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Wahlkampf 1975 ohne Kirche, ohne Fristenlösung: „Eine bittere Enttäuschung“

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Die Diskussion über die sogenannte „Fristenlösung“ ist nicht abgeschlossen. Die der christlichen Weltanschauung verpflichteten österreichischen Staatsbürger können weder jetzt noch in Zukunft ihr Einverständnis mit dem gegenwärtigen gesetzlichen Zustand erklären und bleiben daher verpflichtet, nach wie vor ihre Auffassung zu vertreten und auch weiterhin jeden nur möglichen Versuch zu unternehmen, diese Gesetzesbestimmungen wiederum abzuändern.

In Dingen, die von so großer, weltanschaulicher Bedeutung sind und die - vom Grundsätzlichen her gesehen - nicht geändert werden können, kann es kein Ende der Diskussion geben! Wie bei allen Dingen der gesellschaftlichen Ordnung unter den Menschen müssen aber Grundlagen und Taktik genau erforscht werden, wenn man mit Erfolg rechnen will. Die weltanschaulichen Grundlagen sind klar; ziemliche Verwirrung aber herrscht über die Taktik, was schließlich ja auch zu der jüngsten Kontroverse zwischen Kirche und Parteien geführt hat. Es soll daher im nachstehenden versucht werden, das taktische Element ein wenig klarzustellen.

Kein Konsens in Grundfragen

Die auf Grund der Wahlen von 1971 und 1975 bestehende parlamentarische Mehrheit der sozialistischen Partei hat durch Mąjorisierung der anderen Hälfte der österreichischen Wählerschaft einen Akt gesetzt, wie er seit 1945 nie geschehen war, ja nicht einmal versucht wurde. Die österreichische Volkspartei hat weder in der Zeit von 1945 bis 1949, noch von 1966 bis 1970 - in beiden Fällen hatte sie die Mehrheit der Parlamentssitze - auch nur im entferntesten versucht, die sozialistische Minderheit in weltanschaulichen Fragen zu mąjorisieren.

Bis zu den Wahlen von 1971 galt es als ein ungeschriebenes Gesetz der österreichischen Regierungs- und Parteienpolitik, daß wichtige weltanschauliche Fragen ürid Problėifie nur im Konsens der beiden großen politischen Kräfte gelöst werden sollten. Die Renovation des Konkordates von 1934 wurde ebenso wie die Schulgesetzgebung erst durchgezogen, nachdem man zu übereinstimmenden Lösungen gefunden hatte. Hiezu waren gewiß jahrelange Verhandlungen notwendig.

Der Grund für die Konsensbereitschaft der ÖVP lag klar auf der Hand: Weltanschauungsfragen können nur dann auf der Gesetzgebungsebene einer dauerhaften Lösung zugeführt werden, wenn sie von tagespolitischen Entscheidungen und von der wechselnden Wählergunst der Staatsbürger möglichst unbeeinflußt bleiben. Das aber kann in Österreich nur durch einen Konsens der beiden großen Parteien erreicht werden.

Wird diese Übereinstimmung nicht erreicht, so muß man immer damit rechnen, daß eine andere parlamentarische Mehrheit wiederum Änderungen vornehmen wird - ein Zustand, von dem der gesamte Bereich der Weltanschauung ein für allemal ausgenommen bleiben sollte. Die SPÖ hat gegen diesen Grundsatz verstoßen und muß daher damit rechnen, daß die ,Fristenlösung‘ so wie sie nun gesetzlich beschlossen wurde, bei geänderter parlamentarischer Situation wieder aufgehoben werden wird.

Lehren aus der Geschichte

Blicken wir ein lyenig in die österreichische Vergangenheit mit ihren scharfen innerpolitischen und weltanschaulichen Gegensätzen zurück, so müssen wir die von der Volkspartei durch 25 Jahre hindurch bewiesene Konsensbereitschaft in weltanschaulichen Fragen als eine Wendung zum Besseren und als einen außerordentlichen Fortschritt im allgemeinen politischen Leben bezeichnen. Die Älteren unter uns erinnern sich noch sehr genau der tristen Verhältnisse, die in der Zwischenkriegszeit gerade durch die oft mit Brachialgewalt ausgetragenen weltanschaulichen Gegensätze der politischen Kräfte des Landes entständen sind.

Die eindeutig parteipolitisch akzentuierte Freidenkerbewegung der sozialdemokratischen Partei, die Hetze gegen Reügion und Kirchen, besonders gegen die katholische Kirche, die Prügelszenen anläßlich von Fronleichnamsprozessionen und anderen religiösen Kundgebungen und anderes mehr waren schließlich auch eine der Ursachen der bürgerkriegsähnlichen Ereignisse von 1927 und 1934.

Die „Fristenlösung“ ist ein Bundesgesetz. Aufhebung und Änderung eines solchen können nur durch einen neuerlichen Gesetzesbeschluß des Nationalrates erfolgen. Wie aber Gesetzesbeschlüsse im Nationalrat ausfal- len, das hängt allein von den parlamentarischen Mehrheiten ab, und .diese wieder werden bei Nationalratswahlen bestimmt. Daraus ergibt sich für das Problem der „Fristenlösung“ eine ganz einfache und klare Überlegung, wie sie einfacher und klarer gar nicht sein könnte.

1975 stand auch Fristenlösung zur Debatte

Als die Österreicher am 5. Oktober 1975 zu Wahlen aufgerufen waren, stand selbstverständlich auch das Schicksal des Bundesgesetzes über die „Fristenlösung“ zur Debatte. Nur wenn es an diesem Wahltag möglich gewesen wäre, eine Mehrheit in das Parlament zu bringen, die gegen die „Fristenlösung“ ist, hätte man eine Änderung dieser gesetzlichen Bestimmung erwarten dürfen. Das heißt, mit den Wahlen vom 5. Oktober 1975 wurde auch über die „Fristenlösung“ entschieden.

Aus dieser Überlegung aber ergibt sich zwingend die Folgerung, daß die „Fristenlösung“ niemals aus dem Wahlkampf hätte ausgeschaltet werden dürfen, wie es dem Vernehmen nach von seiten der katholischen Aktion verlangt wurde. Selbst wenn es wahr sein sollte, daß es darüber eine Absprache mit dem verstorbenen Bundesparteiobmann Dr. Schleinzer gegeben habe, hätte gerade die katholische Aktion und mit ihr die Kirche verlangen müssen, daß die „Fristenlö- jgung“ ein Gegenstand des Wahlkampfes sein muß. Da es aber gerade die hie- für zuständigen katholischen Stellen gewesen sind, die das nicht wollten, können sie sich jetzt den Vorwurf nicht ersparen, den einzig wirksamen Hebel zur Erreichung ihrer Ziele unbenutzt gelassen zu haben.

Fragt man sich nach den Gründen dieses sonderbaren Wunsches nach Ausklammerung der „Fristenlösung“ aus dem Wahlkampf 1975, so wird mein unschwer die Ursache in der unsicheren, um nicht zu sagen ambivalenten Haltung der Kirche gegenüber den politischen Parteien sehen.

Die katholische Kirche hat in Österreich immer einen hervorragenden politischen Platz eingenommen. „Thron und Altar“ hieß es in der alten

Kaiserhymne, und .auch in der republikanischen Zeit lieh die Kirche der christlich-sozialen Partei ihre volle Unterstützung, was schon wegen des ■ bereits erwähnten Kulturkampfes der Sozialdemokraten gegen jede christliche Weltanschauung unvermeidlich war. Aber schon in den dreißiger Jahren zeigten sich die Anfänge eines Rückzuges der Kirche aus dem unmittelbaren parteipolitischen Getriebe.

Es sei nur das schon 1936 ergangene Verbot für Geistliche erwähnt, politische Mandate anzunehmen. Nach 1945 setzte sich dieser Loslösungsprozeß fort, und es wurde schließlich eine vollständige Trennung der Kirche von jeder politischen Partei möglich, weü auch auf sozialistischer Seite die alte marxistische Kulturkampftradition erfreulicherweise keine Fortsetzung fand.

Es gab innerhalb der ÖVP eine jahrelange Diskussion darüber, ob diese Emanzipation von der Kirche der ÖVP nützlich oder schädlich wäre. So wie sich die Dinge entwickelt haben, kann man wohl sagen, daß es ein vernünftiger Vorgang war, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Volkspartei auch für weltanschaulich liberale Wählergruppen offen sein muß.

Das war ja auch einer der Gründe dafür, daß man die christlich-soziale Partei 1945 nicht mehr einfach rekonstruierte, sondern sie mit einem neuen, liberal beeinflußten Programm austattete und das Wort „christlich“ nicht mehr in ihren Namen aufnahm. Es, bestand aber niemals ein Zweifel darüber, daß diese Partei grundsätzlich auf dem Boden der christlichen Weltanschauung steht, ohne jedoch eine „klerikale“ Partei zu sein.

Was ist „Äquidistanz“?

Allein daraus ergibt sich jedenfalls, daß das Interesse der Kirche und der österreichischen Katholiken an der ÖVP ein bedeutend größeres sein muß als an der SPÖ. Wenn dennoch das Wort von der „Äquidistanz“ der Kirche zu den beiden großen politischen Kräften entstanden ist, so liegt der Grund dafür in vielen tagespolitischen Ereignissen, bei denen sich die österreichischen Katholiken manchmal vor den Kopf gestoßen fühlen mußten.

Die Herausnahme der „Fristenlösung“ aus dem Wahlkampf 1975 ist ein solches Beispiel. Niemand verlangt heute von der Kirche eine unbedingte Parteinahme zugunsten der ÖVP. Die Absenz der Kirche vom parteipolitischen Getriebe des Alltags wird allgemein als richtig empfunden. Aber jeder österreichische Katholik erwartet sich, daß die Kirche dann eindeutig Stellung nimmt, wenn es sich um ihre ureigensten Probleme handelt, wie z. B. um die „Fristenlösung“.

Nun haben die österreichische Bischofskonferenz, die katholische Aktion und die „Aktion Leben“ gewiß immer wieder sehr eindeutig und energisch gegen die „Fristenlösung“ Stellung bezogen. Aber gerade dort, wo eine solche Stellungnahme am notwendigsten gewesen wäre, nämlich bei dem Versuch, eine parlamentarische Mehrheit gegen die „Fristenlösung“ zu erreichen, tat man dies nicht. Die Absenz der verantwortlichen katholischen Stellen in der Frage der „Fristenlösung“ beim Wahlkampf 1975 war eine bittere Enttäuschung. Damit wurde viel Porzellan zerschlagen, und es wird großer Mühe bedürfen, es wieder zu kitten.

„Nur“ 900.000 Wähler

Bei diesen Gedanken dürfen auch einige Überlegungen über das Volksbegehren nicht fehlen. Nach der österreichischen Bundesverfassung können die wahlberechtigten Bürger unter gewissen, im Gesetz zahlenmäßig festgelegten Voraussetzungen einen Gesetzeswunsch in Form eines Volksbegehrens an den Nationalrat herantragen. Dieser ist verpflichtet, es in Verhandlung zu nehmen und darüber zu entscheiden. Ein Volksbegehren ist daher nicht mehr als eben ein Wunsch einer Anzahl von Staatsbürgern, ein Wunsch, den das Parlament erfüllen oder ablehnen kann.

Das heißt, daß die Abgeordneten zum Nationalrat völlig frei über Annahme oder Ablehnung entscheiden können. Daß dieses Volksbegehren eingeleitet wurde, war vollkommen richtig. Mit ihm sollte demonstriert werden, daß 900.000 wahlberechtigte österreichische Staatsbürger das bestehende Gesetz ablehnen.

Auch wenn es „nur“ 900.000 Wähler waren, die durch ihre Unterschrift ihren Willen zum Ausdruck brachten, so ist natürlich anzunehmen, daß eine bedeutend größere Anzahl, möglicherweise mehr als die Hälfte aller stimmberechtigten Österreicher dieses Gesetz ablehnen, auch wenn sie - aus welchen Gründen immer - ihre Unterschrift für das Volksbegehren nicht abgegeben haben.

Aber selbst wenn mehr als die Hälfte aller Stimmberechtigten das Volksbegehren durch ihre Unterschrift unterstützt hätte, wäre es noch immer in der freien Entscheidung der Nationalratsmehrheit gelegen, zuzustimmen oder abzulehnen. So ist nun einmal die verfassungsrechtliche Lage.

Um nicht mißverstanden zu werden, sei es noch einmal wiederholt: Das Volksbegehren war zu begrüßen und mit allen Mitteln zu unterstützen. Aber nach dem 5. Oktober 1975 war es von Haus aus klar, daß es keinen Erfolg haben würde. Wer sich etwas anderes erwartete, kannte entweder die Bundesverfassung oder die politische Realität nicht.

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