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Ethische Indikation?

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In der nächsten Zeit wird im Zusammenhang mit der Strafrechtsreform zweifellos auch die Berechtigung der sogenannten „ethischen" Indikation für Abtreibungen erörtert werden. Es sei daher gestattet, einiges zu diesem Thema zu lagen.

Obwohl der Verfasser selbst überzeugter Katholik ist, gehen die folgenden Erwägungen nicht vom eigentlich christlichen Standpunkt aus; sie haben nur die Ehrfurcht vor dem Menschenleben und dessen Schutz durch das Straf- recht im Auge und denken nicht nur an die nächsten, sondern auch an die ferneren Folgerungen, die eine etwaige Freigabe solcher Fruchttötungen hätte. Es ist daher zu hoffen, daß die Erwägungen auch bei denjenigen Lesern Verständnis finden werden, denen eine christliche Argumentation fernliegt.

Von der sogenannten „ethischen“ Indikation spricht man, wenn eine Schwangerschaft auf ein Verbrechen, nämlich auf Notzucht oder Blutschande, zurückzuführen ist; da die Frau — sagt man — ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung ihres Geschlechtslebens und Freiheit des Schöpfungsaktes habe, könne man ihr nicht zumuten, ein wider ihren Willen gezeugtes Kind auszutragen. Wenn sie sich deshalb ein solches Kind nehmen lasse, dürfe sie strafrechtlich nicht verfolgt werden.

Der Unterschied gegenüber zwei anderen Indikationen für straffreie Abtreibungen, nämlich gegenüber der sozialen und der eugenischen Indikation, liegt darin, daß diese Indikationen neben dem Schicksal der Mutter auch das des werdenden Kindes bedenken und deshalb seine Tötung für erlaubt halten; die „ethische" Indikation hat dagegen ausschließlich die Person der Mutter im Auge, der das Austragen eines durch ein Sittlichkeitsverbrechen gezeugten Kindes nicht zumutbar sei. Was dies mit Ethik zu tun hat, ist eigentlich schwer verständlich. Handelt es sich doch eher um ein psychologisches Moment und um einen Racheakt, den die Mutter statt an dem, der sie vergewaltigte, an dem unschuldigen Kind straflos vollziehen soll.

Allgemein anerkannt ist heute, daß ein im Schoß der Mutter keimendes Menschenkind vom ersten Augenblick seiner Zeugung an als werdender Mensch anzusehen ist. Jede Tötung eines Embryos ist daher Tötung eines Menschenlebens. Gegner des derzeitigen strafrechtlichen Schutzes der Ungeborenen streben die Straffreiheit in den ersten Schwangerschaftsmonaten deshalb an, weil der Lebenskeim im Mutterschoß noch unentwickelt, vor allem noch nicht mit einer vollwertigen Menschenseele ausgestattet sei, und berufen sich dabei oft auf diesbezügliche Meinungsverschiedenheiten unter Theologen. Hierzu ist zu bemerken, daß diesen letzten Einwand nur Vorbringen kann, wer an eine menschliche Seele glaubt. Wer dies aber als Anhänger des Materialismus nicht tut, muß zugeben, daß das Leben mit dem Zeitpunkt der Befruchtung begonnen hat und daß es sich daher bei der Fruchttötung um die Tötung eines werdenden Menschen handelt.

Zum Unterschied von anderen christlichen Kirchen, die zu dieser Frage noch keine Stellung bezogen haben, lehrt die katholische Kirche eindeutig, daß die Beseelung noch im Mutterleib vor sich geht; über den näheren Zeitpunkt dieser Beseelung liegt allerdings keine Lehrentscheidung vor. Jedoch ist die befruchtete Eizelle ein belebtes Wesen von spezifisch menschlicher Potenz; aus ihr kann kein anderes Lebewesen werden als nur ein Mensch. Damit ist es klar, daß auch vom katholischen, vom jetzigen Papst wiederholt eindeutig vertretenen Standpunkt aus die Leibesfrucht zu keinem Zeitpunkt der Entwicklung getötet werden darf. In diesem Zusammenhang sei auf eine Entscheidung des Deutschen Reichsgerichtes aus dem Jahre 1925 hingewiesen, die im Auszug in der Broschüre: „Das Lebensrecht der Llngeborenen", von Baumeister und Smets (Rheingoldverlag, Mainz, 1955, S. 71) abgedruckt ist. Sie lautet:

„Die Leibesfrucht erfährt den Schutz als Keim und Vorstufe des sich in ihr entwickelnden menschlichen Einzelwesens. Die künftige Persönlichkeit ist es, an welcher der Staat ein Interesse nimmt... Jede Persönlichkeit hat infolge des ihr innewohnenden Eigenwertes Anspruch darauf, als ein in seiner Besonderheit schutzbedürftiges Rechtsgut gewürdigt zu werden. Diese Erwägung trifft in gleicher Weise auf die menschliche Leibesfrucht zu. Denn wenn sie auch als solche noch keine Rechtspersönlichkeit darstellt, .. so wird sie doch um der sich in ihr bildenden Persönlichkeit willen geschützt, und dieser Umstand rechtfertigt es, insoweit auf sie dieselben Grundsätze anzuwenden, die für den einzelnen Menschen nach seiner Geburt Gültigkeit haben.“

Während der letzten Jahrzehnte ist allerdings das Gefühl von der Unantastbarkeit menschlichen Lebens vielfach verlorengegangen; die Staatsführungen verschiedener Länder haben gar oft die Menschenwürde gewalttätig mit Füßen getreten und Menschenleben, die ihnen untragbar erschienen, beseitigt, so daß auch die Tötung Ungeborener leider heute bei vielen Menschen nicht mehr einer solchen grundsätzlichen und scharfen Ablehnung begegnet wie früher.

Bis zu der dadurch eingetretenen Verwirrung der sittlichen Begriffe hatte es im Abendland allgemein gegolten, daß das Leben eines Menschen ein vom Staat unbedingt zu schützendes Rechtsgut ist und, den Fall eines gerechten Krieges ausgenommen, nur angetastet werden darf, wenn ein Verbrechen begangen wurde, auf das Todesstrafe steht, oder wenn Notwehr vorliegt. Nun hat sich erst vor wenigen Jahren die Mehrheit der Mitglieder des Österreichischen Nationalrates gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe ausgesprochen und damit wohl auch den Willen der Mehrheit des österreichischen Volkes zum Ausdruck gebracht. Und jetzt sollte man daran denken, in einem Land, wo der schwerste Verbrecher nicht mit dem Tode bestraft wird, vollkommen schuldlose Menschenwesen straffrei töten zu lassen?

Auch Notwehr ist bei der ethischen Indikation nicht gegeben, weil das Kind keinen rechtswidrigen Angriff gegen die Mutter richtet; dieser Angriff lag vielmehr auf seiten des Erzeugers. Die Beseitigung der Folgen der Vergewaltigung wäre unzulässig, weil sich die Notwehr hier nicht gegen den ungerechten Angreifer selbst richtet, und der ungerechte Angriff auch schon Wochen zurückliegt, also längst nicht mehr gegenwärtig ist, was zum Begriff der Notwehr gehören würde.

Daß ein schuldloses Kind aber für eine Verfehlung seines Vaters zu büßen hat, galt allerdings vor wenigen Jahren noch als möglich, da man damals die Sippenhaftung kannte. Diese wird aber doch heute in allen Kulturstaaten mit Recht abgelehnt; denn wenn man anfärigt, Verbrechen anderer an Schuldlosen zu sühnen, fallen viele Hemmungen weg, die in Kultürstaaten gelten und z. B. die Blutrache Verbieten, bei der ja auch ein unschuldiger Verwąįdtėr'.eitles Verbrechers getötet wurde.

Aber hat die Frau denn nicht ein Recht über ihren Körper und damit auch über das in ihrem Schoß heranreifende Kind? Nein und nochmals nein! Mutter sein heißt, einem Menschen das Leben geben. Wenn das werdende Kind auch innigst mit der Mutter verbunden ist, so hat es doch vom ersten Augenblick an schon ein eigenes Leben. Dieses ist der Mutter nur anvertraut; sie darf darüber nicht mit mehr Recht verfügen, als ein Menscb. über andere ihm anvertraute Menschen verfügen darf.

Falls die Abtreibung bei Notzuchtsschwängerungen straffrei würde, schwölle die Zahl der schwangeren Frauen, die angeben, ge- notzüchtigt worden zu sein, ungemein an. wie dies in Ostdeutschland der Fall war. Offenbar hat auch diese Erfahrung dazu geführt, daß man in der Ostzone von der ethischen Indikation gänzlich abgerückt ist. In Thüringen war nämlich beobachtet worden, daß plötzlich so viele Frauen durch Sittlichkeitsverbrechen geschwängert worden zu sein behaupteten, daß in einer einzigen Frauenklinik die auf Grund der ethischen Indikation vorgenommenen Schwangerschaftsunterbrechungen 32,2 Prozent aller Geburten ausmachten. (Zitiert nach Malaniuk, „Die Abtreibung und verwandte Delikte als Rechtsproblem', Styria-Verlag, 1956.) In Ostdeutschland läßt nunmehr das Gesetz über den Mütter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau vom 27. September 1950 für die gesamte Ostzone nur noch die medizinische und die eugenische Indikation zu und verbietet jede andere Unterbrechung der Schwangerschaft unter Strafandrohung.

Nicht vergessen darf auch werden, daß bei Ehefrauen nicht immer leicht mit Sicherheit feststellbar sein wird, ob eine Schwangerschaft auf die Vergewaltigung oder aber auf den Geschlechtsverkehr mit dem Gatten' zurückzuführen ist.

Man könnte allerdings einwenden, daß die ungünstigen Erfahrungen, die man in Ostdeutschland mit der ethischen Indikation gemacht hat, dadurch verhindert werden könnten, daß die Angabe der Mutter, sie sei vergewaltigt worden, nur berücksichtigt werden würde, wenn diese seinerzeit die Anzeige der Vergewaltigung erstattet hat. Nun würde sich eine Vergewaltigte, selbst wenn ihr dies bekannt sein sollte, nur schwer zur Anzeige mit ihren Folgen peinlicher Zeugeneinvernahmen entschließen.

Auch wäre es leicht möglich, daß ihr diese Bestimmung überhaupt unbekannt geblieben ist. Eine solche Anzeige wäre aber überhaupt nur dann von Bedeutung, wenn das daraufhin eingeleitete Strafverfahren!- rechtskräftig abgeschlossen wurde. Daß dies in der verhältnismäßig kurzen Zeit, die für die Tötung der Frucht zur Verfügung steht, nicht möglich wäre, liegt auf der Hand. Die Forderung nach der Anzeige, vergewaltigt worden zu sein, geht daher vollkommen ins Leere.

Zu diesen Erwägungen seien nun noch einige Gedanken angefügt, - die sich hauptsächlich mit den weiteren Folgen einer etwaigen Einführung der ethischen Indikation befassem

Wäre es einer Frau zuzumuten, ein Kind auszutragen, solange ein von ihr angestrengter Ehe- ungültigkeits- oder Scheidungsprozeß noch nicht abgeschlossen wurde oder wenn das Kind von ihrem Ehemann in Trunkenheit gezeugt wurde? Obwohl diese Fälle strafgesetzlich nicht als Notzucht gelten, unterscheiden sich die meisten von ihnen vom psychischen Standpunkt der Frau aus nicht im geringsten von den strafgesetzlich verbotenen Schwängerungen und wären der Frau daher ebensowenig zuzumuten. Wird man es aber wagen, auch solche Fälle zur Fruchttötung freizugeben, bevor noch diese Prozesse rechtskräftig entschieden sind?Wie wäre ein im Rausch gegen den Widerstand der Frau gezeugtes Kind zu behandeln? In der Propaganda für die ethische Indikation wird oft auch hervorgehoben, daß es der Mutter nicht zumutbar sei, ein etwa von einem Mongolen oder von einem Neger gezeugtes Kind auszutragen. Darf aber die Rassenfrage hier eine Rolle spielen und als Schrittmacherin für die Tötung verbrecherisch gezeugter Kinder überhaupt dienen? Ergäbe sich ferner aus denselben Gründen nicht auch die Notwendigkeit, den Mord an einem Neugeborenen für straffrei zu erklären?

Welche Bedrohungen aber für Lehen und Seele des Menschen entstehen, wenn er ohne Achtung seiner Person dem Staat überantwortet wird, hat die jüngste Vergangenheit und auch die Gegenwart, z. B. in LIngarn. allzu deutlich gezeigt.

Der Staat würde zweifellos einen Eingriff, der die Fruchttötung zum Ziele hat. nicht dem einzelnen überlassen, sondern müßte für die fachgemäße, Gesundheit und Leben der Mutter möglichst schonende Tötung sorgen: und wenn sich kein Arzt freiwillig dazu hergäbe, müßte der Staat einen Arzt dazu zwingen, dies zu tun,

selbst wenn sein ärztliches Gewissen und der hippokratische Eid es ihm verbietet. Der Arzt würde damit auf jeden Fall zum ausführenden Organ einer Tötungshandlung degradiert werden, die absolut unärztlich ist, und die, weil an Schuldlosen vorgenommen, noch tiefer als die eines Henkers eingeschätzt werden müßte.

Wenn der Staat einer Frau das Recht gäbe, ihr aus einęr Vergewaltigung stammendes Kind vor dessen Geburt töten zu lassen, müßte er mit noch größerer Berechtigung gestatten, eine aller Wahrscheinlichkeit nach erbkranke oder sozial schwerstgefährdete Leibesfrucht zu töten. Mit der Einführung der ethischen Indikation ergäbe sich deshalb die Einführung dieser beiden anderen Indikationen als selbstverständliche Folge.

Nicht unberücksichtigt darf ferner bleiben, daß jede ethisch falsche Handlung unbedingt zerstörend wirkt, so vorteilhaft und verständlich sie auch, oberflächlich betrachtet, anfangs erscheinen mag. Denken wir dabei nur an die moralisch nicht zu rechtfertigende Beseitigung Geisteskranker und Unheilbarer, deren Töning der Nationalsozialismus forderte, weil deren Leben wertlos sei. In ihrer weiteren Konsequenz hätte diese Auffassung die Tötung arbeits unfähiger, insbesondere alter Menschen zur Folge gehabt.

Die Tatsache, daß einer Frau und Mutter das Zusammenleben mit einem verbrecherischen oder trunksüchtigen Mann oder mit einem schwachsinnigen Kind nicht zugemutet werden kann, mag es begreiflich erscheinen lassen, wenn sie sich von diesem Manne oder einem solchen Kinde trennt. Welche Rechtsordnung aber gibt einer Frau das Recht, einen solchen Mann, ein solches Kind zu töten?

Wer all diese Erwägungen und Fragen gewissenhaft und ernstlich durchdenkt, kann wohl zu keinem anderen Schluß kommen, als die sogenannte ..ethische" Indikation für straffreie Abtreibungen unbedingt abzulehnen.

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