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Klonschaf Dolly: Perfekte Menschen bauen

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Dolly, das geklonte Schaf, wirft Fragen nach der Zukunft des Menschen auf. Die Bioethik-Konvention des Europarates ist - bei näherem Hinsehen - leider nur ein löchriger Damm gegen Übergriffe der Forschung.

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Dolly, das geklonte Schaf, wirft Fragen nach der Zukunft des Menschen auf. Die Bioethik-Konvention des Europarates ist - bei näherem Hinsehen - leider nur ein löchriger Damm gegen Übergriffe der Forschung.

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Denn zunächst gibt es schöne Worte in der Präambel. Um die Wahrung der Menschenrechte und -würde gehe es, wird betont. „Die Vertragsparteien dieses Ubereinkommens schützen die Würde und die Identität aller Menschen und gewährleisten jedem ohne Unterschied die Wahrung seiner Integrität sowie anderer Rechte und Grundfreiheiten im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin”, heißt es in Artikel 1. Und: „Die Interessen und das Wohlergehen des Menschen haben Vorrang vor dem alleinigen Interesse von Gesellschaft oder Wissenschaft.” (Artikel 2)

Kaum geht es aber um die wirklich interessanten Fragen, spiegeln die Artikel die beinharten Interessen von Wirtschaft und Forschung wider: So gibt es kein Verbot der Em-bryonenforschung, auch keine zeitliche Kingrenzung solcher Forschung - wohlgemerkt, sie ist „verbrauchend”, wie die schöne Umschreibung des Tötens lautet. Verboten wird nur die „Erzeugung” von Embryonen (Art. 18) - man beachte übrigens die Ausdrucksweise. Unausgesprochen hat der Europarat damit den Menschen in seinen ersten Lebenstagen zur Sache erklärt. Praktisch behandelt man ihn ohnedies längst schon so, etwa wenn man menschliche Fötalzellen in das Gehirn von Parkinson-Patienten zu deren Heilung einbringt, was bereits in den USA, Deutschland und Schweden geschieht.

Die Auslese in der Retorte „erzeugter” Kinder verbietet die Konvention nur bezüglich des Geschlechts (Art. 14). Sonstige „Zucht”kriterien (vielleicht einmal Mindestintelligenz oder -große), könnten, geht es nach der Konvention, durchaus zum Zug kommen. Betrieben wird die Auswahl ja eigentlich jetzt schon: Fruchtwasseruntersuchungen sollen Erbschäden beim Kind im Mutterleib aufdecken. Wird man fündig, rät man zur Abtreibung — was für ein Druck für die unglückliche Mutter!

Neue Methoden versprechen „bessere” Lösungen, ohne Abtreibung: Man testet in vitro gezeugte Embryonen genetisch - und pflanzt nur die vitalsten ein. Auf diese Weise hält langsam aber sicher das Gedankengut der „Rassenhygiene” in die Praxis der Spitäler des ausgehenden 20. Jahrhunderts Einzug. Nur das „lebenswerte” Leben bekommt eine Chance. Natürlich verbirgt man diese Blöße unter einem Lendenschurz harmloser Umschreibungen: Man tötet nicht Personen, für deren Menschenrechte man sich in den Präambeln stark macht, sondern nur Zellenhaufen, denen man unter dem Mikroskop das Menschsein spielend leicht aberkennen kann, Embryonen mit Gendefekten.

Und Defekte zu beseitigen, wird in einem Zeitalter, das seine Produktionsprozesse mit Qualitätssicherung versieht, doch wohl noch erlaubt sein! Es erscheint sogar als Gebot der Rationalität, ja der Nächstenliebe, erspart man doch unglücklichen Eltern ein unzumutbares Leben mit einem behinderten Kind. Man versteht, daß Behindertenverbände Sturm gegen all das laufen. Denn bei diesem Zugang verliert die angeborene Behinderung ihren Charakter, ein schwer zu tragendes Schicksal zu sein, aus dem das Beste zu machen ist, um sich zur mehr oder weniger verschuldeten Panne bei der Menschen-Herstellung zu mausern.

Nun, der den Menschenrechten verpflichtete Europarat läßt den Zug hurtig in Rieh -tung Qualitätssicherung weiterfahren. Denn die Krankheiten, die die Genforschung zu erkennen meint, werden immer zahlreicher. Nach den schweren Gendefekten mit unmittelbaren Folgen 'nimmt man nun auch Anlagen für Erkrankungen im Erwachsenenalter ins Visier: Alzheimer, bestimmte Formen von Darmkrebs ... Wie werden Eltern reagieren, denen man verkündet, ihr Kind trage die Anlage für eine schwere Nervenstörung ab dem 45 Lebensjahr in sich? Und das in einer Welt, in der jährlich 65 Millionen gesunde ungeborene Kinder im Mutterleib umgebracht werden?

Damit wird irgendwann der „perfekte” Mensch zur Norm.( Und Eltern, die wissend um den Erbschaden des Kindes der Gesellschaft dessen lebenslange Retreuung aufbürden, müssen — vor allem in Zeiten von Sparbudgets und Eigenvorsorge - früher oder später damit rechnen, für diesen „Schaden” selbst aufzukommen. All diesen Entwicklungen schiebt die Konvention keinen Riegel vor.

Weiters sieht die Konvention keinen strengen Datenschutz für die Weitergabe von Gentestergebnissen vor. Ein einfacher Satz hätte dies klarstellen können. So aber wird nur „die Diskriminierung einer Person aufgrund ihres genetischen Erbes” verboten (Art. 11) und die Durchführung von Tests, die Prognosen über genetische Krankheiten ermöglichen, auf gesund-heitsbezogene wissenschaftliche Forschung beschränkt (Art. 12). Das ist aber zu vage und schließt die Weitergabe an andere interessierte Stellen (insbesondere Arbeitgeber und Versicherungen) nicht wirklich aus.

Suspekt ist auch, daß die Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Menschen (Babys, Koma-Patienten, Geisteskranken) gestattet ist, auch wenn kein therapeutischer Erfolg für den Betreffenden zu erwarten ist -allerdings muß der gesetzliche Vertreter zustimmen und das Risiko „minimal” sein (Art. 17). Dabei ist zu bedenken, daß die Risiko-Beurteilung Sache interessierter Experten ist. Daß gesetzliche Vertreter in Zeiten millionfacher Abtreibung, Tötung behinderter Neugeborener und leidender, alter Menschen keine Gewähr für echte Interessenvertretung sind, läßt sich an den zehn Fingern abzählen. Außerdem kann eine solche Einwilligung nur „im wohlverstandenen Interesse des Betroffenen” und nicht grundlos jederzeit (wie bei Einwilligungsfähigen) zurückgenommen werden (eine Schlechterstellung des Schutzwürdigeren). „Braucht man Versuchsobjekte, um schneller als bisher x-beliebige Chemikalien auf ihre medizinische Verwendbarkeit zu überprüfen?”, fragt die Biologin Elisabeth Bücking in „info-dienst bio-ethik” der „Aktion Leben”. Denn: „Eine der Zukunftsstrategien der deutschen chemischen Industrie ist es, nun nachzusehen, ob die vielen chemischen Substanzen, die für ganz bestimmte Aufgaben entwickelt wurden, auch in anderen Zusammenhängen wirksam sind. Als Beispiel sind Substanzen aus dem Pflanzenschutz genannt, die ... als aussichtsreich bei der Aids-Bekämpfung entdeckt wurden.”

Trotz aller Beteuerungen hat sich das Interesse der Forschung und der Wirtschaft durchgesetzt. Zwar können die einzelnen Länder strengere Bestimmungen beschließen bzw. aufrechterhalten. Aber werden sie es durchstehen, wenn die Pharmaindustrie mit dem Zaunpfahl Wettbewerbsdruck winkt?

Wenn nicht bald absolute, unübersteigbare Grenzen für den Tatendrang von Wirtschaft und Forschung gezogen werden, ist die Unmenschlichkeit vorprogrammiert. Der ungebremste Wissens-, Karriere-und Profitdrang hat kein Sen-sorium für Humanität.

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