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Eine Chance vertan

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Der Bundesminister für Justiz, Dr. Broda, und der Klubobmann der SPÖ im Nationalrat, Dr. Fischer, haben sich durchgesetzt. Endgültig. Das Volksbegehren zum Schutz des menschlichen Lebens wird niedergestimmt werden. Bundeskanzler Kreisky und Zentralsekretär Blecha, die noch in jüngster Zeit Verwendungszusagen für ernsthafte Überlegungen wenigstens zu flankierenden Maßnahmen im strafrechtlichen Teil des Volksbegehrens gegeben hatten, haben entweder nichts versucht, oder mußten sich der’ Klubräson beugen. Auch wenn in einigen wenigen Begleitmaßnahmen inzwischen den Intentionen der Unterzeichner des Volksbegehrens Rechnung getragen wurde, im Kern bleibt das Volksbegehren unerfüllt.

Die Kaltschnäuzigkeit, mit der in dieser Frage mit dem Willen von

900.000 wahlberechtigten Österreichern verfahren wurde, ist beispiellos. Von Anfang der Beratungen an wurde von seiten der Regierungspartei parallel zur Äußerung, es werde ein formal korrektes Verfahren geben — was sonst? - immer wieder die Feststellung getroffen, an der Fristenlösung werde sich nichts ändern. Diese Haltung wurde nun konsequent durchgezogen: trotz eines ausgewogenen und die Notsituationen der Frau berücksichtigenden Antragstextes des

Volksbegehrens, trotz der dadurch gegebenen politischen Schwierigkeiten im Verhältnis zur Kirche und trotz der verheerenden Konsequenzen und Begleiterscheinungen der Fristenlösung.

Zu Letzterem zuerst: Die Gegner des Volksbegehrens waren mit dem Slogan „Helfen statt strafen” angetreten und hatten versucht, sich zum Anwalt der Frauen zu machen und die Befürworter des Volksbegehrens als lebensfremde Prinzipienreiter darzustellen; auch den Anwalt des Kindes darzustellen haben sie nie versucht, wenn sie überhaupt zugaben, daß auch das ungeborene Leben menschliches Leben ist. Wer und wo sind heute die Anwälte jener Frauen, die seit Inkrafttreten der Fristenlösung zunehmend unter Druck gesetzt werden, vom eigenen Mann, von den Eltern, am Arbeitsplatz? Wo sind die Maßnahmen der Regierung, in denen sie glaubwürdig dartut, daß sie die Abtreibung wirklich als kein geeignetes Mittel zur Geburtenregelung betrachtet? Ohne wirksame und umfassende Aufklärungskampagne über die Qualität des ungeborenen Lebens als menschliches Leben und ohne umfassende Kampagne über Gefahren und Folgen der Abtreibung bleiben Lippenbekenntnisse eben Lippenbekenntnisse.

Wie kann aber diese Regierung sich auch zu einer Aufklärungskampagne bekennen, wo doch so gut wie alle Ziele, unter denen die Fristenlösung als Ideallösung angeboten wurde, fehlgeschlagen sind? Die vom Gesetz vorgesehene Beratung ist eine Farce, wenn entweder der abtreibende Arzt selbst berät oder die durch Sozialarbeiterinnen durchgeführten Beratungen schon von der vorgegebenen Zeit so kurz bemessen sind, daß eine wirkliche Beratung nicht durchgeführt werden kann.

Die Kosten für eine Abtreibung sind zwar in einigen Spitälern geringer als früher, aber insgesamt wird mehr kassiert als je zuvor und das, wie man aus den offenherzigen Erklärungen Betroffener weiß, im abtreibungsfreudigeren Osten unserer Republik.

Die Gesundheit der Frau, die die Befürworter der Abtreibung bei der berühmten Engelmacherin am Küchentisch gefährdet sahen, wird heute in einem erschreckend hohen Prozentsatz auch bei der vielgepriesenen Ab saugmethode durch Verletzungen der Frau aufs Spiel gesetzt.

Nach mehr als zwei Jahren Fristen- lösung in österreich wird es immer klarer, dafi die ungeborenen Kinder und ihre Mütter eine schamlos unter- drückte Minderheit sind. Dadurch ha- ben sich in überraschend kurzer Zeit auch fur den neutralen Beobachter die Fronten verkehrt. Selbst wer noch vor Inkrafttreten der Fristenlösung oder während des Eintragungsverfahrens zum Volksbegehren der Meinung sein konnte, hier werde ein Rechtsstand- punkt gegen die Interessen des Lebens vertreten, muß angesichts der bruta- len Tatsachen erkennen, wer nun auf der Seite der Armen und Schwachen steht.

Klubobmann Fischer hat im Okto- ber 1975 in einem Referat unter dem Titel „Kirche und Staat” ausgeführt: „Ich glaube, daß das Problem der Fri- stenlösung, das heute fur viele einen Stein des Anstoßes bildet, nicht fur alle Zeiten unentschieden und un- überwindbar weiterschwelen wird, sondern daß diese Frage - wie so viele andere in den letzten hundert Jahren - von der Geschichte so oder so ent- schieden werden wird, wobei die hi- storische Erfahrung lehrt, daß auf lange Sicht nicht unbedingt der mo- mentan Stärkere recht behält, sondern derjenige, fur den die besseren Argumente streiten und so soli es auch in diesem Fall sein.”

Die Geschichte hat sehr rasch ent- schieden, nur die SPÖ will es nicht wahrhaben. Die SPÖ ist unglaubwiir- dig geworden, und diese Unglaub- würdigkeit kann weder durch wohltö- nende Reden, noch durch demonstrative Akte des Gespräches beseitigt werden. Auch nach dem brutalen Ab- würgen des Volksbegehrens wird das Thema Fristenlösung in österreich auf der Tagesordnung bleiben, und jene Armsten der Kinder und Mütter werden in der Kirche ihren Anwalt haben.

In dieser Hinsicht wird auch der formale Akt der Debatte und der Ab- stimmung fiber den Bericht des Son- derausschusses des Volksbegehrens nichts ändem. Geändert aber hat sich eines: Kreiskys Lebenswerk der Ver- söhnung zwischen Kirche und Sozial- demokratie ist mehr gefährdet denn je. Die Waagschale, in der die Gewichte des Trennenden liegen, hat sich bis auf den Boden gesenkt.

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