Leihmutterschaft Ukraine - © Foto: APA /AFP /Sergei Supinsky

Leihmutterschaft: Die anderen Kinder der Krise

19451960198020002020

In der Ukraine warten zahllose Babys von Leihmüttern auf ihre "Wunscheltern": Einmal mehr offenbart Corona gesellschaftliche Abgründe.

19451960198020002020

In der Ukraine warten zahllose Babys von Leihmüttern auf ihre "Wunscheltern": Einmal mehr offenbart Corona gesellschaftliche Abgründe.

Werbung
Werbung
Werbung

Baby reiht sich an Baby. Sie liegen in Krippen, schreiend, ihre Gliedmaßen unkoordiniert in die Luft reckend. Sie heißen Kays, Sofia, David, Antonie-Rosmarie, Manuel. Ihre Eltern kommen aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Finnland, China, Brasilien, den USA, Kanada, Argentinien oder Österreich. Geboren wurden sie in Kiew. Und da sind sie nun. Alleine. Ohne leibliche Eltern. Denn der Körper, in dem sie herangewachsen sind und von dem sie geboren wurden, war nur gemietet.

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Es ist ein äußerst sensibler Bereich, auf den die Coronakrise hier ein grelles Licht geworfen hat: Leihmutterschaft, also das Geschäft mit dem Wunsch nach einem leiblichen Kind von Paaren, denen das auf natürlichem Weg verwehrt ist. 70 Neugeborene erleben derzeit ihre ersten Lebenstage und Wochen in einem Hotel in einem Randbezirk von Kiew. Babys, die von ukrainischen Frauen ausgetragen und zur Welt gebracht wurden, von ihren „Kauf-“ oder „Wunscheltern“ wegen Reisebeschränkungen aber nicht oder nur mit Verzögerung abgeholt werden konnten. In einem ­Video, das um die Welt ging, sind nur jene Babys zu sehen, die über die Firma BioTexCom zur Welt kamen. Viele weitere sind mit Babysitterinnen in Wohnungen untergebracht. Mehr als tausend könnten es bis Ende Juni insgesamt werden, so eine Schätzung. Denn der Markt ist groß.

Ein Monat für Formalitäten

Maria Holumbowska arbeitet für BioTexCom. Das Unternehmen mit dem Beinamen „Zentrum für menschliche Reproduktion“ hat seinen Sitz in Kiew und ist Marktführer, ihm gehört auch das erwähnte Hotel, in dem ansonsten die künftigen Eltern wohnen können, bis – meist innerhalb eines Monats – alle Formalitäten erledigt sind: Dazu zählen eine ukrainische Geburtsurkunde, in der die (rechtlichen) Eltern angeführt sind, eine beglaubig­te Übersetzung sowie eine Apostille zu diesem Dokument für die Ausstellung eines österreichischen Reisedokuments. Auch wenn Leihmutterschaft in Österreich laut Fortpflanzungsmedizingesetz verboten ist sowie hierzulande jene Frau als Mutter gilt, die das Kind geboren hat, so werden die Dokumente dennoch in Österreich anerkannt. Ein Tiroler Bezirksgericht hat im November 2019 diese Anerkennung auch in einem konkreten Fall bewilligt.

Eine ukrainische Leihmutter darf genetisch nichts mit dem Baby gemeinsam haben. Sie ist ,nur eine Person, die eine Dienstleistung anbietet'.

Doch wie sieht die Lage der Frauen aus, die diese Kinder geboren haben? Durchschnittlich 20.000 Euro erhält eine Mietmutter für ihren Dienst. Wobei der Preis nach den Lebensgewohnheiten der Frau, ihrem Gesundheitszustand, ihrem Alter, vor allem aber nach der Aussicht auf Erfolg berechnet wird, also der Geburt eines (gesunden) Kindes. Eine Behinderung werde pränatal nur selten festgestellt, heißt es auf Nachfrage. Sollte es zu Komplikationen bei der Geburt kommen, erhalte die Leihmutter eine Entschädigung, das Kind werde der Obhut der Eltern überlassen. Lieber spricht man von „Garantiepaketen“. Und ganz oft davon, dass man vor allem eines wolle: helfen.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine sehen so aus: Eine Leihmutter darf genetisch nichts mit dem Baby, das sie austrägt, gemeinsam haben. Auf diesen Umstand legt Maria Holumbowska großen Wert. Denn: Wäre das nicht der Fall, würde das den Tatbestand des Kinderhandels erfüllen. Sie sagt: „Die Leihmutter ist nur eine Person, die eine Dienstleistung anbietet.“

Die Eizellen können von der späteren, rechtlichen Mutter oder einer Spenderin stammen, die Samenzellen müssen allerdings vom späteren, rechtlichen Vater kommen. „Bei dysfunktionalen Spermien können wir nicht helfen“, erklärt Holumbowska. Und: Das Angebot richtet sich nur an verheiratete heterosexuelle Paare.

Ebenfalls Voraussetzung ist die Betuchtheit der Kunden. BioTexCom bietet Pakete ab 39.900 Euro an, die alles abdecken sollen: Befruchtung, Reisekosten sowie Kos­ten für die Leihmutter und deren Verpflegung während der Schwangerschaft. Galina Strelko von der medizinischen Einrichtung IVMED,­ einem anderen Anbieter, rechnet mit Gesamtkos­ten bis 60.000 Euro. Sowohl Bio­TexCom als auch IVMED betonen freilich, nur die medizinische Komponente abzuwickeln und mit der Rekrutierung der Leihmütter nichts zu tun zu haben.

Hier kommen nun die Agenturen ins Spiel: Vittoriavita ist eine davon – eine von hunderten in der gesamten Ukraine. Natalia ist Managerin der Agentur, die derzeit 50 Personen Vollzeit beschäftigt. Der FURCHE erklärt sie, was das „Baby-Package“ umfasst: Flüge, Transport vom Flughafen, Unterbringung in Kiew, Einkauf und Verpflegung während der derzeit verpflichtenden zweiwöchigen Quarantäne für jene Eltern, die es in die Ukraine geschafft haben – und: die Rekrutierung der Leihmütter. Im Internet wirbt die Agentur um Frauen. Gesund müssen sie sein, psychisch fit, unbescholten, sie müssen bereits ein gesundes Kind komplikationsfrei zur Welt gebracht haben und einen gesunden Lebensstil pflegen.

Natalia erklärt die Prozedur: Die Frauen werden befragt, medizinisch durchgecheckt, besonders auf Infektionskrankheiten, dem folgt ein gynäkologischer Check, und dann wird die Frau mit den Eltern des Kindes, das sie austragen soll, in Kontakt gebracht – so das auch gewünscht ist. „Für die Leihmütter ist es eine Chance, Geld zu verdienen“, sagt Natalia.
In der Ukraine liegt das Durchschnittsgehalt bei rund 350 Euro. Um 20.000 Euro aber kann man eine kleine Wohnung in einer Kleinstadt oder ein Häuschen in einem Dorf kaufen. Kurzum: 20.000 Euro sind viel Geld in der ukrainischen Provinz. In Städten jedoch liegt das Preisniveau knapp unter dem Westeuropas.

Leben neben der Klinik

Natalia betont, dass man mit Frauen aus der ganzen Ukraine zusammenarbeite. Nur eine Ausnahme gibt es: Frauen, die in den okkupierten Gebieten in der Ost­ukraine leben, jenen Regionen, die nicht unter Kontrolle ukrainischer Behörden stehen. Das hat legale Gründe, aber auch ganz praktische, wie Natalia sagt: Dort lebende Frauen könnten die Vertragsbedingungen kaum einhalten – und dazu zählt, dass sie sich regelmäßig Untersuchungen unterziehen. Meistens würden die Frauen auch für die Zeit der Schwangerschaft in die Umgebung einer Klinik ziehen – finanziert von den Eltern des Babys.
Was die in Kiew gestrandeten Babys angeht, so sieht Maria Holumbowska eine leichte Entspannung. Mit Staaten wie Öster­reich, Deutschland oder auch Irland klappe die Kooperation bei der Beschaffung von Einreisepapieren für die Eltern gut, sagt sie. Anders bei Frankreich oder Spanien. Und ganz kompliziert werde es bei Dis­tanzen, für deren Bewältigung es Flüge brauche.

Indes hat BioTexCom den Preis für die Beherbergung der Babys halbiert: Von 50 auf 25 Euro pro Tag. Maria Holumbowska betont, dass man versuche, über Videotelefonie Kontakt zu den Eltern herzustellen. Ein Ersatz für körperliche Nähe in den ersten Lebenswochen oder gar -monaten kann das aber keinesfalls sein, warnen Psychologen. Die Folgen sind wohl nicht zu beziffern.

Der Autor ist freier Journalist.

Welche Schritte bräuchte es aus globaler Perspektive im Umgang mit dem Phänomen Leihmutterschaft? Die FURCHE hat die Politologin Lisa-Marie Hiebl-Rausch und die Journalistin und Autorin Eva Maria Bachinger um ihre Meinung gebeten.

Navigator

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf mehr als 175.000 Artikel seit 1945 – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf mehr als 175.000 Artikel seit 1945 – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung