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Warum sowenig Fairneß?

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Das Einleitungsverfahren ist in vollem Gang; auch in der Steiermark hat es inzwischen begonnen, während es in Wien vorläufig mit 20. Dezember terminisiert ist. Ein Sprecherder „AktionLeben“ erklärte unlängst, daß man bis Ende 1974 mit guten 500.000 Unterschriften rechnet, die bis Ende Jänner 1975 auf 600.000 anwachsen sollen. Die Zahl der Unterschriftswilligen ist zwar von Bundesland zu Bundesland stark verschieden, dennoch ist kaum mehr an der Tatsache zu zweifeln, daß das Volksbegehren (in seiner Endphase) die Stimmenanzahl des bisher erfolgreichsten österreichischen Volksbegehrens, des Rundfunkvolksbegehrens, erreichen, ja übertreffen wird. (Volksbegehrens- Organisator Ploier: „Wir wissen, daß wir an dieser Zahl gemessen werden.“)

ÖVP und FPÖ haben bekanntlich im Nationalrat gegen die Fristenlösung Stellung bezogen. Während es aber der FPÖ jetzt viel leichter gelingt, ihre Neutralität zum Volksbegehren glaubhaft zu vertreten, da sich die SPÖ Angriffe auf einen potentiellen „Juniorpartner“ verkneift, sieht die linke Reichshälfte in der ÖVP die wahren Drahtzieher der „Reaktion“. Kein Zweifel, es liegt in der Natur der beiden großen österreichischen Parteien, daß sich wohl in der ÖVP mehr Sympathisanten für ein Volksbegehren zum Schutz des Lebens finden als etwa in der SPÖ, dennoch darf man es sich nicht zu leicht machen. Immerhin haben namhafte Persönlichkeiten der ÖVP offen erklärt, daß sie nicht daran denken, diese Initiative zu unterschreiben, während anderseits sozialistische Sympathisanten (wie zuletzt in der Steiermark) nur unter starker Aufbietung der Parteiautorität von einer aktiven Mitarbeit in der „Aktion Leben“ zurückgepfiffen werden konnten.

Diese Schwarzweißmalerei zeigt jedoch ein Phänomen ganz deutlich auf: Dieses Volksbegehren ist den Sozialisten unter die Haut gegangen. Was anfangs als kümmerliche Initiative „reaktionär-klerikaler“ Kreise nicht einmal ignoriert werden sollte, hat nunmehr einen Stammplatz auf der ersten Seite der SP- Blätter. Aus einer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung ist eine parteipolitische Konfrontation geworden. Bekannte SP-Politiker werben in Inseraten um Anrufe, um in Sachen Fristenlösung aufklärend zu wirken. Ein Flugblatt einer „Aktion unabhängiger Frauen“ vertritt angeblich die Interessen von 100.000 österreichischen Frauen, die jährlich abtreiben, usw. usw.

Ein Übereinkommen, welches analog einem Wahlkampfüberein- kommen für relative Fairneß sorgen sollte, wurde zwar vorgeschlagen, fand aber keinen Widerhall. Das ist schade, denn die Ausrutscher auf beiden Seiten werden immer peinlicher, so daß man mit Recht von Exzessen sprechen kann. Fanatische Eiferer gibt es auf beiden Seiten; hier Pfarrer oder Bürgermeister, die sich zum Ziel setzen, ihre Gemeinde hundertprozentig zur Unterschrift zu bringen und die in der Wahl der Mittel oft nicht allzu wählerisch sind. Dort eine starke Parteiorganisation, die oft mit ebensolcher Vehemenz ein Engagement ihrer Mitglieder um jeden Preis verhindern will. Kein Zweifel, die gegenseitige Polemik hat vereinzelt Tiefpunkte erreicht, wie sie auch in harten Wahlkämpfen nicht oft Vorkommen.

Der Kampf wird jedoch nicht nur in leidenschaftlichen Presseartikeln, Flugblättern, Versammlungen usw. geführt, sondern auch mit weit subtileren, aber nicht weniger wirkungsvollen Mitteln. In diesem Zusammenhang ist zum Beispiel erwähnenswert, daß in Wien die Öffnungszeiten der Magistratischen Bezirksämter für das Einleitungsver-

fahren mit 8 bis 13 Uhr (Mittwoch 8 bis 16 Uhr) festgesetzt wurden; am Samstag ist geschlossen, Ein Modus, der vielen eine Unterschriftenleistung sehr beschwerlich, ja vielleicht sogar unmöglich macht. Abgesehen davon, hat man z. B. im Bezirksamt für den 3. Bezirk offensichtlich erst im dritten Stock (kein Aufzug) einen Raum gefunden, den man für Unterschriftswillige zur Verfügung stellen konnte. Kein Wunder also, daß in Österreichs größtem Bundesland bisher lediglich rund 35.000 Unterschriften geleistet wurden, während in anderen Ländern, wo die Behörden offensichtlich alles andere als eine volksbegehrensfeindliche Haltung einnehmen, die Zahl der Unterschriften wesentlich größer ist. (Zum Vergleich: In Oberösterreich hält die „Aktion Leben“ nach eigenen Angaben bei rund 115.000 Unterschriften.)

Alles in allem: Es gibt eine Reihe von sehr unschönen Aspekten um eine gute Sache — denn als eine auch staatsbürgerlich gute Sache muß doch wohl der Umstand angesehen werden, daß in Österreich nicht nur eine öffentliche Auseinandersetzung um ein paar Bäume im Stemwartepark, eine Landepiste oder eine Autobahntrassenführung möglich ist, sondern auch ein direkt demokratisches Engagement in einer moralischen Fundamentalfrage stattfinden kann.

Da sich jedoch die Gemüter nicht von selbst beruhigen werden, darf die Frage eines Fairneß-Übereinkommens noch einmal zur Diskussion gestellt werden: Sieger wäre in diesem Fall weder die eine noch die andere Gruppe, sondern die Demokratie.

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