Birgit Sauer: "Frauenpolitik der Bundesregierung ist reaktionär"

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Politologin Birgit Sauer spricht anlässlich des Internationalen Frauentages über Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben, diffuse Bedrohungen für Männer und die Salami-Taktik der Abtreibungsgegner.

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Politologin Birgit Sauer spricht anlässlich des Internationalen Frauentages über Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben, diffuse Bedrohungen für Männer und die Salami-Taktik der Abtreibungsgegner.

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Birgit Sauer ist Professorin für Politikwissenschaft an der Uni Wien mit Schwerpunkt Geschlechterforschung. Ein Gespräch über den aktuellen "Anti-Gleichstellungs-Backlash", den Wertewandel junger Väter und darüber, warum Parteien Frauen nur zögerlich fördern.

DIE FURCHE: Frau Sauer, morgen ist Internationaler Frauentag. 1911 wurde er zum ersten Mal begangen. Was hat seine Einführung abseits von symbolischer Bedeutung über die Jahrzehnte bewirkt?

Birgit Sauer: Bei seiner Einführung gab es Streiks von Arbeiterinnen und es ging darum, die Rechte von Frauen vornehmlich in der Erwerbsarbeit einzufordern. Der Anlass war also ein sehr konkreter. Im Laufe der Zeit hat der Tag immer mehr symbolische Bedeutung bekommen. Es war auch immer stark ein Tag der sozialdemokratischen Frauenorganisationen, in den staatssozialistischen Ländern sogar Staatsfeiertag. Heute sehe ich die Funktion und Wichtigkeit des Tages vor allem darin, vor Augen zu halten, dass Frauen in der Erwerbsarbeit nach wie vor nicht gleichgestellt sind. Und über die Jahrzehnte wurde seine Symbolik von der Erwerbsarbeit auch auf alle anderen Gesellschaftsbereiche ausgeweitet. Ein Tag, an dem man also darauf hinweist: es gibt noch einiges für die Gleichstellung zu tun.

DIE FURCHE: Vor 100 Jahren bekamen Frauen in Österreich das aktive wie passive Wahlrecht und am 4. März 1919 zogen die ersten weiblichen Abgeordneten ins Parlament ein. In der Politik sind Frauen heute aber nach wie vor stark unterrepräsentiert. Woran liegt das?

Sauer: Zuallererst liegt es an den Parteien. Denn Österreich ist eine Parteiendemokratie, in der die Parteien das demokratische Geschehen und den Repräsentationsvorgang von der Wahl bis zu den Abgeordneten im Nationalrat bestimmen. Die politischen Parteien entscheiden als Gatekeeper, wer auf die Wahllisten kommt. Und sie sind nur sehr zögerlich gewillt, Frauen aktiv zu fördern. Das hat natürlich lange historische Gründe: Im 19. Jahrhundert, als die Parteien, so wie wir sie heute kennen, gegründet wurden, war Politik männlich. Damals durften Frauen weder wählen, noch Mitglieder politischer Vereine sein. Das änderte sich erst Anfang des 20. Jahrhunderts. Obwohl Frauen dann wählen und gewählt werden durften, nahm die politische Integration aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg wirklich Fahrt auf. Noch länger dauerte es, bis die Parteien erkannten: Frauen wählen uns ja auch, vielleicht sollten wir die doch auch mehr einbinden, um ihre Stimmen zu bekommen. Es ist schon interessant, dass die österreichische Sozialdemokratie, eine Partei mit derart langer Tradition, erst nach 130 Jahren erstmals eine Frau an der Spitze hat. Neben den Parteien liegt die Unterrepräsentation aber auch an den Wählerinnen und Wählern. Denn auch die sind nach wie vor von eher traditionellen Geschlechterbildern geprägt und denken: Männer sind machtvoller und können sich besser durchsetzen. Männer werden also auf vielen Ebenen eher gewählt als Frauen.

DIE FURCHE: Im Gleichstellungs-Report des World Economic Forum belegt Österreich nur den 53. Rang unter 149 Ländern. Bei der Einkommensgleichheit gar nur Rang 107 von 149. Wie das?

Sauer: In der politikwissenschaftlichen Typologie nennt man Österreich einen konservativen Wohlfahrtsstaat mit starkem Ernährermodell. Will heißen: Die Vorstellung, dass es einen Familienernährer gibt, ist hierzulande institutionalisiert. Die im 19. Jahrhundert entstandene wohlfahrtsstaatliche Sicherung und die Herausbildung von Arbeitsmarktregulierungen etablierte das Modell. In Österreich ist zudem die Vorstellung stark verankert, dass die Mutter während der ersten Monate beim Kind bleiben muss. Auch die Kinderbetreuung ist sehr schlecht ausgebaut. All das führt bis heute dazu, dass Frauen deutlich weniger und diskontinuierlicher erwerbstätig sind, was wiederum zu niedrigeren Einkommen führt.

DIE FURCHE: In den meisten Gesellschaftsbereichen haben Frauen heute formal die gleichen Rechte wie Männer. In puncto Frauenrechte und Geschlechter-Rollenbilder vollziehen sich aber von Orbán bis Kaczyński, von Putin bis Erdog an gerade international große Backlashs. Warum ist das so?

Sauer: Ein antifeministischer, Anti-Gleichstellungs-und Anti-Gender-Backlash ist in den letzten rund zehn Jahren zu beobachten. Begonnen hat vieles aber bereits in den Jahren 1994/95, wo es in Kairo und Peking je eine große UNO-Konferenz zu Bevölkerungspolitik und zu Frauen gab. In deren Abschlussdokumenten wurde vieles an Gleichstellungspolitik integriert. Insbesondere die so genannten reproduktiven Rechte, vor allem das Recht auf Abtreibung. Das hat einem großen Player in der Welt nicht gepasst: dem Vatikan. Der begann damals, dagegen zu mobilisieren -vor allem gegen Abtreibung, aber auch ganz grundsätzlich gegen Begriffe wie "Gender Mainstreaming" und "Gender Diversity".

DIE FURCHE: Wie wirkte sich diese Mobilisierung aus? Sauer: Unterschiedliche Gruppen griffen das zunächst sehr zögerlich auf.

Sauer: Doch in jenen Ländern, in denen es als erste Diskussionen über die Homo-Ehe gab, gab es auch als erste große Gegendemonstrationen, in Frankreich etwa ab 2005. Ab 2013 formierten sich dann auch in anderen Ländern die so genannten "Demos für alle", die sich gegen die Homo-Ehe richteten. Damit begann eine Art Gegen-Lawine, die die Themen Homosexuellen-Rechte, Abtreibung und Gender stets miteinander verknüpfte. Darauf sprangen verschiedene Akteure von US-Evangelikalen bis zu Konservativen in Russland auf und gründeten gemeinsam den jährlich stattfindenden "World Congress of Families". Daraus wurde schrittweise eine größere globale Bewegung.

DIE FURCHE: Sie sehen auch das europaweite Erstarken des Rechtspopulismus im Zusammenhang mit einer "Krise der Männlichkeit". Viele Männer seien verunsichert von veränderten Rollenbildern und würden auch deshalb verstärkt weiter rechts wählen.

Sauer: Wir können gesamtgesellschaftlich soziale Verschiebungen feststellen. Der Neoliberalismus bewirkte etwa gleich mehrere Transf or m at ion s pr o z e s s e: Stärkere Verunsicherung von Männern in der Erwerbsarbeit aufgrund abnehmender Job-Sicherheit. Gleichzeitig wurden Frauen in die Erwerbsarbeit integriert, sie verdienen also ihr eigenes Geld. Gesellschaftspolitisch ist sicher ein Fehler passiert, weil man nicht ausreichend kommunizierte, dass es dabei um den Ausgleich von Ungerechtigkeiten geht. All diese Faktoren fügen sich zu einem diffusen Bedrohungssyndrom, bei dem für Männer mehrere Gewissheiten gleichzeitig in Frage gestellt sind.

DIE FURCHE: Wie bewerten Sie die Frauenpolitik der Bundesregierung?
Sauer: Ich halte sie für eine Katastrophe. Sie ist reaktionär. Einerseits gibt es Maßnahmen gegen feministische Gruppen, vor allem in Form von Kürzungen und Geldentzug. Hier soll ein Segment politischer Mobilisierung, ein Motor politischer Veränderung abgedreht werden. Gleichzeitig wird Gewalt an Frauen so thematisiert, als sei ausschließlich der "fremde Mann" gewalttätig und ansonsten brauche man sich um das Thema nicht kümmern. Auch die Etablierung einer neuen Notrufnummer für Frauen war der Versuch, feministische NGOs und Frauenhäuser, die seit Langem in der Beratung aktiv sind, auszubooten - was zumindest vorerst gescheitert ist. Zudem kommt die Abtreibungsfrage immer wieder hoch.

DIE FURCHE: Der Feminismus dient heute wieder stark als Kampfzone zwischen den Geschlechtern. Dabei geht es gar nicht nur um Frauen. Gerüchteweise soll es sogar Männer geben, die gar nichts dagegen hätten, wenn ihre Rolle als "Versorger" noch stärker hinterfragt würde, und sie ohne Status-Einbußen mehr Zeit für ihre Kinder oder das Schnitzelklopfen hätten.

Sauer: Es gibt aktuell mehrere Bewegungen, die gegeneinander spielen. In dem Maße, in dem die Debatte gegen feministische Bewegungen lauter wurde, hat sich natürlich auch die Kampfzone ausgeweitet. Gerade junge Frauen, die sich stark engagieren, haben mitgekriegt: Ohne Kampf wird es nicht gehen. Gleichzeitig zeigen Forschungen einen Wandel bei jungen Familienvätern: Der Wunsch, mehr Zeit für die Familie, für die Kinder, für die Partnerin oder den Partner zu haben, ist tatsächlich viel größer geworden. Das macht Hoffnung, dass auch gemeinsame Kämpfe möglich sind: Wenn wir ein gutes Leben führen wollen, ist es wichtig, dass Frauen und Männer gleichberechtigten Zugang zum Beruf haben. Aber eben auch gleichberechtigten Zugang zu Sorge-und Care-Arbeit.

DIE FURCHE: Ein frauenpolitisch hochaktuelles Thema ist der Schwangerschaftsabbruch. Denn in der derzeitigen Phase eines nach rechts rückenden politischen Spektrums wittern international vernetzte Abtreibungsgegner ihre Chance, die rechtlichen Regelungen einzuschränken oder rückabzuwickeln.

Sauer: Die Demonstranten, die regelmäßig vor den Abtreibungskliniken stehen und beten, sind klar international vernetzt. Ein anderes Beispiel: Es gab eine massive Online-Mobilisierung gegen den Estrela-Report des EU-Parlaments, in dem es um reproduktive Rechte und das Recht auf Abtreibung innerhalb der Union geht. So eine Mobilisierung funktioniert natürlich nur mit internationaler Vernetzung. Traditionelle Geschlechterverhältnisse sind Teil des Programms im Prinzip aller rechten Parteien. Und dazu gehört die Einschränkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Frauen. Gerade das Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen, ist da ganz zentral.

DIE FURCHE: Könnte die Fristenlösung in Österreich bald wackeln?

Sauer: Es gibt im Parlament einige Akteure, die da sicher nicht mitmachen würden -die NEOS, die Sozialdemokraten, die Liste Jetzt. Der Versuch, die Fristenlösung abzuschaffen, würde mit Sicherheit eine sehr große Gegenmobilisierung bewirken. Insofern bin ich nicht sicher, ob die Regierungsparteien sich das trauen würden. Bei anderen großen Gesetzesänderungen wie dem 12-Stunden-Tag hatte die ÖVP die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung hinter sich und konnte sich deshalb auch gegen Knirschen in der FPÖ durchsetzen. Bei der Abtreibungsfrage wäre es die Kirche, die dagegen mobilisieren könnte -wie stark sie das tatsächlich tun würde, ist aber fraglich.

DIE FURCHE: Kürzlich startete die parlamentarische Bürgerinitiative "Fairändern". In der Petition geht es u. a. um die Abschaffung der Spätabtreibung oder verpflichtende Bedenkzeit vor einem Abbruch. "Fairändern"-Vorsitzende Carina Marie Eder engagiert sich allerdings auch gegen den Schwangerschaftsabbruch an sich und sagte bei einer Kundgebung 2015, der Widerstand würde "nicht verstummen, bis nicht alles dafür getan wird, dass Abtreibung undenkbar wird". Versuche, scheibchenweise den Diskurs zu verschieben?

Sauer: Klar, diese Versuche gibt es auch außerhalb Österreichs. In Bayern etwa gab es Druck auf katholische Krankenhäuser, keine Abbrüche durchzuführen. Sie tun das heute auch nicht. Wenn es in Landkreisen weit und breit niemanden gibt, der eine Abtreibung durchführt, und man dafür weit fahren müsste, ist das natürlich eine enorme Einschränkung. So kann man die Fristenlösung auch aushebeln. Zur Geschichte der Abtreibungsregelung in Österreich ist interessant: Eine große Gruppe, die damals für die Einführung der Fristenlösung war, waren die Ärzte. Interessant wäre, ob diese Berufsgruppe heute ähnlich klar dafür wäre, wie einst. Wenn ja, wären wir von einer Abschaffung der Fristenlösung wohl weit entfernt.

AUSSCHREIBUNG

Die katholische Frauenbewegung Österreichs hat den "Herta-Pammer-Preis 2019 für Nachwuchsjournalist*innen" (18-25 Jahre) ausgeschrieben. Die Bewerbungsfrist endet am 29. März. Gesucht wird die beste feministisch-entwicklungspolitische Print-Reportage zum Thema "Wandel wagen!". Der GewinnerInnenbeitrag wird in der Tageszeitung Kurier veröffentlicht. Über den zu prämierenden Text entscheidet eine unabhängige Jury (u. a. Brigitte Handlos, ORF; Beate Hausbichler, Der Standard; Irmgard Kischko, Kurier. Detaillierte Infos gibt es auf der Website www.teilen.at

Herta-Pammer-Preis 2019 für Nachwuchsjournalist*innen

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