Prostitution - Ob am Wiener Straßenstrich oder in Laufhäusern am Land:  Prostitution ist Teil der Gesellschaft – doch in Österreich nicht als Gewerbe anerkannt. - © Foto: iStock / fotografixx (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Prostitution: Keine Arbeit wie jede andere

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Erst jüngst ist in Deutschland eine Debatte über Prostitution entbrannt. Kann ein Verbot des Sexkaufs die Lösung sein? Und ist es wirklich denkbar, dass sich Frauen aus freiem Willen prostituieren? Vereine und Sexarbeiterinnen erzählen.

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Erst jüngst ist in Deutschland eine Debatte über Prostitution entbrannt. Kann ein Verbot des Sexkaufs die Lösung sein? Und ist es wirklich denkbar, dass sich Frauen aus freiem Willen prostituieren? Vereine und Sexarbeiterinnen erzählen.

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Wenn Elena über ihre Vergangenheit spricht, kneift sie die Augen fest zusammen. Das gelbe Neonlicht des Sex-Studios hat sich in ihre Erinnerung eingebrannt. Elena (Name von der Redaktion geändert; Anm.), schwarze Haare, dünn gezupfte Augenbrauen, vernarbte Ritz-Spuren am Unterarm, war vier Jahre als Sexarbeiterin tätig. Zuerst bei einer Agentur, später in einem Studio. Körperverletzung, Erpressung und Drogen gehörten für sie zum Alltag.

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„Echtes Tageslicht bekam ich kaum zu sehen“, erzählt die ehemalige Prostituierte. Ein Bekannter hatte sie in Rumänien an eine österreichische Escort-Agentur vermittelt. Elena wusste, dass sie als Prostituierte arbeiten würde. Welche Spuren die Arbeit hinterlassen wird, konnte sie damals dennoch nicht ahnen. Nach vier Jahren war Elenas Körper kaputt: Unterleibsschmerzen und Rückenprobleme plagten die Frau. Am Ende konnte sie den Job nur durch Einnahme von Drogen machen. Der Ausstieg aus dem Milieu gelang der 32-Jährigen mithilfe von Streetworkern und Vereinen. Als Prostituierte kann und will sie nie wieder arbeiten. „Das ist eine Arbeit für Verrückte“, sagt sie mit lauter Stimme, „und kein Beruf wie jeder andere“. Seit einem Jahr geht Elena in Psychotherapie. Im August beginnt sie mit einer neuen Arbeit als Reinigungskraft.

Rechtliche Grauzonen

Registrierte Prostituierte in Österreich. Die Dunkelziffer liegt bei 10.000. Nur etwa 200 davon sind Männer. Mehr als 90 Prozent der Sexarbeiterinnen sind Ausländerinnen: Die Frauen kommen aus Ungarn, Rumänien oder Nigeria. Und die meis ten haben eines gemeinsam: die extreme Armut in ihren Heimatländern. Ihr Beruf wird häufig tabuisiert, totgeschwiegen. Sex arbeiterinnen bewegen sich in Grauzonen, die zudem rechtlich schwer zu fassen sind. Bei kaum einem anderen Berufsstand spielen moralische und ethische Fragen eine derart große Rolle, wenn es darum geht, Gesetze zu bestimmen. So forderten erst kürzlich prominente Politikerinnen der deutschen SPD ein Sexkauf-Verbot nach dem schwedischen Modell.

Jede Frau hat ihre Geschichte. Viele werden von ihren Cousins, Brüdern oder sogar Vätern ins Land gebracht, um Geld für die Familie in der Heimat zu verdienen.

Sr. Anna Mayrhofer

In Schweden gibt es seit mehr als zwanzig Jahren ein Verbot von käuflichem Sex. Damit sollen die Prostituierten geschützt, Freier aber bestraft werden. Die Schweiz hingegen hat jüngst ihr Prostitutionsgesetz liberalisiert: Sexarbeiterinnen wurden neu besteuert, klare Betriebsregelungen für Sexlokale eingeführt und Maßnahmen gegen Menschenhandel festgehalten. Aber lassen sich die Probleme, die es in der Prostitution gibt, mit einer Liberalisierung der Branche so einfach lösen? Und treibt umgekehrt ein Total-Verbot die Frauen nicht in die Illegalität? In Österreich müssen sich Prostituierte als sogenannte „Neue Selbstständige“ melden. Sexuelle Dienstleistungen unterliegen hierzulande nämlich nicht der Gewerbeordnung und werden daher auch nicht als Gewerbe anerkannt. Obwohl Prostitutionsgesetze Ländersache sind, gibt es einige österreichweite Regelungen. So müssen Sexarbeiterinnen alle sechs Wochen eine amtsärztliche Untersuchung absolvieren, bei der sie auf Geschlechtskrankheiten untersucht werden. Zudem gibt es alle zwölf Wochen eine Blutuntersuchung auf HIV und Syphilis. Die Untersuchungen werden auf der Gesundheitskarte, die jede angemeldete Prostituierte bekommt, vermerkt.

Die medizinischen Untersuchungen würden sich hauptsächlich auf den Schutz der Gesellschaft und wieder nicht auf den Schutz der Prostituierten fokussieren, sagen Kritiker wie Sr. Anna Mayrhofer vom Verein „Solwodi“. Der Verein unterstützt Frauen, die nicht mehr als Prostituierte arbeiten möchten, unter anderem mit Schutzwohnungen, in denen die Frauen etwa ein Jahr lang wohnen. Die Untersuchungen würden alle nur auf die potenzielle Ansteckungsgefahr für andere abzielen, nicht jedoch auf eine Gesunden-Untersuchung der Frau, erklärt die Ordensfrau von den Franziskanerinnen Missionarinnen Mariens. „Jede Frau hat ihre Geschichte“, sagt Mayrhofer, „viele werden von ihren Cousins, Brüdern oder sogar Vätern ins Land gebracht, um Geld für die Familie in der Heimat zu verdienen“.

Häufig wisse nur ein Teil der Familie, was die Frauen im Ausland machen und wie sie ihr Geld verdienen. Einige von ihnen werden von ihren eigenen Verwandten erpresst, erzählt Mayrhofer, „den Frauen wird gedroht, dass man ihnen ihre Kinder weg nimmt, wenn sie kein Geld nach Hause schicken“. Die Ordensfrau sieht die Sexarbeiterinnen als Opfer ihrer Lebensumstände, nur die wenigsten würden den Beruf völlig freiwillig wegen des schnellen Geldes machen, erklärt sie. Mayr hofer spricht deshalb von Armutspros titution. „Wir sind Christen, und niemand sollte seinen Körper verkaufen müssen, weil er zu Hause hungert“, sagt sie. Häufig sei Prostitution in den Herkunftsländern der Betroffenen, wie zum Beispiel in Rumänien, gänzlich verboten. Und im Unterschied zum schwedischen Modell werden die Sexarbeiterinnen dort nicht geschützt, wenn sie Prostitution dennoch ausüben.

Wenn ich für Gleichberechtigung bin, kann es nicht sein, dass ein Geschlecht käuflich ist, also ein Machtgefüge besteht.

„Die Frage, die diesem Verbot in Schweden vorausging, war: Was möchte ich für eine Gesellschaft?“, sagt Caroline Sander von der Initiative Herzwerk. Die diakonische Initiative setzt sich für Menschen in der Prostitution ein. „Wenn ich für Gleichberechtigung bin, dann kann es nicht sein, dass ein Geschlecht käuflich ist, also ein Machtgefüge besteht.“ Augenhöhe sei in diesem Fall eine komplette Illusion, sagt Sander. Auch die Frage der „Freiwilligkeit“ in der Ausübung von legaler Sexarbeit ist in den letzten Jahren zu einem schnellen und viel diskutierten Schlagwort im Diskurs von Befürworterinnen von Sexdienstleistungen geworden. Berühmte Feministinnen wie Alice Schwarzer sprechen den Prostituierten die Freiwilligkeit gleich gänzlich ab. Frauen, die diesen Beruf wählen, würden dies nicht aus Gründen der Selbstbestimmtheit tun, lautet ihr Argument. Schwarzer und andere fordern daher ein Verbot von käuflichem Sex. „Nicht zufällig ist das käufliche Geschlecht auch das unterbezahlte Geschlecht“, schreibt Schwarzer in ihrem Buch „Prostitution. Ein deutscher Skandal“, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch. „Eine Menschengruppe, die so verächtlich behandelt wird wie Frauen in einer sexistischen Gesellschaft – die ist eben auch nicht dasselbe wert wie Männer.“

Forderung nach Besserstellung

Auch Eva van Rahden, Leiterin des Vereins „Sophie“, einer Wiener Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution, hinterfragt, ob Frauen die Sexarbeit völlig freiwillig ausübten. Dass viele von ihnen Arbeitsmigrantinnen aus Ländern sind, wo sie für sich keine Perspektive sehen, bestätigten auch die Zahlen und Herkunftsländer: Beinahe die Hälfte aller in Wien registrierten Frauen in der Prostitution kommt aus Rumänien und beinahe ein Viertel aus dem benachbarten Ungarn. Nur etwa drei Prozent sind Österreicherinnen. Bessere wirtschaftliche Verhältnisse durch einen höheren Stundenlohn im Unterschied zu einer anderen Tätigkeit werden ebenso als Grund für die Ausübung von Prostitution angegeben, wie die Möglichkeit der freien Zeiteinteilung, weiß die Expertin aus ihrer Erfahrung in der Beratung. Van Rahden und ihr Team stehen Sexarbeiterinnen nicht wertend, sondern akzeptierend gegenüber – ohne zu moralisieren. Es gehe darum, Frauen, die in diesem Arbeitsumfeld tätig sind, es waren oder es sein wollen, durch Information bestmöglich vor Ausbeutung zu schützen und ihnen sichere Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Vor allem sei es wichtig, sie über ihre Rechte aufzuklären, sagt van Rahden. „Wir nehmen sie als Frauen, als Mütter, als Ehefrauen wahr – als Teil dieser Gesellschaft.“ „Sophie“ und andere Vereine fordern deshalb eine rechtliche und gesellschaftliche Besserstellung der Sexarbeiterinnen. „Es ist eine Tatsache, dass diese Tätigkeit angeboten wird und dass es eine Nachfrage danach gibt. Wie sie angeboten wird, ist ein Ausdruck unserer ungleichen und patriarchalischen Gesellschaft“, sagt van Rahden.

Je stärker in der Gesellschaft die Auffassung Form annimmt, dass Sexdienstleisterinnen etwas sind, das wir nicht wollen, desto mehr nimmt die Stigmatisierung zu.

Eva van Rahden

Seelische Spuren

Egal, ob freiwillig oder nicht: Die Berufsausübung hinterlässt meist seelische Spuren. Der Verkauf einer sexuellen Dienstleistung lässt sich schwer vom Körper trennen, mit dem diese ausgeführt wird. „Sehr viele andere Berufe erfordern ebenfalls körperliche Nähe“, sagt van Rahden. Sie sei sich aber bewusst, dass es Ausbeutung gäbe und Sexarbeit kein Beruf wie jeder andere sei. Der Anstieg von EdelEscortservices und die Beliebtheit von Apps wie beispielsweise „Rich Meets Beautiful“, bei der Frauen und junge Mädchen ältere reiche Männer treffen und ihnen ihren Körper gegen Geld anbieten, werden in Hinblick auf die Gefahr der körperlichen Gewalt häufig unterschätzt. „Wir können damit nur gut umgehen, wenn wir offen darüber reden und jungen Frauen den sicheren Umgang mit dem Internet schon in der Schule beibringen, und sie vor allem informieren“, rät van Rahden. Der Internationale Tag gegen Gewalt an Sexarbeiterinnen, der jährlich am 17. Dezember stattfindet, soll ebenso daran erinnern, welcher Form von Gewalt die Frauen ausgesetzt sind.

Vertreter von Beratungsstellen in Österreich klagen besonders über Diskriminierung. Stigma führe zu Abwertung, zeigt sich van Rahden überzeugt: „Je stärker in der Gesellschaft die Auffassung Form annimmt, dass Sexdienstleisterinnen etwas sind, das wir nicht wollen, desto mehr nimmt die Stigmatisierung zu. Mit ihrer Ausgrenzung kommen wir einem Gleichgewicht der Geschlechter in unserer patriarchalischen Gesellschaft nicht näher.“ Elena ist jedenfalls froh, dass sie bald als Reinigungskraft anfängt. Ihren Deutschkurs absolviert sie auf dem B1-Niveau. Nebenbei macht sie eine Ausbildung als Kindergartenassistentin. Irgendwann, erzählt sie, möchte sie mit Kindern arbeiten. Wien wird sie für eine Weile verlassen. Derzeit bewohnt sie noch eine Schutzwohnung des Vereins Solwodi. In wenigen Wochen zieht Elena aufs österreichische Land. Was sie sich von der neuen Arbeit als Reinigungskraft wünscht? „Einen ruhigen Job, ohne Streit und vor allem eine Arbeit, die ich tagsüber erledigen darf.“

Theresa Bender-Säbelkampf

Die Autorin ist freie Journalistin.

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