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Digital In Arbeit

Für die Ehre des ärztlichen Standes

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Als ich vor einigen Tagen meinen kleinen Buben in die Schule brachte, kam mir ein winziger Kerl aus seiner Klasse entgegen und sagte: „Du bist in der Zeitung! Der Vater hat es gesagt.“ Auf diese Weise habe ich zuerst erfahren, daß meine Aeußerungen bei einer Kundgebung der Arbeitsgemeinschaft „Rettet das Leben“ heftig kritisiert worden waren. Der Zustand, „in der Zeitung“ zu sein, ist offenbar wenig wünschenswert, und ich persönlich habe mir solche Oeffentlichkeit niemals gewünscht. Ich konnte allerdings nicht erwarten, daß bei denjenigen, welche meine Worte treffen sollten, also ausdrücklich bei einer, wie ich immer angenommen habe, nicht sehr großen Zahl von Aerzfen, welche ohne jede Indikati o n, also auch ohne die sogenannte soziale Indikation, Abtreibungen in größtem Maße vornehmen — meine Aeußerungen auf Verständnis treffen würden. Daß aber ein in der Presse als „Ausschuß der Gynäkologen bei der Aerzte-kammer“ bezeichnetes Gremium mich wegen Beschimpfung der Gynäkologen oder des Aerztestandes bei einer Disziplinarkommission anzeigen wollte, hat mich doch tief beeindruckt.

Denn ich war der Meinung, daß es jedem, der gehört hatte, was ich zu sagen hatte, klarwerden müßte, daß meine Ausführungen zur Aufrechterhaltung der Ehre des ärztlichen Standes und zur Abwehr arztfremder Tendenzen bestimmt waren. Man hat mich, wie es in solchen

Situationen nicht ausbleiben kann, zumindest als „weltfremd“ bezeichnet, und ich würde es mir zur Ehre anrechnen, einer Welt fremd zu sein, die den gegenwärtigen Zustand in unserer Heimat in dieser Frage bejaht. Da ich aber den Eindruck habe, daß jedenfalls auch ein Teil meiner Kritiker es nicht so meint, halte ich es für notwendig, nochmals eine Erklärung über die Haltung der Arbeitsgemeinschaft abzugeben, die ich vertreten habe.

Ich möchte vorausschicken, daß die strafrechtliche Seite des Abtreibungsproblemes und des österreichischen Geburtenrückganges keineswegs dasjenige ist, was im Vordergrunde des Interesses stehen muß. Auch stand die so viel besprochene Kundgebung in gar keinem Zusammenhang mit Ereignissen an einem Wiener Sanatorium, die zufällig am gleichen Tage in der Presse in wenig erfreulicher Weise besprochen wurden.

Niemand kann sich im unklaren darüber sein, daß die Tötung von Ungeborenen in Oesterreich einen Umfang angenommen hat, der durch strafrechtliche Maßnahmen allein nicht mehr beeinflußt werden kann. Anderseits würde es doch durchaus paradox sein, wenn man zu einem Zeitpunkt, in dem von allen Seiten Befürchtungen wegen des Volkstodes laut werden, die gesetzlichen Sanktionen, statt sie zu präzisieren, bis zur Unwirksamkeit abmildern wollte. Es ist das das Prinzip: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!“ Darüber hinaus kann es freilich auch nicht gleichgültig sein, wenn Ge gesetze geschaffen werden, die d e r j a h r t a u-sendealten Tradition der ärztlichen Ethik kraß widersprechen.

Ich darf bitten, statt von Weltfremdheit in dieser Beziehung zu sprechen, sich einmal die Bestimmungen anzusehen, welche im Herbst dieses Jahres zum Beispiel die französische Aerzte-kammer in 37 ihrer „Deontologischen Vorschriften für die Aerzte in Frankreich“ formuliert hat. Soviel ich weiß, erkennen mit Ausnahme Schwedens auch alle anderen europäischen Länder als gesetzlich straffrei nur die Schwangerschaftsunterbrechung aus streng ärztlicher Indikation im Sinne unseres 144 an.

Ich habe mir nun in meinem Vortrag erlaubt, folgende Berechnungen anzustellen: In Schweden, welches in religiöser Hinsicht keinesfalls vom Katholizismus beeinflußt wird und schon vor der Erweiterung der gesetzlichen Möglichkeiten zur legalen Schwangerschaftsunterbrechung die ärztliche Indikation voll anerkannte, wurden aus diesem Grund von einer gewissenhaft ärztlich eingestellten Kommission in einem Jahr (1940 zum Beispiel) im ganzen Land mit etwa 7 Millionen Einwohnern 506 Fälle von' Schwangerschaftsunterbrechung, und davon nur 71,9 Prozent aus ärztlicher Indikation anerkannt, d. i. 363 Fälle. Man kann demnach sagen, daß eine ähnliche Zahl also auch für die gerechtfertigten ärztlichen Unterbrechungen für Oesterreich ungefähr anzunehmen wäre, wobei immer nur „gesetzlich gerechtfertigt“ zu verstehen ist. Wenn wir also in der Zeitung unwidersprochen lesen, daß an einer einzigen Krankenanstalt Wiens innerhalb von zwei Monaten 904 eingeleitete Fehlgeburten stattgefunden haben, so geht aus dieser Zahl allein, ohne irgendwelche spezielle Untersuchungen, hervor, daß der bei weitem überwiegende Teil der Abtreibungen in Oesterreich in gar keiner Weise ärztlich gerechtfertigt sein kann. Da aber alle diese Fälle jeweils mit internistischen und wohl teilweise auch pathologischen Zeugnissen versehen werden, geht daraus allein ebenfalls wieder zwingend hervor, daß in groß em Stil gefälschte Gutachten abgegeben werden. Ich habe darauf hingewiesen, daß der ärztliche Stand ängstlich darauf achten muß, daß der Beruf nicht in derartigem Maße korrumpiert wird, weil durch die Abgabe falscher Zeugnisse das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Krankem schwer leiden muß, und weil sich sonst auch in anderen Fällen niemand auf die absolute, wenigstens subjektive Richtigkeit von Operationsindikationen verlassen kann..

Weiter habe ich ausgeführt: Man könnte nun trotz gegenteiliger Erfahrungen in Rußland und auch in Schweden annehmen, daß diese unerfreulichen Zustände sich bessern würden, wenn so wie in Schweden zusätzlich eine sozialmedizinische Indikation (wegen Schwäche der Mutter), eine soziale (wegen wirtschaftlicher Mißstände) und eine eugenische sowie humanitäre Indikation anerkannt würden. Die Unhaltbarkeit auch dieser Auffassung habe ich wieder aus dem gleichen Zahlenmaterial abgeleitet: .In Schweden wurden aus allen diesen Indikationen zusammen zum Beispiel im Jahre 1949 5 503 „legale“ Abtreibungen durchgeführt. Wenn nun in einer Wiener Anstalt in zwei Monaten 940 Schwangerschaftsunterbrechungen durchgeführt werden, dann läßt sich zwingend berechnen (und derartige Berechnungen enthalten primär keinerlei Werturteil), daß ungefähr diese eine Anstalt Jetzt schon so viele Schwangerschaften unterbricht, wie ganz Schweden im Jahr zuläßt.

Es würde also durch Einführung der „sozialen Indikation“ in Oesterreich, die wir niemals als Indikation zur Tötung anerkennen können, keineswegs das erreicht werden, was ihre Verfechter anstreben. Man hätte natürlich genau so gut irgendeine andere in Oesterreich in der letzten Zeit zu Tage getretene Zahl von ganz und gar ungerechtfertigten Abtreibungen nennen können, um das Argument klarzumachen, von dem hier die Rede ist.

Eines allerdings habe ich nicht gesagt und bin diesbezüglich sehr mißverstanden worden: Ich habe niemals gesagt, daß es nicht zu schweren seelischen Konflikten beim Arzt kommen kann, der in Ausübung seines Berufes an die strenge Grenze von Moral und Gesetz stößt. Aber in solchen Konflikten zwischen oft subjektiv ehrenhaften Motiven mit der objektiven Pflicht liegt ja überhaupt jede Tragik beschlossen, und sie berührt gewiß den Arzt, der mit den wechselvollen Tatsachen des menschlichen

Lebens fn Berührung kommt, wie kaum ein anderer Beruf, besonders schwer.

Ich erinnere mich noch lebhaft aus meiner Studentenzeit an den Prozeß gegen den in den Elendsvierteln von Berlin wirkenden Sohn des großen Helfers der Menschheit Crede, der aus Mitleid mit Proletarierfamilien, ohne je einen Pfennig dafür zu verlangen, einige Abtreibungen vorgenommen hatte. Und da ich selbst zu jener Zeit dort in der sozialen Hilfe arbeitete, weiß ich, was sich abspielte. Man mußte das Tun dieses Mannes moralisch unbedingt verurteilen, aber Mitleid konnte man ihm und seinen Patientinnen nicht versagen. Ich habe aber gesagt, daß hier die Strafrechtsprlege mit ihrem außerordentlichen Milderungsrecht und mit der Möglichkeit bedingter Verurteilung usw. Möglichkeiten hat, die Härte des Gesetzes zu mildern und dazu nicht eine Aenderung des Gesetzes nötig wäre. Diese hätte vielmehr in der E i n-setzung gewissenhafter Kommissionen zur Beurteilung der medizinischen Indikation zu bestehen, die allein den ärztlichen Bereich betreffen. Daneben möge man Kommissionen zur „sozialen

Indikation“ einsetzen — allerdings in ganz anderem als bisherigen Sinn; in ihnen können freilich nicht Aerzte als Begutachter sitzen, sondern Fürsorger, Sozialpolitiker und wohl auch Seelsorger, und diese Kommissionen sollten dann den ganzen Apparat des Staates bewegen können, um zu helfen, ohne zu töten.

Es ist zuzugeben, daß Schwangere, besonders in den ersten Monaten, bevor noch das Leben ihres Kindes sich durch Bewegungen meldet, sich oft ängstlich, ja bedrückt fühlen. Sie sind vor allem ungünstigen Einflüssen ihrer Umgebung ausgesetzt, und das sollte auch in der Strafrechtspflege berücksichtigt werden. Dagegen wäre es keineswegs einzusehen, wenn diejenigen, die zur Abtreibung drängen und sie ohne jeden entschuldbaren Grund durchführen, im gegenwärtigen Augenblick milde behandelt würden. Nochmals jedoch sei betont, daß die Probleme des Geburtenrückganges durch das Strafrecht allein in gar keiner Weise gelöst werden können.

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