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Sozialdienst in der Schweiz

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Die Beschäftigung einer größeren Anzahl fisterreichischer Arbeitskräfte im Ausland hat die Notwendigkeit einer zusätzlichen Betreuung durch Sozialstellen in England und in der Schweiz, deren Tätigkeit über den Rahmen der üblichen diplomatischen und konsularischen Vertretungsbehörden hinausgeht, entstehen lassen. Der Österreicher, der sich zu einer Arbeitsleistung im Ausland entschließt, bedarf oft des Schutzes und der Beratung. Damit soll gewährleistet werden, daß er nicht durch Willkür schlechter gestellt ist als der Staatsangehörige des Gastlandes. Außer dieser Tätigkeit der Sozialstellen fallen vor allem eine Reihe zusätzlicher Aufgaben in das Betätigungsfeld, besonders jene, die mit Hilfe-und Fürsorgetätigkeit zusammenhängen.

Fruchtbare Zusammenarbeit

Die Arbeit des am 1. Oktober 1958 in Zürich errichteten „Sozialdienstes der österreichischen Botschaft in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein“, der der österreichischen Botschaft in Bern direkt untersteht, umfaßt territorial 25 Schweizer Kantone und das Fürstentum Liechtenstein und wird derzeit von Frau Amtsrat E. Kielmansegg, diplomierter Fürsorgerin, der lediglich eine zweite Fürsorgerin zur Seite steht, geführt. Von allem Anfang an war es das Bestreben des Sozialdienstes durch persönliche Vorsprachen den Kontakt mit den Schweizer Behörden, seien es nun eidgenössische, kantonale oder kommunale Stellen, und mit privaten Organisationen zu erlangen. Dank dieser stets weitergepflegten Beziehungen ist es gelungen, die Zusammenarbeit zwischen dem österreichischen Sozialdienst und den Schweizer Behörden — gerichtet auf den Zweck der Beratung und Betreuung hilfsbedürftiger Österreicher — sehr fruchtbar zu gestalten. Lediglich infolge dieser engen Zusammenarbeit mit den Behörden und privaten Fürsorgeorganisationen können die bei österreichischen Staatsangehörigen auftretenden Schwierigkeiten gelöst werden.

Die Erfassung der österreichischen Fälle erfolgt teilweise durch die Bekanntgabe seitens Schweizer oder österreichischer Behörden und Hilfsstellen oder durch die persönliche Vorsprache der Hilfesuchenden bei den österreichischen Vertretungsbehörden. In den meisten Fällen trachtet der Sozialdienst zusätzlich die Österreicher an ihren Wohnort- oder Arbeitsplätzen aufzusuchen, um ein genaues Bild des vorliegenden Notstandes zu erhalten.

Der Sozialdienst lehnt die Vermittlung von Arbeitsplätzen mit Rücksicht auf die österreichische Arbeitsmarktlage ab und gewährt auch keine finanziellen Unterstützungen an durchreisende österreichische Staatsangehörige. Dem Sozialdienst ist es jedoch möglich, in sehr beschränktem Maße einmalige Unterstützungen an in der Schweiz dauernd wohnhafte Österreicher als Überbrückungshilfe auszuzahlen. In vielen Fällen können durch diesen österreichischen Beitrag Schweizer Stellen zu finanziellen Hilfeleistungen veranlaßt werden.

Im folgenden soll auf die dem Sozialdienst gestellten Aufgaben eingegangen werden. Hierbei ist zu betonen, daß die Großzahl der In der Schweiz bestehenden Gesetze und Bestimmungen kantonal verschieden ist und daher die Lösung im wesentlichen gleicher, jedoch in benachbarten Kantonen anhängiger Problemfälle unterschiedlich ausfallen kann.

Probleme aus dem Arbeitsverhältnis

In der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein leben derzeit rund 42.000 Österreicher, der Großteil in den deutschsprachigen Gebieten. Teilweise handelt es sich um Niedergelassene (mehr als zehnjähriger ununterbrochener Aufenthalt in der Schweiz), teilweise um Arbeitskräfte, die ein oder mehrere Jahre im Land verbleiben, sowie um Saisonarbeiter, deren Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung auf wenige Monate befristet ist. Zur Arbeitsaufnahme ist bereits beim Grenzübertritt, wo auch eine ärztliche Untersuchung vorgenommen wird, die Zusicherung einer Arbeitsbewilligung für einen bestimmten Arbeitsplatz erforderlich. Die Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung muß jährlich regelmäßig erneuert werden. Hier beginnt nun eine der vielen Aufgaben des Sozialdienstes. Viele Österreicher sind nämlich der Meinung, daß sie nach touristenmäßiger Einreise in die Schweiz dortselbst ohne weiteres eine Arbeit annehmen können. Doch ist die „freie Berufswahl'“ für den Ausländer praktisch unmöglich, und auch der Berufs- und Stellenwechsel ist mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Der Österreicher muß daher die Schweiz wieder verlassen, und es kommt nicht selten vor, daß weder Geld für eine allfällige nötige Nächtigung, noch für die Heimreise vorhanden ist. Seitens der österreichischen Vertretungsbehörde kann in diesen Fällen eine „Heimsendung“ (Ausgabe einer Fahrkarte) bis zur nächsten österreichischen Grenzstation durchgeführt werden.

Hat der Österreicher unvorsichtigerweise bereits die Arbeit angetreten, ohne überhaupt im Besitz der hierfür erforderlichen Bewilligung zu sein, verfügen die Schweizer Behörden die Wegweisung, die mit der Verhängung einer Einreisesperre für zwei bis fünf Jahre verbunden sein kann. Besonders im Falle von Jugendlichen ist der Sozialdienst bei Wegweisung bestrebt, für eine Erfassung durch die österreichischen Grenzjugendämter zu sorgen.

Anlaß zu vielen Interventionen des Sozialdienstes gibt die aus verschiedenen Gründen gegenüber Österreichern ausgesprochene Wegweisung (Entzug der weiteren Aufenthaltsbewilligung). Oftmaliger Stellenwechsel, unerlaubter Berufswechsel, unsittlicher Lebenswandel, Kriminalität, Mittel- und Obdachlosigkeit, Krankheit können diese Maßnahme veranlassen. Besondere Härtefälle entstehen, wenn der Familienerhalter ausgewiesen wird und die Angehörigen mittellos zurücklassen muß.

Stellenwechsel oder beabsichtigter Berufswechsel bilden in vielen Fällen Anlaß zu Schwierigkeiten. Ausgenommen im Hausdienst und Gastgewerbe kann ein Stellenwechsel lediglich unter Angabe ausreichender Gründe und Nachweis einer längeren ununterbrochenen Tätigkeit vorgenommen werden. Es ist dabei bemerkenswert, daß Schweizer Arbeitgeber oft „bemüht“ sind, den Stellenwechsel der ausländischen Arbeitnehmer durch falsche Angaben den Behörden gegenüber zu verhindern. Nicht selten wird hier der Österreicher als „frech, faul, lügnerisch“ hingestellt, und es kostet viel Mühe, diese Behauptungen zu widerlegen. Der Berufswechsel wird nur auf Grund eines amtsärztlichen Gutachtens in den seltensten Fällen gestattet.

Gefährdete Jugend

Bei den im Haushalt und Gastgewerbe beschäftigten österreichischen Arbeitskräften fallen die meisten Probleme an. österreichische Mädchen, die als „Haustochter“ mit „Familienanschluß aufgenommen werden, führen Klage, daß sie einer Hausgehilfin gleichgestellt werden, und es ist in diesen Fällen nicht leicht, die auf diesem Mißverständnis beruhenden Schwierigkeiten zu beheben. Da es kein Arbeitsschutzgesetz in der Schweiz gibt, kann gegen eine arbeitsmäßige Überforderung lediglich im Vermitt-lungswege angekämpft werden. In diesem Zusammenhang muß auf die Beschäftigung junger Mädchen als „Haustochter“ bei „Schaustellern“ hingewiesen werden. Die Angestellte wird hier meist auch zur Arbeit in den „Schießbuden“ herangezogen, nicht selten bei Nacht, woraus sich viele Gefahren für das Mädchen ergeben. Es ist dem Sozialdienst nunmehr gelungen, zu erreichen, daß seitens der Schweizer Behörden minderjährigen österreichischen Mädchen die Arbeitsbewilligung in derartigen „Haushalten“ verweigert wird.

Minderjährigen Mädchen und Burschen gilt die besondere Sorge des Sozialdienstes, denn gerade für diese birgt ein Aufenthalt im Ausland, wo sie außerhalb des schützenden Familienverbandes einem Verdienst nachgehen, große Gefahren in sich. Der Anschluß an schlechte Gesellschaft, der zu unvorsichtigen Ausgaben verleitende höhere Verdienst, die Unbeaufsichtigtheit und Unerfahrenhert bilden in vielen Fällen die Ursache der auftretenden Schwierigkeiten. Die Lenkung der Freizeitgestaltung ist gerade bei jungen Menschen besonders wichtig. In Zürich sowie in St. Gallen bestehen bereits österreichische Mädchenheime, zu deren Besuch alle in dieser Stadt lebenden Österreicherinnen regelmäßig brieflich aufgefordert werden. In anderen Städten werden die Mädchen eingeladen, den von Schweizer Seite gegründeten ausländischen Mädchengruppen beizutreten.

Die Situation der ledigen Mütter

Die Zahl der in der Schweiz außerehelich geborenen Kinder österreichischer Mütter ist sehr hoch, und die damit in Zusammenhang stehenden Fragen und Schwierigkeiten sind mannigfaltig. Gerade auf diesem Gebiet sind die Schweizer Bestimmungen hinsichtlich Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung, Sicherung der Übernahme der Kosten für Spital, Kinderheim usw. besonders streng.

Kein gesetzlicher Mutterschutz

Reist eine Österreicherin in schwangerem Zustand in die Schweiz ein, so ist die Entbindung des Kindes in diesem Lande, sowie seine weitere Unterbringung dort nicht möglich. In vielen Fällen hat sogar das schwangere Mädchen eine polizeiliche Verfügung zu erwarten, derzufolge sie das Land binnen einer bestimmten Frist zu verlassen hat, ungeachtet dessen, daß sie bereits ihre Arbeit ordnungsgemäß angetreten hat, also bei der Einreise im Besitz einer provisorischen Arbeitsbewilligung war. Die Entbindung eines außerehelichen Kindes in der Schweiz darf lediglich erfolgen, wenn es auch in diesem Land zur Empfängnis gekommen ist. Der weitere Aufenthalt des in der Schweiz geborenen außerehelichen Kindes ist aber dadurch nicht gesichert. Die Bestimmungen einiger Kantone fordern, daß das Kind bis spätestens zwei Monate nach der Geburt im Ausland und nicht in einem anderen Schweizer Kanton untergebracht werden muß. Es kann auch geschehen, daß mit der Aufenthaltsverweigerung des Kindes ein Verbot für den weiteren Aufenthalt der außerehelichen Mutter im Kanton oder auch in der ganzen Schweiz ausgesprochen wird, besonders dann, wenn die Österreicherin bereits ein oder mehrere außereheliche Kinder in der Schweiz geboren und untergebracht hat. In besonderen Härtefällen wird sogar eine Ausweisung der außerehelichen Kindesmutter verfügt, wenn von den Schweizer Behörden in Erfahrung gebracht werden konnte, daß die Österreicherin ein oder mehrere außereheliche Kinder in ihrer Heimat untergebracht hat. Aus Ausweisungsgrund wird hier oft „unsittlicher Lebenswandel“ angegeben.

In der Schweiz gibt es keinen gesetzlichen Mutterschutz. Frühestens zwei Monate vor der Entbindung können außereheliche Schwangere in Spitälern beziehungsweise Heimen untergebracht werden, wo sie leichte Hausarbeiten zu verrichten haben und außer der kostenlosen Entbindung (sofern keine Komplikationen auftreten) ein tägliches Taschengeld erhalten. Auch nach der Entbindung ist für Mutter und Kind der Aufenthalt an diesem Ort für einige Zeit gesichert Schwierig gestaltet sich das Problem der Unterbingung des Kindes, vorausgesetzt ist natürlich seine fremdenpolizeiliche Aufenthaltsbewilligung. Die Unterbringung auf überprüften Pflegeplätzen wird wohl gefördert, doch kommt es hier nicht selten vor, daß das Kind seiner Mutter entfremdet wird und diese sich in ihren Rechten benachteiligt fühlt. Wie in anderen Ländern, sind auch in der Schweiz die öffentlichen Kinderheime überfüllt und die Kosten für die privaten Heime sehr hoch. Nur in besondere günstig gelagerten Fällen ist es der außerehelichen Mutter möglich, ihr Kind an den Arbeitsplatz zu nehmen und für es selbst zu sorgen.

Hilfe im Alter...

Ein großes und immer wieder an den Sozialdienst herangetragenes Problem besteht in der Betreuung der betagten Österreicher, die bereits seit vielen, in manchen Fällen seit mehr als 40 Jahren, in der Schweiz leben, jedoch weiterhin im Besitze der österreichischen Staatsbürgerschaft sind. Ihre Renten sind meistens gering und für Schweizer Lebensverhältnisse unzureichend, die Unterkunft dementsprechend dürftig. Dazu kommt, daß infolge Alters eine selbständige Haushaltsführung kaum noch möglich ist und daher die Aufnahme in ein Altersheim geboten wäre. Wie auch in Österreich sind die Schweizer Altersheime überfüllt, und es ist mit langen Wartezeiten zu rechnen. Sind die Kosten für das in Aussicht genommene Heim nicht gedeckt, so muß ein Weg zur Aufbringung der fehlenden Mittel gefunden werden. Eine Rückführung nach Österreich wird in den meisten Fällen mit Rücksicht auf die lange Abwesenheit von der Heimat, mit der meist kein Kontakt mehr besteht, so weit als möglich vermieden. Besonders bedürftigen alten Österreichern spendet der „Hilfsfonds der Vereinigung der Österreicher in der Schweiz und Liechtenstein“ eine jährliche Weihnachtsgabe.

.. und in spezifischen Notständen

Besuche in Spitälern, psychiatrischen Kliniken, Kinder- und Altersheimen sowie in Gefängnissen und Strafanstalten gehören ebenfalls in den Aufgabenbereich des Sozialdienstes. Wie oft können die im Zusammenhang mit der physischen oder psychischen Erkrankung, die bis zum Selbstmordversuch führen kann, oder mit einer Inhaftierung auftretenden Schwierigkeiten, seien sie familiärer, finanzieller, arbeitsrechtlicher oder anderer Natur, durch Heranziehung der zuständigen Schweizer Stellen behoben und bei einer allfälligen Rückführung des Österreichers in seine Heimat seine Reise sowie Unterbringung dort erleichtert werden. Es muß an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß durch die enge Zusammenarbeit mit den Behörden des Grenzbundeslandes Vorarlberg Härtefälle wesentlich gemildert werden können.

Die Betreuung und der Besuch von in der Schweiz lebenden österreichischen Familien ist gleichfalls ein wesentlicher Bestandteil der Aufgabengebiete des Sozialdienstes. Und es geschieht häufig, daß ein österreichisches Jugendamt um Besuch eines bei seiner mit einem Schweizer verheirateten außerehelichen Kindesmutter lebenden Mündels ersucht. Auftretende Erziehungsschwierigkeiten können behoben und nötigenfalls die Einweisung in ein österreichisches oder Schweizer Erziehungsheim angeregt beziehungsweise eingeleitet werden.

Weitere schwierige Probleme ergeben sich auf dem Gebiet der Alters-, Hinterbliebenen-, Invaliden- und Krankenversicherung, aus dem Fehlen eines Fürsorgeabkommens zwischen Österreich und der Schweiz — es führt zu zunehmender Mißstimmung bei den kantonalen Armen- und Fürsorgebehörden — sowie aus der ablehnenden Haltung der Schweizer Amtsvormünder gegenüber der österreichischen Handhabung in Vormundschaftsangelegenheiten, derzufolge das Interesse der in der Schweiz geborenen außerehelichen österreichischen Kinder nicht gewahrt wird.

Aus der Erfahrung einer mehrjährigen Tätigkeit im österreichischen Sozialdienst in der Schweiz wurde hier die Vielzahl und Mannigfaltigkeit der an den Sozialdienst herangetragenen Fragen und Aufgaben in einem nur kurzen Überblick andeutungsweise zusammengefaßt, da es viel zu weit führen würde, die oben angeführten und vielen weiteren auftauchenden Probleme genau zu behandeln. Gerade die Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der gestellten Aufgaben beweisen, wie dringend notwendig der Sozialdienst ist, um so mehr, als der Österreicher in der Schweiz besonders beratungs- und schutzbedürftig ist. Oft genügt eine einmalige Aussprache, um die sichere Lebensführung wieder herzustellen, oft sind mehrere Interventionen nötig, doch liegt die Betonung immer wieder auf der persönlichen Kontakt-nahme, sei es nun mit den Betroffenen oder mit den zuständigen Behörden. Und gerade die Behandlung dieser Probleme bietet das ideale Betätigungsfeld für eine Fürsorgerin.

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