Wo bleibt die Hilfe?

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Der Slogan "Helfen statt Strafen" in Sachen Abtreibung ist richtig, aber erst zur Hälfte verwirklicht.

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Der Slogan "Helfen statt Strafen" in Sachen Abtreibung ist richtig, aber erst zur Hälfte verwirklicht.

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Daß sich die sonntägliche TV-Diskussion "Zur Sache" zweimal hintereinander dem Thema Abtreibung gewidmet hat, zeigt, wie brisant dieses Problem nach wie vor ist. Die 1975 eingeführte "Fristenlösung", weltweit eines der liberalsten Gesetze auf diesem Gebiet, ist keineswegs so perfekt, daß man sie unter Denkmalschutz stellen kann. Das heißt aber noch lange nicht - um auch das gleich eindeutig festzustellen -, daß eine Rückkehr zur davor herrschenden Gesetzeslage in Betracht kommt.

Wenn auch jetzt häufig genau die gleichen Argumente wie vor 25 Jahren in die Debatte eingebracht werden, so stehen wir doch in einer neuen Situation: Damals hatte sicher ein wesentlich höherer Anteil der Bevölkerung Bedenken gegen die "Fristenlösung" als heute, wo auch keine politische Partei mehr daran rütteln will. Und die katholischen Bischöfe, die damals die Einführung dieses Gesetzes nicht verhindern konnten, haben seither erstens an Einfluß verloren und sind sich zweitens nicht einig, ob sie nun die Bestrafung von Abtreibungen fordern sollen oder nicht. Die Kardinäle Franz König und Christoph Schönborn vertreten im Gegensatz zu anderen Bischöfen die Haltung "Helfen statt Strafen".

Es ist frappierend, wie in vielen Medien die Ablehnung der Abtreibung stets als "katholische" oder gar "fundamentalistische" Position desavouiert wird, als ob es nicht jedem fühlenden Menschen, unabhängig von Religion, Rasse oder Stand, einleuchten müßte, daß es schlicht und einfach widernatürlich ist, Leben im Mutterleib zu töten. Daß es sich bei der Abtreibung nicht um ein Recht, sondern um eine unerlaubte Tötung handelt, sagt auch das geltende Gesetz, es räumt nur für Schwangerschaftsabbrüche in den ersten drei Monaten unter ärztlicher Kontrolle Straffreiheit ein.

Akt der Gewalt Es gibt heute viele, auch außerhalb christlicher Kirchen, die Gewaltlosigkeit auf ihre Fahnen geschrieben haben. Sie setzen sich erfreulicherweise gegen Waffen und Krieg, gegen die Todesstrafe, gegen die Züchtigung von Kindern - inklusive der "gesunden Watsche" - ein, manche davon aber akzeptieren Abtreibungen oder den neuen Trend zur Euthanasie. Müßten sie sich nicht ehrlicherweise eingestehen, daß Abtreibung einen schrecklichen Akt der Gewalt im Mutterleib gegen schutzloses Leben bedeutet?

Das wahre Dilemma ist, daß offenbar kein Konsens darüber besteht, wann ein Mensch ein Mensch ist. Ob manche aus echter Unsicherheit oder als Rechtfertigung, um über Ungeborene verfügen zu können, den Menschen erst nach einigen Schwangerschaftswochen Mensch sein lassen, und sich dabei noch auf den heiligen Augustinus berufen, während man sonst der Kirche - man denke nur an den Fall Galilei! - ständig vorwirft, sie sei naturwissenschaftlich um Jahrhunderte zurück, sei dahingestellt. Aber wer sich ernsthaft mit der vorgeburtlichen Entwicklung des Menschen befaßt hat, kann nur staunend vor diesem Wunder stehen. Selbst wer - analog zum Hirntod bei Sterbenden - den Beginn des Menschen erst mit der Bildung des Zentralnervensystems ansetzt, müßte die "Fristenlösung" um vier Wochen kürzen, führte der Mediziner Peter Husslein in "Zur Sache" aus.

Gläubige Menschen werden in der Regel das Wort "Du sollst nicht töten!" auch gegenüber dem Embryo befolgen. Daß staatliche Gesetze nicht immer mit religiösen Geboten übereinstimmen müssen, ist klar, aber wo es um Leib und Leben geht, in diesem Falle des ungeborenen Kindes, dürfte das Eintreten dafür im Grunde nicht nur eine Sache religiöser Menschen sein.

Es ist aber, wie Kardinal König erfreulich klar ausgesprochen hat, nicht Aufgabe der Kirche, irgendwelche Strafen zu fordern, wohl aber, auf Unrecht hinzuweisen. Das Bibelwort, daß nur jene, die selbst ohne Schuld sind, Steine auf andere werfen sollen, gilt: Es geht um die Verurteilung von Taten, nicht von Tätern. Auch die "Aktion Leben", die sich seit Jahrzehnten glaubwürdig für den Schutz des ungeborenen Lebens eingesetzt hat, tritt nicht mehr für die Bestrafung der Abtreibung ein.

Konsens fehlt Hier mag man eine gewisse Inkonsequenz sehen, wenn man bedenkt, was heute alles - vom falschen Parken bis zum nicht angelegten Sicherheitsgurt - bestraft wird, sie läßt sich aber aus dem mangelnden Konsens über den Beginn des Menschen und der Erkenntnis, daß Strafe das Problem weder löst noch deutlich reduziert, begründen. In vielen Fällen sind die nicht wegzudiskutierenden psychischen Spätfolgen einer Abtreibung für die Frauen Strafe genug. Es ist richtig, daß Strafen auch das Bewußtsein für Recht und Unrecht prägen, im Fall der Abtreibung scheint aber auch nach 24 Jahren ohne Strafe vielen betroffenen Frauen klar zu sein, daß ihr Handeln unmoralisch war.

Nur die an Abtreibungen beteiligten Mediziner zur Verantwortung zu ziehen, ist praktisch unmöglich, wohl aber wäre dafür zu sorgen, daß keiner aus dem Töten ungeborenen Lebens ein lukratives Geschäft macht. Und es wäre hoch an der Zeit, endlich die seinerzeit versprochenen "flankierenden Maßnahmen" zu setzen, vor allem die Trennung von beratendem und abtreibendem Arzt sowie die anonyme Erhebung von Abtreibungszahlen und -motiven. Die Befürworter der "Fristenlösung" sind verpflichtet, alles zu tun, um die Zahl von Abtreibungen zu senken, Sozialmaßnahmen wie das Karenzgeld für mittellose Frauen sollten dabei längst eine Selbstverständlichkeit sein.

Jene, die rigoros für Bestrafung eintreten, müssen sich von dem Gefühl freimachen, für jede Abtreibung mitverantwortlich zu sein, wenn sie das nicht tun. Sie sollten vielmehr ihre verständliche Trauer in verstärktes Engagement für Überzeugungsarbeit, daß das Leben mit der Empfängnis beginnt, daß Kinder viel mehr Freude als Belastung sind, umsetzen. Und die Repräsentanten der Kirche werden erst dann wirklich überzeugend wirken, wenn sie über ihren Schatten springen und eine positivere Haltung zur Empfängnisverhütung einnehmen.

Denn die Gefahr neuer Präparate wie "Mifegyne" besteht ja darin, daß viele vielleicht bald auf die lästige, ständige Empfängnisverhütung verzichten, da man ja ohnehin nachher bei Bedarf zur Abtreibungspille greifen kann. Man muß damit rechnen, daß die Forschung immer wirksamere "Mortikamente" dieser Art auf den Markt bringt.

Dagegen wird kein einzelner Staat und kein rigoroses Strafrecht in der Praxis viel ausrichten. In einer Welt, in der immer mehr "machbar" wird, steht der Mensch zunehmend vor der Herausforderung, sittlich zu handeln, auch wenn wenig Gefahr besteht, daß er bei unsittlichem Handeln "erwischt" wird. Das mag für viele eine unerfreuliche Perspektive sein, aber sie wird immer realistischer, und unser Umgang damit könnte letztlich für das Überleben der Species Mensch entscheidend sein.

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