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Kennt nicht nur Not kein fünftes Gebot?

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„Du sollst nicht töten!“ steht in der Bibel. Spitzfindige mögen meinen, ės müßte an sich’ „Du sollst nicht morden!“ heißen und schließlich würden ja auch Pflanzen und Tiere getötet. Im allgemeinen hat sich im Christentum doch die - auch von mir geteilte - Meinung durchgesetzt, man müsse vor dem Leben in jeder Form Respekt haben, aber nur die Tötung eines Menschen sei grundsätzlich verboten. Trotzdem bin ich kein Pazifist, denn ich glaube, daß dem Menschen in echten Notsituationen, das heißt, bei schwerster Bedrohung des Lebens von unschuldigen Menschen, das Recht zur Verteidigung zusteht, auch wenn dabei der Tod des Bedrohers in Kauf genommen wird.

Die Terroristen in Deutschland können sich wahrlich nicht auf eine solche Notsituation berufen. Aber die Verfechter der Todesstrafe, deren Zahl nach schweren Kapitalverbrechen bekanntlich stets gewaltig wächst, können es auch nicht. Der inhaftierte Verbrecher stellt nämlich für die Gesellschaft keine unmittelbare Bedrohung dar. Ihn deshalb hinzurichten, weil seine Kollegen unter Umständen Geiseln nehmen könnten, um ihn zu befreien, dürfte weder zielführend noch eines Rechtsstaates würdig sein. Ein großer Nachteil ist auch, daß der Vollzug der Todesstrafe nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Dr. Taus brachte sogar unter dem Eindruck eines abscheulichen Verbrechens den Mut auf, sich - mit dem Hinweis auf 2000 Jahre Christentum - eindeutig gegen die Todesstrafe auszusprechen.

Natürlich sind für die Todesstrafe auch rasch primitive wirtschaftliche Argumente zur Hand. Nüchterne Rechner beklagen, wie viel so ein verurteilter Schwerverbrecher den Staat jahrzehntelang kostet, daher solle man lieber kurzen Prozeß machen. Mit dem gleichen Recht melden sich dann ebenso nüchterne Rechner (siehe FURCHE Nr. 37, Seite 5), die auf die großen Spesen, die ein Behinderter für den Staat bedeuten kann, hinweisen, daher sei eine Abtreibung voraussichtlich behindert geborener Kinder zu befürworten. Und dann kommen wohl eines Tages besonders nüchterne Rechner, die die Ausgaben des Staates für alte und gebrechliche Menschen ins Treffen führen, daher… (In Ame rika experimentiert man ja schon mit der „Anti-Opa-Pille“.)

Es soll hier keinem Anhänger von Fristenlösung, Todesstrafe oder Euthanasie unterstellt werden, er sei auch für die beiden anderen Tötungsformen oder nur eine davon. Aber über eines sollte sich jeder, der in irgendeiner Form am Gebot „Du sollst nicht töten!“ rüttelt, im klaren seih. Daß er andere auf den Plan ruft, die dieses Gebot von einer'anderen Seite her aushöhlen wollen. Wird nicht schon weltweit über die Euthanasie diskutiert? Liegt es nicht nahe, wenn bereits der bedingungslose Schutz des Lebens gefallen ist, daß die Leute abzuwägen beginnen? Daß sie unter Umständen zu dem Schluß kommen, die Mörder und anderen Schwerverbrecher, vielleicht aber auch die Alten und Kranken, seien „lebensunwürdiger“ als die wehrlosen Embryos?

Wie gesagt, es soll niemandem etwas unterstellt werden. Es mag nur - schlimm genug - geschäftliches Interesse an einem sensationsträchtigen Thema und nicht das Einsetzen für eine Gesetzesänderung gewesen sein, weshalb die gleiche kleinformatige Boulevardzeitung, in der seinerzeit das Volksbegehren der „Aktion Leben“ als „Begehren der Heuchler“ diffamiert worden war, vor gar nicht langer Zeit eine heftige Diskussion über die Todesstrafe provozierte.

Wie auch immer - derartiges Zündeln ist gefährlich. Ich bin gegen Euthanasie, Fristenlösung und Todesstrafe. Ich bin auch dagegen, diese Themen allzuoft aufzuwerfen. Aber hin und wieder muß man es leider tun. Bis der umfassende Schutz des Lebens durchgesetzt ist.

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