzliche materielle Familienleistung.

In der letzten Zeit wurde die Frage des Karenzurlaubs- und des Erziehungsgeldes wiederholt diskutiert. Familienministerin Marilies Flemming tritt — so wie der Katholische Familienverband Österreichs — für eine Verlängerung des Karenzurlaubs auf drei Jahre ein und für ein Erziehungsgeld für nichterwerbstätige Mütter. Andere Vorschläge, etwa von Vertretern der SPÖ, sprechen sich für das Recht von Frauen, die für Kinder zu sorgen haben, auf Teüzeit bis zum dritten Lebensjahr des Kindes aus und für den Ausbau von familienergänzenden Einrichtungen. Ein anderer Diskussionspunkt ist in diesem Zusammenhang die Frage des wahlweisen Karenzurlaubs für Mütter und Väter, auf den aber hier nicht im spezifischen eingegangen werden soll.

Wissenschaftliche Befunde weisen auf die schwierige Situation der jungen Familien hin, die oft durch den Wegfall des zweiten Erwerbseinkommens infolge der Geburt eines oder weiterer Kinder verursacht wird.

Einen „neuen Ansatz eines familienphasenspezifischen Familienlastenausgleichs“, bei dem es „nicht nur um die gezielte Berücksichtigung einer spezifischen wirtschaftlichen Belastungssituation, sondern darüber hinaus um die wirtschaftliche Absicherung einer möglichst dauerhaften Betreuungssituation für das Kleinstkind durch eine feste Bezugsperson (Mutter oder Vater) geht“, sieht der Präsident des Statistischen Landesamtes Baden- Württemberg und Leiter der familienwissenschaftlichen Forschungsstelle, Max Wingen, im Erziehungsgeld für alle Mütter/ Väter. Er betont, daß dieses Instrument letztlich auf eine Verbesserung der ökonomischen Voraussetzungen für die frühkindliche Sozialisation und um eine Vergrößerung der Wahlfrei heit junger Eltern auf der Ebene der Familie abzielt. Wingen weist auf die Opportunitätskosten hin, also die Folgekosten, die durch die vorrangige Hinwendung zu Kinderbetreuung und damit durch den (zumindest vorübergehenden) Verzicht auf ein eigenes volles Erwerbseinkommen des betreffenden Elternteils entstehen, der die Kleinkindbetreuung übernimmt.

Wingen sieht vier Aspekte dieser Opportunitätskosten, und zwar das unmittelbar entgangene erwartete Erwerbseinkommen (dieses beträgt nach einer Vorarlberger Untersuchung durchschnittlich 7.500 Schilling; durch den Vorarlberger Famüienzu- schuß konnte der Einkommensentfall um 31 Prozent reduziert werden), den Bruch in der Einkommenskarriere auch bei späterer Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit und insofern eine Einkommenseinbuße in der gesamten späteren Erwerbsbiographie, die fehlende rentenversicherungsrechtliche Absicherung bei einem Rentensystem, dessen Ansprüche entscheidend über die Erwerbstätigkeit abgeleitet werden, und eine Art Risikoprämie, die sich auf die Schwierigkeiten bezieht, je nach der Arbeitsmarktsituation zum gewünschten Zeitpunkt die Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können.

Wingen hob bei einer Tagung des Katholischen Familienverbandes den integrativen Ansatz eines Erziehungsgeldes hervor.

das heißt, ein Maßnahmenbündel, in dem das Erziehungsgeld von weiteren anderen Maßnahmen flankiert wird, wie die gleichwertige Anrechnung von Erziehungszeiten im Rentenrecht, die arbeitsrechtliche Absicherung der Wiederbeschäftigung für diejenigen, die ihre Erwerbstätigkeit nur für den Zeitraum des Erziehungsurlaubs unterbrechen wollen, die Kontaktpflege zur Erwerbstätigkeit während des Erziehungsgeldbezuges. Dazu gehören aber auch Angebote zur Erhaltung der beruflichen Kompetenz. Bei längerfristigem Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit sind berufsorientierte Weiterbildungsmöglichkeiten und gezielte Hilfen zum Wiedereintritt in die Erwerbstätigkeit notwendig.

Im übrigen fordert der deutsche Experte, daß das Erziehungsgeld so anzulegen sei, daß es einer größeren Rollenflexibilität zwischen Mann und Frau nicht entgegensteht, also beiden zugänglich sein muß. Ein so verstandenes Erziehungsgeld dient der Förderung der Entwicklungsbedingungen junger Familien und von der materiellen Seite her der Vergrößerung deren Hand- lungs- und Entscheidungsspielräume. „Gerade die ökonomische Wirkung kann nicht zuletzt für

Alleinerzieher besonders wichtig sein, bei denen man sich unter Umständen auch differenzierte, also vergleichsweise höhere Beiträge gegenüber dem allgemeinen Erziehungsgeld vorstellen kann.“

So weit bekannt, wurde erstmalig in Vorarlberg die Einführung eines Landesfamilienzuschusses wissenschaftlich begleitet und dessen Auswirkungenwissenschaftlich untersucht. Der Wiener Wirtschaftswissenschaftler Christoph Badelt hob bei der Tagung des Katholischen Familienverbandes unter anderem hervor, daß das Durchschnittseinkommen der Vorarlberger Haushalte 10.700 Schilling betrug, daß also ein hoher Anteil von Familien mit niedrigem Einkommen von dem Programm profitiert hat. So hat ein großer Teil der Haushalte ein Netto-Pro-Kopf-Einkommen (ohne Familienbeihilfe) von unter 2500 Schilling. Das Familieneinkommen wurde durch den Zuschuß durchschnittlich um 20 Prozent gesteigert, ein Drittel hatte eine Einkommenssteigerung unter 15 Prozent, bei zwei Dritteln eine Einkommenssteigerung über 15 Prozent, bei einem Viertel sogar mehr als 30 Prozent Einkommenssteigerung.

Badelt sieht in diesen Familienzuschüssen vor allem eine Förderung von einkommensschwachen Alleinverdienerhaushalten. Im Hinblick auf den von Wingen apostrophierten integra- tiven Ansatz wird die Erfahrung interessant sein, wie weit die optimistische Einschätzung der Vorarlberger Frauen (obwohl das Programm geschlechtsneutral formuliert ist, sind nur 0,5 Prozent der Inanspruchnehmenden Männer) eines möglichen Wiedereinstiegs in das Erwerbsleben den Realitäten entspricht.

Die von der Landesregierung Vorarlberg genannten Ziele dieses Programms, nämlich eine finanzielle Entlastung der Familie, einer Sicherung der Geborgenheit des Kindes und eine Erhöhung der Wertschätzung der Familie, wurden mit diesem Pro-1 gramm zweifelsfrei erreicht.

Ebenso wie Wingen betont Badelt den Einbau dieser Maßnahme in ein breiteres familienpolitisches Programm. Er hebt hervor, daß ein Familienzuschuß nicht gegen andere Maßnahmen wie Öffnungszeiten der Kindergärten ausgespielt werden sollte, daß Maßnahmen zur Verstärkung der Erleichterung des Wiedereintritts gesetzt werden sollten und insgesamt eine familienfreundliche Gestaltung der Arbeitswelt erfolgen sollte, wobei großen Arbeitgebern wie Kirche, ÖGB, Bund als Beispiel eine wichtige Signalwirkung zukäme.

Wenn nun von verschiedenen Kritikern eingewandt wurde, das Erziehungsgeld bringe nichts, viel wichtiger seien andere Maßnahmen, so ist wohl darauf hinzuweisen, daß noch nirgends dieser integrative Ansatz voll verwirklicht wurde. In den Diskussionen der vergangenen Monate wurde wiederholt auf die großen familienpolitischen Leistungen Österreichs verwiesen. Es stünde Österreich gut an, auch in diesem Bereich beispielgebend Maßnahmen zu setzen.

Der Autor ist Generalsekretär des Katholischen Familienverbandes Österreichs.

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