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Milde vereitelt nicht den Zweck

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Das Volksbegehren hat unter seinen Kritikern nicht nur die Freunde der Fristenlösung, sondern auch wohlmeinende Katholiken, die an der Richtigkeit der Zielsetzung des Volksbegehrens zweifeln oder dessen Inhalt geradezu ablehnen.

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Das Volksbegehren hat unter seinen Kritikern nicht nur die Freunde der Fristenlösung, sondern auch wohlmeinende Katholiken, die an der Richtigkeit der Zielsetzung des Volksbegehrens zweifeln oder dessen Inhalt geradezu ablehnen.

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Das Niveau dieses konservativen Widerstandes ist teilweise sehr beachtlich, es gibt aber auch grobe Informationsmängel. So ist es ein in Leserbriefen häufig auftauchender Irrtum, daß die jetzt geltende Regelung das Leben im Mutterleib nach dem dritten Monat unbedingt schütze, während der Vorschlag der Aktion Leben einen solchen Schutz nicht garantieren würde. Nach geltendem neuen Strafrecht sind nach dem dritten Monat die eugenische, die medizinische und die Altersindikation ohne jede Kontrolle anerkannt, während der Entwurf der Aktion Leben für die allein anerkannte medizinische Indikation durch die Forderung nach qualifizierter Begutachtung eine Kontrolle fordert. Die Berücksichtigung der Lebensgefahr und der schweren Gefahr für die Gesundheit der Mutter ist in Österreich seit 1937 in der Rechtsordnung enthalten. Katholische Kreise haben damals keinen Einspruch erhoben. Auch das jüngste .vatikanische Dokument zur Abtreibungsfrage läßt deutlich erkennen, daß zwischen der Rechtspolitik für den Bereich des Staates und den Forderungen der Moral, die auch auf Heroismus gerichtet sein können, Unterscheidungen sehr wohl möglich sind.

Die manchmal als Konfliktregelung bezeichnete „Kautschukbestimmung ( 97 a Abs 2 [2] des Volksbegehrens), die von den Trägern der Aktion Leben mit schwerem Herzen und doch mit Überzeugung in den Entwurf aufgenommen wurde, hat eine lange Geschichte.

Zunächst darf gesagt werden, daß es christlichem Denken entspricht, Menschen gegenüber, die in außergewöhnlich schwerer Bedrängnis gehandelt haben, die für sie nicht anders abwendbar war, Milde walten zu lassen.

Schon in einem von Bundeskanzler Seipel unterzeichneten Entwurf war die Straflosigkeit der Abtreibung in „besonders leichten Fällen“ festgelegt. Das war eine sehr bedenkliche Ausdrucksweise, weil die Tötung ungeborener Kinder niemals ein „leichter Fall“ sein kann. Unter Bundesminister Broda wurde dann die Formulierung „in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ gefunden, die etwas besser ist, aber noch immer jedem Mißbrauch Tür und Tor öffnet.

Der Begriff des Entwurfes der Aktion Leben: „Allgemein begreifliche, für die Frau nicht anders abwendbare, außergewöhnlich schwere Bedrängnis“ ist gewiß, wie viele Begriffe des Strafrechts, unbestimmt. Er ist zum Teil dem Gesetz selbst entnommen, das ihn an anderer Stelle (bei der Regelung der Milderungsgründe) prägt; er umschreibt, daß sehr schwerwiegende Umstände die Schuld nahezu ausgeschlossen haben müssen. Die Aufnahme der Bestimmung entspricht der wiederholten Äußerung von hoher kirchlicher Seite, daß es um den Schutz des ungeborenen Lebens und nicht um Strafe gegen im Stich gelassene Menschen gehe. Die Bedingung der Straffreiheit, das Aufsuchen von Beratungsstellen, sucht Hilfe und Rat vorzuschalten, um das ungeborene Leben auch in solchen extremen Fällen möglichst zu schützen.

Der Entwurf kennt nur einen Rechtfertigungsgrund, nämlich die medizinische Indikation, sonst eben nur einen Strafausschließungsgrund in jenen Fällen, in denen eine Strafe nach den konkreten Gegebenheiten nicht sinnvoll wäre.

Bekanntlich hat der Bundesminister für Justiz der Aktion Leben vorgeworfen, sie wolle die Frauen vor den Richter bringen, und zwar auch in jenen Fällen, die im Volksbegehrenstext enthalten sind. Der Vorwurf trifft insofern zu, als freilich nicht in einer Gerichtsverhandlung, aber doch von einem Richter die Beurteilung des Notfalles vorgenommen werden soll. Dadurch würde das Interesse des Staates bekundet werden, auch in Fällen schwerer Bedrängnis diese Bedrängnis zu prüfen und eine Strafe zu verhängen, wenn Bedrängnis nur vorgeschützt wurde. Die Bindung des Eingriffs an die öffentliche Krankenanstalt ist kein Verstoß gegen die Verfassung, wie in einem Leserbrief behauptet wurde; er kann kein solcher Verstoß sein, weil Grunde des Schutzes der Ungeborenen und gesundheitspolitische Gründe diese Unterscheidung rechtfertigen.

Daß hinsichtlich der Unterhaltsvorschüsse der Unterhaltsverpflichtete zunächst nicht zu hören ist, ist nicht, wie kürzlich in diesem Blatt zu lesen stand, ein Verstoß gegen Rechtsgrundsätze, weil der Unterhaltspflichtige durch den Vorschuß nicht betroffen wird und in dem folgenden gegen ihn gerichteten Verfahren alle Gründe vorbringen kann.

Der vor kurzem in einem Leserbrief erhobene Vorwurf, eine „Minderheit“ wolle die „Referendumswilligen“ überlisten, trifft wahrhaftig nicht zu. Zunächst handelt es sich nicht um ein Referendum, um eine Volksabstimmung, sondern um ein Volksbegehren. Initiativen gehen immer von Minderheiten aus. Die kleine Gruppe, die den Plan des Volksbegehrens faßte, hat um Zustimmung geworben und viel Zustimmung gefunden. Wer sie versagen will, kann sie versagen. Er soll aber nicht den Vorwurf der List gegen Menschen erheben, die versucht haben, ihrem Gewissen zu folgen und in demokratischen Formen Widerstand gegen ein nach ihrer Überzeugung immenschliches Gesetz durch eine neue Gesetzesinitiative zu leisten.

Die strafrechtlichen Bestimmungen müssen im ganzen des Gesetzentwurfes gesehen werden. Da ist zunächst die Verfassungsbestimmung, die der Gesetzgebimg und der Vollziehung die Aufgabe umfassenden Lebensschutzes und ebenso umfassender Lebensförderung stellen. Sie wäre 'in einer Zeit äußerster Gefährdung des menschlichen Lebens geeignet, die österreichische Rechtsordnung in ein neues, helleres Licht zu setzen. Da ist die erziehungspolitische Bestimmung, die den Schulen die Aufgabe stellt, die Wek-kung der Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben zum Untemchtsprin-zip zu machen. Da ist die Verbesserung des Familienlastenausgleichs, die Erziehungshilfe, die es den Müttern erleichtern soll, bei ihren kleinen Kindern zu verbleiben, da ist die Anrechnung der Zeiten des Bezuges der Erziehungsbeihilfe in der Sozialversicherung, die die soziale Sicherheit der in den Beruf zurückkehrenden Mütter für die Zeit ihres Ruhestandes besser gestalten soll; da ist schließlich die unendlich wichtige Regelung, durch die der Staat den im Stich gelassenen Müttern hinsichtlich des Unterhalts entscheidend helfen soll, wobei die Lösung, die die Aktion Leben vorschlägt, großzügiger ist als die ihr entsprechende im späteren Entwurf des Bundesministeriums für Justiz. Schließlich gehört zur Abrundung des Bildes noch die Strafbestimmung wegen Pflichtverletzung gegenüber der Schwangeren gegen jene Männer, die außerehelich geschwängerte Frauen, die sich in bedrängter Lage befinden, im Stiche lassen und dadurch einer Notlage preisgeben.

Der wahre Zweck der gesamten Initiative ist der bessere Schutz des menschlichen Lebens. Milde in echten Notfällen kann dieses Ziel nicht beeinträchtigen. Durch diese Milde, durch die Mobilisierung praktischer Zeitgeist entgegenstellen, oder ob Hilfe und durch die Gewährleistung ausreichender Information werden die Verfechter des Lebensschutzes glaubhafter.,

Es steht zur Wahl, ob man, ohnmächtig protestierend, eine nur von wenigen vertretene Meinung dem Zeitgeist entgegenstellen, oder ob „raa im Dienste des Lebens und der Ehrfurcht vor der Menschenwürde breiten Konsens suchen und auf diese Weise den Zeitgeist zu verändern streben will. Wer sich dagegen wendet, nimmt im Grund genommen die Fristenlösung in Kauf.

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