Privatisierte Schocktheatralik

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Wenn heute die Lebensschützer den beschwerlichen Weg der Meinungsbildung beschreiten, lachen wir vielleicht in 15 Jahren über jene, die damals geglaubt haben, eine Tablette namens Mifegyne würde einen Fortschritt bedeuten.

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Wenn heute die Lebensschützer den beschwerlichen Weg der Meinungsbildung beschreiten, lachen wir vielleicht in 15 Jahren über jene, die damals geglaubt haben, eine Tablette namens Mifegyne würde einen Fortschritt bedeuten.

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Hartnäckig hält sich in Österreich das Gerücht, die Abtreibung sei erlaubt. Das ist aber falsch. Abtreibung ist nach wie vor verboten. Einzig und allein die Bestrafung wurde für die ersten drei Monate abgeschafft. Das gefährliche an diesem juristischen Trick ist, daß man mit der Straffreiheit einer an sich verbotenen Tat suggeriert, die Tat als solche sei völlig unproblematisch und normal.

Perfektioniert wird diese Täuschung nun mit dem angeblichen Medikament Mifegyne. Das wesentliche Argument der Befürworter dieser Tötungspille lautet ja, die Abtreibung werde damit humaner. Bis jetzt mußte sich die zur Abtreibung getriebene Frau einem medizinischen Eingriff unterziehen, bei dem das kleine Kind - alleine zwar noch nicht lebensfähig, aber immerhin bereits erbberechtigt - mit irgendwelchen Werkzeugen zerteilt und aus dem Mutterleib entfernt wurde. Die Prozedur ist ziemlich blutig, Bilder von der Entsorgung der toten Kinder (Blut- und Fleischklumpen) entbehren nicht einer gewissen Schockwirkung.

"Die Abtreibungspille beraubt die Schocktheatralik der selbsternannten Lebensschützer ihrer emotionalen Kraft", schrieb das Montagsmagazin "Format" in seiner Ausgabe vom 11. Jänner. Das ist nur teilweise richtig. Denn tatsächlich wird der Schock privatisiert. Das gesamte Gerede von der angeblich sanften Art der Abtreibung läßt einen Aspekt völlig außer acht: Auch wenn das Kind im Mutterleib nicht mehr zerstückelt werden muß, sondern nur "verhungert", löst es sich nicht in Luft auf. Die werdende Mutter erleidet bei vollem Bewußtsein einen Abortus.

Der psychologische Effekt für die Frau ist ein verheerender. Konnte sie bei der herkömmlichen Abtreibung zumindest noch die Ausrede erfinden, der Arzt habe ihr Kind ja getötet, muß sie nun völlig alleingelassen den Schritt zur Tötung ihres Kindes setzen. Kein Arzt wird ihr unter Gewalt die Pille verabreichen. Sie selbst muß die Tablette schlucken. Sie selbst muß miterleben, wie ihr Kind langsam abstirbt. Sie selbst muß damit fertig werden, daß das Kind unter Schmerzen abgeht. Das Blut der Schlachtbank wird privatisiert in das Leben der Frau.

Der Fortschritt für die Frau, den manche politisch Korrekten herbeireden und herbeischreiben, ist nicht erkennbar. Im Gegenteil. Je einfacher eine Abtreibung durchführbar ist, desto brutaler wird der Druck auf die Frauen, ihre Verantwortung bei der Befriedigung des Geschlechtstriebes - von manch altmodischen Menschen auch noch Fortpflanzungstrieb genannt - wahrzunehmen. Wenn etwas passiert - wenn also genau das eintritt, was die Schöpfung als Ziel vorgesehen hat -, dann kann sie ja immer noch Mifegyne nehmen. So einfach geht das. Und das Risiko ist auch minimiert, heißt es. Wenn das das Ziel der Frauenpolitik ist, dann herrscht dort ein eigenartiges Verantwortungsgefühl.

Der Europaparlamentarier Karl Habsburg hat die Absicht, Mifegyne auch in Österreich zuzulassen, so kommentiert: "Das ist so, wie wenn man die Todesstrafe deshalb befürwortet, weil sie mit der Guillotine schmerzloser durchzuführen ist als mit dem Henkersbeil oder dem Strick." Das haben manche nicht verstanden und deshalb von Fundamentalismus gesprochen. Tatsächlich war es aber ein gleichnamiger Arzt, der die Guillotine entwickelt hat, um die Todesstrafe effizienter vollstrecken zu können. In den USA beispielsweise tauchen immer wieder Diskussionen darüber auf, ob die Todesstrafe auf dem elektrischen Stuhl oder mit der Giftspritze humaner vollzogen werden kann. Die Neutronenbombe wird dadurch, daß sie von einer akademischen Elite geschaffen wurde, nicht humaner als die Tretmine; auch wenn die "Schocktheatralik" der zerfetzten Leiber und Minenopfer wegfällt.

Der entscheidende Punkt in der ganzen Diskussion um Abtreibung und Mifegyne ist der, den Papst Johannes Paul II. immer wieder betont: Es geht um eine "Kultur des Lebens" gegen eine "Kultur des Todes". Abtreibung kann niemals humaner gemacht werden, genausowenig wie die Todesstrafe. Human (also menschlich) ist ein Begriff, der von seinem Sinn her keinen Komparativ oder Superlativ verträgt. Das Töten eines Menschen - auch wenn er noch ungeboren und für den Ungeübten am Ultraschall nicht erkennbar ist - kann durch den intelligenten Einsatz von Chemie, Biotechnologie oder perfektionierter Mechanik nie "menschlicher" oder "humaner" werden.

Eine Kultur, die heute nicht imstande ist, das Leben des ungeborenen Kindes zu schützen, wird morgen auch nicht imstande sein, das Leben der Alten, Kranken oder Gebrechlichen zu schützen. Von der "sanften Abtreibung" zur "sanften Euthanasie" ist der Weg nur kurz.

Was die Diskussion um die Einführung von Mifegyne aber auch zeigt, ist, daß die Abtreibung nicht weiter als heilige Kuh betrachtet werden kann. Es gibt wieder Bischöfe und Politiker die sich trauen, Stellung zu beziehen und sozialistische Errungenschaften in Frage zu stellen. Es gibt wieder junge Menschen wie die "Jugend für das Leben", die Verantwortung statt Selbstverwirklichung auf ihre Fahnen schreiben. Es ist ihnen völlig egal, ob 50, 60 oder 80 Prozent für die Einführung von Mifegyne und für die Beibehaltung der Fristenlösung sind. Sie kämpfen für das Leben, weil sie davon überzeugt sind.

Der Versuch der Frau Prammer, einen Maulkorb zu erlassen, ist gescheitert. Anläßlich solcher demokratiepolitisch sehr bedenklicher Äußerungen stellt sich schon die Frage, welche Ideologie da dahintersteckt. Was hat die seit fast 30 Jahren an der Macht befindlichen Sozialisten und jetzt Sozialdemokraten daran gehindert, eine exakte Analyse über Zahl und Motive von Abtreibungen durchführen zu lassen? Warum gibt es immer noch keine Regelung, die vorschreibt, daß beratender und abtreibender Arzt nicht ident sein dürfen? Warum darf unter bestimmten Bedingungen (Verdacht auf Behinderung) bis zum neunten Monat abgetrieben werden?

Wenn die Abtreibung seit 25 Jahren erstmals wieder öffentlich debattiert wird, dann ist das ein großer Erfolg. Auch die Abtreibungsbefürworter haben als kleine Minderheit angefangen und systematisch Meinung ge- bzw. verbildet. Wenn heute die Lebensschützer den beschwerlichen Weg der Meinungsbildung beschreiten, lachen wir vielleicht in 15 Jahren über jene, die damals geglaubt haben, eine Tablette namens Mifegyne würde einen Fortschritt bedeuten.

Der Autor lebt und arbeitet als freier Journalist und Mitarbeiter (Pressesprecher) von Karl Habsburg in Wien und Waidendorf/NÖ.

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