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Weichenstellung für die Ausländerpolitik

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Nicht zum ersten Mal hat das Schweizer Volk am kommenden 5. April zur Ausländerpolitik Stellung zu nehmen. Doch diesmal geht es um ein von knapp 56.000 Stimmbürgern eingebrachtes Volksbegehren, das sich für die Vermenschlichung der A usländerpolitik und für eine bessere Eingliederung der Gastarbeiter in die Gesellschaft einsetzt.

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Nicht zum ersten Mal hat das Schweizer Volk am kommenden 5. April zur Ausländerpolitik Stellung zu nehmen. Doch diesmal geht es um ein von knapp 56.000 Stimmbürgern eingebrachtes Volksbegehren, das sich für die Vermenschlichung der A usländerpolitik und für eine bessere Eingliederung der Gastarbeiter in die Gesellschaft einsetzt.

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Die Urheber der Initiative wollten damit bewußt einen Kontrapunkt zu den fremdenfeindlichen Volksbegehren der Jahre 1970 bis 1975 setzen, welche die Zahl der Ausländer in der Schweiz drastisch beschränken wollten. Zweimal scheiterten solche Versuche nach aufwühlenden und emotionalen Abstimmungskampagnen relativ knapp, zwei weitere Male schon klarer.

Kernpunkt der jetzigen Diskussion im Vorfeld des Urnenganges ist das sogenannte Saisonnierstatut, eine spezielle, auf höchstens neun Monate pro Jahr begrenzte Arbeitsbewilligung für Ausländer, die dabei weder den Arbeitsplatz wechseln, noch ihre Familie mitnehmen können. Die Initianten wollen dieses Statut unter Gewährung einer Ubergangsfrist von Fünf Jahren abschaffen.

Die Gegner wehren sich vehement und verweisen auf die Bedeutung der jSaisonarbeitskräfte, namentlich im Tourismus und im Baugewerbe.

Mit der Aufhebung des Saisonnier- statuts, so wird betont, würden vor allem die verheirateten Ausländer nach Ganzjahresstellen Ausschau halten, was zum Beispiel für die Fremdenverkehrsregionen verheerende Auswirkungen hätte. Zudem wird ein neuer Anstieg der ausländischen Wohnbevölkerung befürchtet, der den erfolgreichen Stabilisierungsbemühungen der Behörden in den letzten Jahren zuwider laufen würde.

Die Schweiz hatte in den letzten 30 Jahren eine große Zuwanderung an Ausländern zu verzeichnen. DerHöchst- stand wurde 1973 erreicht, mit rund 200.000 Saisonniers und über einer Million ausländischen Aufenthaltern oder Niedergelassenen (die Niederlassung wird nach dem geltenden Recht nach einem Aufenthalt von mehr als zehn Jahren gewährt).

Für bessere Rechtsstellung

In den letzten sieben Jahren hatte sich der Ausländerbestand im Zuge einer strikten Stabilisierungspolitik und nicht zuletzt wegen der nach 1975 spürbaren Rezession bei den Saisonniers um 85.000, bei den erwerbstätigen Jahresaufenthaltern und Niedergelassenen um 100.000 und bei den Nichterwerbstätigen (vor allem Frauen und Kinder) um 68.000 Personen reduziert.

Insgesamt war damit - auch während den Monaten mit Beschäftigung der Saisonniers - die Zahl der Ausländer auf unter eine Million gesunken, bei einer schweizerischen Wohnbevölkerung von rund 5,4 Millionen.

Den Geburtshelfern des nun zur Abstimmung gelangenden Volksbegehrens geht es nicht darum, der Stabilisierungspolitik entgegenzuwirken, sondern um eine verbesserte Rechtsstellung der Ausländer, die auch davor bewahrt werden sollten, im Falle rezessionsbedingter wirtschaftlicher Schwierigkeiten wieder (wie Mitte der siebziger Jahre) als erste Opfer die Schweiz verlassen zu müssen.

In Anlehnung an ein Wort des bekannten Schriftstellers Max Frisch wird darauf verwiesen, daß die Wirtschaft im Ausland nach Arbeitskräften gerufen habe, gekommen aber seien Menschen mit einem Anrecht auf menschenwürdige Behandlung. Wo liegen denn nun die Kernpunkte der Initiative?

• Einleitend bereits erwähnt wurde die Abschaffung des Saisonnierstatuts. Saisonangestellte sollen den Aufenthaltern gleichgestellt werden, ihre Familie nachziehen, ihren Wohnort und Arbeitsplatz wechseln und die Aufenthaltsbewilligung erneuern können.

• Die Erneuerung der Aufenthaltsbewilligung soll nach den Intentionen des Volksbegehrens nur durch den Richter aufgrund strafrechtlicher Widerhandlungen verweigert werden dürfen, nicht dagegen zum Beispiel wegen einer hohen Arbeitslosenquote im Land.

• Beschränkungen in bezug auf ausländische Arbeitskräfte sollen nur noch bei der Zulassung erfolgen dürfen; pro Jahr sollen höchstens so viele erwerbstätige Ausländer einreisen dürfen, wie im Vorjahr ausgereist sind.

• In weiteren Bestimmungen sollen auch die politischen Mitwirkungsrechte verstärkt (ohne aktives Stimm- und Wahlrecht allerdings) und die Eingliederung der Ausländer in die einheimische Bevölkerung gefördert werden.

Einige dieser Begehren werden auch mit einem neuen Ausländergesetz erfüllt, das derzeit als Entwurf in den beiden Kammern der schweizerischen Bundesversammlung in Beratung steht. Dieses Gesetz wird denn auch als eigentlicher Gegenvorschlag zur Initiative angesehen, doch kennt der Stimmbürger die endgültige Fassung am Abstimmungstag des Volksbegehrens noch nicht, da sich die beiden Kammern in verschiedenen Punkten noch nicht einig sind und das in solchen Fällen notwendige Differenzbereinigungsverfahren noch im Gange ist.

Fest steht allerdings, daß das neue Ausländergesetz an einem (gemilderten, weil die Frist zum Nachzug der Familie verkürzt werden dürfte) Saison- nierstatut festhalten wird. Das ist auch der Hauptgrund, weshalb die Initiative nicht - wie es möglich gewesen wäre, weil seit Lancierung und Einreichung des Begehrens einige Verbesserungen erzielt wurden - zurückgezogen wurde.

Die Träger der Initiative setzen sich aus über 30 Gruppierungen zusammen, fast ausnahmslos sozial engagierte christliche Vereinigungen und Parteien und Verbände des linken Spektrums. Die eigentliche Idee stammt von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung.

Aktiv mit von der Partie war ursprünglich auch die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), die aber im September 1977 aus dem Komitee ausstieg, als die Unterschriftensammlung nur zähflüssig vonstatten ging, die Stabilisierungspolitik ihre Früchte trug und die Emotionen um die Ausländerfrage vordergründig abgeklungen waren. Zudem zeichneten sich damals die Grundzüge des erwähnten neuen Ausländergesetzes ab, mit dem man einige Verbesserungswünsche realisieren zu können glaubte.

Neue Barrieren möglich

Enttäuschend für die Initianten beschloß die Delegiertenversammlung der schweizerischen CVP mit 141:88 Stimmen klar die Nein-Parole zur Abstimmung vom 5. April, was der Partei teils heftige Kritik aus den eigenen Reihen eintrug, sah man doch einen Widerspruch zu den familienpolitischen und humanitären Zielsetzungen im Grundsatzprogramm und die Verleugnung eines eigenen Kindes.

Zahlreiche Sektionen der CVP in den Gliedstaaten (Kantonen), vor allem auch der französischsprachigen Schweiz, geben denn auch eine gegenteilige Abstimmungsempfehlung als die Mutterpartei. Auch die Bischofskonferenz und zahlreiche kirchliche Organisationen unterstützen die Initiative offen und verlangen die Abschaffung des Saisonnierstatuts.

Desgleichen die sozialdemokratische Partei (SP) und die christlichen Gewerkschaften, wogegen der der SP nahestehende größte Gewerkschaftsbund Stimmfreigabe beschlossen hat. Klar gegen das Volksbegehren haben sich die rechts der CVP stehenden Parteien und die Arbeitgeberorganisationen ausgesprochen.

Es rechnet praktisch niemand mit einer Annahme der Initiative, gegen die sich auch die Regierung und die klare Mehrheit des Parlamentes stellt. Jedoch glaubt man allgemein, daß ein hoher Ja-Stimmenanteil bewirken könnte, daß in der Differenzbereinigung des Ausländergesetzes die liberale Haltung - etwa bezüglich der Nachzugsfrist für die Familienangehörigen - Aufwind bekommen könnte, wogegen ein allzu deutliches Nein-Ergebnis einer menschlicheren Ausländerp’olitik neue Barrieren in den Weg legen könnte.

Deshalb ist der Ausgang der Volksabstimmung, auch wenn an einer Nein- Mehrheit kaum zu rütteln sein wird, von einiger Bedeutung über die künftige Marschrichtung diesen Problemen gegenüber.

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