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Vergebührte Heimat

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Der Karabiniere vor dem Botschaftsgebäude bedeutet nur, daß hier die fremde Staatsgewalt endet; jenseits des hohen Eisengitters mit dem Wappenschild liegt die Heimat mit ihren eigenen Gesetzen, mit dem eigenen Recht und dem Schutz, den sie ihren Bürgern gewährt. Hat man einmal den Fuß über die Schwelle gesetzt, fällt das leise und unbestimmte, aber stets vorhandene Gefühl des Ausgeliefertseins, der Inferiorität ab, das den Ausländer auch im befreundeten Gastland stets begleitet. Einmal im Haus, empfindet man die ruhige Geborgenheit des eigenen Heimes.

Nicht immer war es so. Einige Jahre lang trug das Eisengitter ein anderes Emblem, und der Gang zur diplomatischen Vertretung wurde immer nur zögernd und voll Unruhe angetreten. Das mindeste, was man sich zu erwarten hatte, war, „erfaßt“ zu werden zu irgendeinem unbekannten, niemals erfreulichen Zweck. Die österreichischen Gesandten der Nachkriegszeit haben ihre mühevollen Erfahrungen machen müssen, bis es ihnen gelang, die Wolke des Mißtrauens und der Unsicherheit zu zerstreuen, die an ein abgeschlossenes Eigenleben gewöhnten Auslandsösterreicher zu einer neuen Gemeinschaft zusammenzubringen, sie neu an die Heimat zu binden und ihnen das Vertrauen zu ihrer Behörde, zur politischen Vertretung wiederzugeben.

Dies wird in der Zukunft nicht so leicht möglich sein. Das mühsam errungene Vertrauensverhältnis wird durch ein Gesetz empfindlich gestört, das am 18. Juli 1952 durch das Parlament beschlossen wurde, nämlich das „Bundesgesetz über die Erhebung von Gebühren und die Einhebung von Kosten für Amtshandlungen der österreichischen Vertretungsbehörden in konsularischen. Angelegenheiten“. Bedenklich ist nicht so sehr das Gesetz selbst, das selbstverständlich berechtigt und vielleicht sogar vorzüglich sein mag, als vielmehr der ausschließlich fiskalische Geist, den die Durchführungsbestimmungen dem österreichischen Beamten und Diplomaten im Ausland einzuimpfen bemüht sind. „Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind nicht zu berücksichtigen“, „Aufrundung“, „die Amtshandlung kann abgebrochen werden, wenn die Konsulargebühr nicht rechtzeitig entrichtet oder nicht entsprechende Sicherheit geleistet wird“: eine erbarmungslose Sprache, die leichter im Gedächtnis haftet als die „Antihärtebcstim-mungen“, die gewiß auch nicht fehlen, bei deren Anwendung jedoch dem Beamten äußerste Beschränkung auferlegt wird.

Das Außenamt hat sich innerhalb weniger Jahre für seine Auslandsmissionen einen jungen Beamtenstab heranzuziehen vermocht, der Kompetenz mit einem hohen Grad von Verständnis, Taktgefühl und Sensibilität für die Nöte und Bedürfnisse der Lindsleute vereinigt, von denen der weitaus größte Teil in äußerster wirtschaftlicher Beengtheit lebt. In ihnen ein neues Heimatgefühl geweckt zu haben, ist vor allem Verdienst dieses Beamtenstabes, für den „Mission“ nicht bloß ein staatsrechtlicher Begriff ist. Das neue Konsulargebührengesetz — man wird sehen, daß dies keine Uebertreibung ist — erstickt solche missionärische Ambitionen im Keime. Konnten die Bestimmungen über die Ge-bühreneinhebung bisher mit einer gewissen Elastizität gehandhabt werden und konnte der Beamte der nachträglichen Sanktionierung seiner Entscheidungen durch die vorgesetzte Dienststelle sicher sein, so fehlt in Hinkunft nicht nur diese Sicherheit, er muß auch gewärtig sein, die nicht abverlangte Gebühr aus eigener Tasche entrichten zu müssen und außerdem noch disziplinar zur Verantwortung gezogen zu werden.' Unter solchen Umständen kann man es dem Beamten nicht übelnehmen, wenn er alle „Diplomatie“ beiseite läßt und sich an den Buchstaben des Gesetzes klammert, und sei es auch nur, um dieses ad absurdum zu führen.

Denn es gibt Gesetze, die nur sinnvoll und erfüllbar sind, wenn sie nicht integral angewendet werden. Das Konsulargebührengesetz 1952 gehört zu diesen. Aus dem Dickicht der Bestimmungen sei nur als Beispiel ein einziger Tarifposten herausgehoben: Erteilung einer Auskunft. In Wirtschaftsangelegenheiten 8 Goldkronen, sonst 5 Goldkronen.

Von den vier Besuchern im Wartezimmer der Botschaft hat jeder eine Frage zu stellen. Vier Episoden aus dem Leben, die der Beamte hundertfach, täglich, kennengelernt hat. Der erste an der Reihe ist ein ungarischer Arbeiter, der lange Zeit in einem österreichischen Flüchtlingslager gelebt hat und nun um die Entlassung aus dem österreichischen Staatsverband ersucht, um auswandern zu können. Der Beamte erklärt, daß er die verlangte Auskunft erst geben könne, wenn in der Kanzlei die Gebühr entrichtet wurde. Sobald dem Fiskus Genüge getan ist, eröffnet der Beamte dem sichtlich betroffenen Mann, daß die österreichische Vertretungsbehörde für ihn, den ungarischen Staatsangehörigen, nicht zuständig sei.

Der nächste ist ein Vater, der von Wien nach Rom gereist ist, um hier seine Tochter auszuforschen'.' Sie war vor Monaten mit einer Tänzerinnengruppe nach Italien gereist und hat- seither keine Nachricht mehr gegeben. Die letzte Hoffnung ist die Botschaft. Die Fahrt nach Rom konnte er nur mit größten finanziellen Opfern antreten. Der Fall wird kompliziert, weil die Aufstellung eines Protokolls nötig ist: doppelte Gebühr, zehn Goldkronen. »Ja, aber, um Himmels willen...“ Der Beamte glaubt, es verantworten zu können, die Gebühr auf die Hälfte zu reduzieren.

Es spricht eine österreichische Beamtenwitwe in einer Erbschaftsangelegenheit vor; sie möchte wissen, ob der Erblasser tatsächlich im Jahre 1928 im Hause Via degli Orsini 35 in Rom gelebt hat. Der Beamte weiß aus seiner Erfahrung, daß eine solche Erhebung gar nicht möglich ist, weil es in Rom kein Zentralmeldeamt gibt. Diese Mitteilung darf er ihr jedoch erst machen, nachdem sie beim Kanzleibeamten die Gebühr von fünf Goldkronen erlegt hat. Denn das Gesetz ist unerbittlich, der Fiskus verlangt die Bezahlung von Auskünften, die gar nicht gegeben werden können.

Als letzter tritt ein italienischer Journalist ein, dessen Name in der Presse einen gewissen Klang hat. Er möchte einige Informationen über politische und wirtschaftliche Verhältnisse in Oesterreich. Der Beamte macht einen Gewissenskonflikt durch. Die „Vergebührung“ (man verzeihe dieses schreckliche, der Amtssprache entnommene Wort) der Informationen von dem Journalisten zu verlangen, erscheint ihm von vornherein unmöglich zu sein. Darf er sich vielleicht auf die Bestimmung berufen, daß Auskünfte unentgeltlich erteilt werden dürfen, „wenn sie im ausschließlichen öffentlichen Interesse liegen“? Aber wird die Kommission für die Ueberprüfung der ordnungsgemäßen Vergebührung das ausschließliche öffentliche Interesse anerkennen? Oder liegt ein ausschließlich öffentliches Interesse einfach durch die Tatsache vor, daß ein Journalist Informationen verlangt? Der Beamte vermag seinen hamletischen Zweifel nicht zu lösen, aber er findet einen genialen Ausweg: „Sie sind doch

Italiener, wenden Sie sich doch an die italienische Vertretungsbehörde in Wien!“ (Um Gottes willen, hätte nicht auch diese Auskunft vergebührt werden müssen?!). Ungläubig starrt der Journalist dem Beamten ins Gesicht, der noch jung genug ist, um zu erröten. Auf der Treppe überlegt er, ob er nicht eine Glosse schreiben soll.

Etwas verwickelter wird die Sache, wenn die Anfrage auf schriftlichem Wege erfolgt. Der Geschäftsmann in Dornbirn, der sich an die österreichische Gesandtschaft in Bern um eine Auskunft wendet, konnte sie früher binnen wenigen Tagen erhalten. Nach den neuen Bestimmungen erhält er zunächst aus Bern einen Brief, den er erwartungsvoll öffnet. Der Umschlag enthält jedoch nur einen Konsulargebührenbescheid (den der Kanzleibeamte vierfach ausfertigen muß). Die Antwort wurde von der Gesandtschaft in Bern an das Bundeskanzleramt in Wien geschickt, das sie erst dann dem Fragesteller übermittelt, wenn die Konsulargebühr eingezahlt wurde. Inzwischen aber sind Wochen vergangen. Es gibt allerdings auch Fälle, deren Dringlichkeit so auf der Hand liegt, daß dem Leiter einer Auslandsmission die Möglichkeit eingeräumt werden mußte, die Amtshandlung auch vor der Vergebührung zu beginnen. Aber auch hier muß das Gesetz „streng gehandhabt“ werden; von der Erleichterung darf nur Gebrauch gemacht werden, wenn der Partei sonst ein „unwiederbringlicher“ Schaden (ist niemandem dieser sprachliche Unsinn aufgefallen?) erwachsen würde.

TJnd es gibt andere Fälle, in denen sich die österreichischen Diplomaten im Ausland in lebendige Taxameter verwandeln: „Vernehmung im Rechts- und Amtshilfsverfahren für jede begonnene Stunde der Amtshandlung: 15 Goldkronen. Amtshandlungen, die von Organen der Vertretungsbehörden außerhalb des Amtes vorgenommen werden, für jede begonnene Stunde der Amtshandlungen einschließlich des Hin- und Rückweges: 8 Goldkronen.“ Der Diplomat als Taxibeamter!

Der Weltbund der Auslandsösterreicher hat kürzlich auf seiner Tagung in Zürich energisch gegen die Durchführungsbestimmungen zum Konsulargebührengesetz 1952 Protest erhoben, auf einige ihrer Absurditäten hingewiesen und vor dem politischen und moralischen Schaden gewarnt, den sie ohne Zweifel bewirken müssen. Was verlangt wird, ist nicht ein- neues Gesetz, sondern eine vernünftigere Auslegung des bestehenden.

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