6886196-1979_28_03.jpg
Digital In Arbeit

Alleinstehende und geschiedene Frauen

Werbung
Werbung
Werbung

1978 wurden in Österreich 12.400 Ehen geschieden. Der Anteil der Trennungen an den im selben Jahr vorgenommenen Eheschließungen (44.573) war damit auf 36 Prozent angestiegen. Ein Siebentel der 1978 Lebendgeborenen (85.402) war unehelicher Abstammung.

Hinter diesen Zahlen steht das Leid der Trennung und der Einsamkeit, stehen die vielfältigen Schwierigkeiten von und mit Kindern, die nur von einem Elternteil - meist der alleinstehenden Mutter - großgezogen werden, und steht nicht zuletzt das Los der zumeist berufstätigen, alleinstehenden Frauen und Mütter - einer sozialen Gruppe, die im Getto der Gesellschaft lebt.

Als zu Beginn der siebziger Jahre aus Kreisen der ÖVP, die im ASVG-Novellierungs-Kartell der beiden Groß parteien keine Rolle spielen, die Idee der Bevorschußung von Unterhaltszahlungen an alleinstehende Mütter ventiliert wurde, führte das zunächst zu heftigen Abwehrreaktionen bei den Lordsiegelbewahrern der quantitativen Sozialpolitik österreichischer Prägung. Später stimmten alle Parlamentsfraktionen einem einschlägigen Gesetz zu.

Die aus diesem Gesetz resultierenden jährlichen Kosten sind mit 150 Millionen Schilling vergleichsweise gering, dagegen ist der Nutzen dieser Regelung für tausende vom Kindesvater verlassener Mütter vergleichsweise groß, denkt man nur an die Fixkosten im Haushalt (Wohnen, Energie), die regelmäßig anfallen und bei Nichtbezahlen zur Kündigung der Wohnung und der Lieferung von Strom und Gas führen.

Als später die wirtschaftliche Rezession den Arbeitsmarkt verengte, riet ÖGB-Präsident Anton Benya den Unternehmern, bei allfälligen Kündigungen zuerst die Frauen vom Arbeitsplatz abzuschieben. Benyas Ratschlag war insofern durchaus systemkonform, als er dabei an das doppelverdienende Ehepaar dachte; die alleinstehende Frau und Mutter fand in diesem von der sozialen Wirklichkeit längst überrollten Denkschema keinen Platz.

Für die ÖVP ist die Rolle der Frau untrennbar mit ihrer generativen

Funktion im Familienverband verbunden. Sie vertritt damit ein Idealbild, an das zu glauben sie ehrt, das freilich in unserer sozialen Realität immer blässer wird.

Für die ÖVP ist Politik für die Frauen zunächst immer Politik für die Familien. Sie hat sich diese durchaus vornehme Haltung bis in ihr letztes einschlägiges „Alternativkonzept“ hinein bewahrt - recht un-belästigt von der Tatsache, daß der Anteil der erwerbstätigen Frauen in Österreich um einiges über dem in vergleichbaren westlichen Industriestaaten und nahe dem in den Staaten des Ostblocks liegt. Die Verschiebung des Heiratsalters nach oben, die rasch wachsende Zahl von Ehescheidungen und der steigende Anteil der unehelichen Kinder wurden als unliebsame Zeiterscheinungen abgetan.

Die berufstätigen und alleinstehenden Frauen und Mütter haben diese, und dies sei nochmals festgehalten, noble Haltung der ÖVP zur Familie nicht honoriert. Die Frauen, noch vor mehr als einem Jahrzehnt die Mehrheit innerhalb der ÖVP-Stammwählerschaft, sind zunächst zögernd, dann immer rascher zur SPÖ abgewandert.

Als seinerzeit (1970) die SPÖ die ÖVP zum erstenmal deutlich überholt hat, war das vor allem eine Folge des geänderten Wahlverhaltens der Frauen. Fast alle Gewinne der SPÖ in den siebziger Jahren sind auf die Erfolge der SPÖ bei den Frauen zurückzuführen. Und auch am 6. Mai waren die Frauen die Mütter des SPÖ-Erfolges.

Die wachsende Sympathie der österreichischen Frauen für die Sozialisten hat (und darüber mag man denken, wie man will) ihre Wurzeln einmal im offen bekundeten Verständnis sozialistischer Politikerinnen für die meist schwierige Situation der im Beruf und Haushalt eingespannten und/oder alleinstehenden Frauen und Mütter. Demgegenüber vernachlässigte die SPÖ von der Sozial- bis zur Steuerpolitik die dadurch nicht minder schwierig gewordene Lage der Mehr-Kinder-Familien, in denen die Rolle der Frau meist noch dem Idealbild der ÖVP entspricht.

Die von der SPÖ gestellte Bundesregierung betrieb und betreibt in den siebziger Jahren eine Politik für rasch wachsende Minderheiten innerhalb der soziologischen Gruppe der Frauen in Österreich: Für die ledigen, für die geschiedenen und für die berufstätigen Frauen. Eine unverheiratete und kinderlose Staatssekretärin für Familienfragen paßt durchaus in diese Konzeption.

Hohe SPÖ-Sprecherinnen, von Anneliese Albrecht über Demuth und Dohnal bis zur SPÖ-Obfrau Herta Firnberg (die Mitte der sechziger Jahre ein verdienstvolles Buch über „Die Frau in Österreich“ schrieb), gelierten sich in aller Regel und Offenheit als Vertreterinnen von Frauen, die sich immer mehr von der Familie emanzipierten. Die Rechtsreformen des Justizministeriums (Fristenlösung, Unterhaltsbevorschus-

„... gerierlen sich als Vertreterinnen von Frauen, die sich immer mehr von der Familie emanzipierten“

sung, Ehe- und Familienrecht) formten die gelegentlich vagen Vorstellungen der SP-Frauen zur juristischen Endgültigkeit.

Die berufstätige und/oder alleinstehende Frau und Mutter ist für die Politik vor allem ein sozialpsychologisches Phänomen. Es handelt sich dabei um eine größer werdende soziale Gruppe, die ihre sozioökonomi-sche Situation von Gesellschaft und Politik begriffen und akzeptiert wissen will. Viele von ihnen haben die Chance, als Frau und Mutter in einer Mehr-Kinder-Familie aufleben zu können, verpaßt. Daran werden sie auch dann erinnert, wenn dieses leider verblaßte Idealbild heraufbeschworen wird.

Man braucht keineswegs die Familienpolitik zu vernachlässigen und die Sozialpolitik zu überfordern, wenn man sich als Partei diesen Frauen wieder stärker zuwendet, wenn man davon abgeht, Schuldfragen zu stellen und damit beginnt, sich mit den Problemen dieser Frauen auseinanderzusetzen. Die sozialpolitische Sphäre dieser Auseinandersetzung ist - für die ÖVP gesprochen - zunächt gar nicht so wichtig wie die geistige Aufgeschlossenheit dazu.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung