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Todesstrafe?

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Man spricht in Österreich gegenwärtig wieder viel von der Todesstrafe. Über ihre Berechtigung und ihren Nutzen kann man diskutieren. Allein: wie von gewissen Kräften die Frage der Todesstrafe zu einer Art „Volksbewegung“ gemacht wird, in deren Gefolge man ganz andere Dinge unterbringen kann, ist nicht unbedenklich. Gewiß: man kann und man wird auch unter Chri- • sten über die Todesstrafe geteilter Meinung sein, können. Berufen wir uns aber nicht auf die Theologen. Wir überfordern sie hier nur: gewiß gibt es auch heute Theologen, welche die Todesstrafe anerkennen, so wie es eineinhalb Jahrtausende auch im christlichen Abendlande eine anerkannte Sklaverei und über ein halbes Jahrtausend eine Hexenverfolgung, eine Inquisition usw. gab. Die Auseinandersetzung um die Todesstrafe kann nicht mit theologischen Argumenten entschieden werden; sie ist primär ein gesellschaftliches Problem.

. Wagen wir es doch, der gesellschaftlichen Wirklichkeit ins Gesicht zu sehen. Mit gutem Gewissen konnte sich, in älterer Zeit, eine heidnische Gesellschaft zur Todesstrafe bekennen, die in ihr ein Opfer sah. Der Galgen war dem Windgott heilig, die Hinrichtung durch das Schwert stammt aus älteren Formen des Menschenopfers. In älterer Zeit konnte sich, mit gutem Gewissen, eine christliche Gesellschaft zur Todesstrafe bekennen und den .,armen Sünder“ dem Henker übergeben, der in Demut das Schwert hob in der Überzeugung: „Wenn ich tu das Schwert aufheben, wünsch' ich dem armen Sünder das ewige Leben.“ Wer von den Henkern unserer Zeit — und wir sehen die Bluturteile rings um unseren freieren Lebensraum — ist von diesem frommen Glauben ergriffen? Wir leben nicht, auch in Österreich nicht, in einer Gesellschaft, in der die überwiegende Mehrheit von der Unsterblichkeit der Seele, vom ewigen Leben wirklich existentiell überzeugt ist — und in diesem Sinne das Todesurteil als einen hohen Akt der Versöhnung mit der Gottheit und der Gesellschaft versteht.

Was der Schrei von heute fordert, ist Rache. Rache für den Mord „an unseren Frauen und Töchtern“. Und ist Akt nicht einer sakralen Versöhnung, sondern Tat eines schlechten Gewissens. Kann aber eine Gesellschaft sich selbst reinigen, sich selbst säubern durch Akte eines schlechten Gewissens, durch Rachetaten? Solche können nur eine falsche Entlastung, eine Verdrängung zur Folge haben. Sehen wir doch, hier jetzt in Wien, im Künstlerhaus, die großartige Ausstellung altamerikanischer Kunst aus der vorchristlichen Zeit Mexikos und Mittelamerikas: diese Kunst atmet Blutdurst aus, ist getränkt vom Menschenopfer. Man riecht es einer Gesellschaft an, ob sie das Blutvergießen legalisiert, anerkennt. Die Spätantike ging daran zugrunde, sie „stank nach Haß“, wie Hello sagt. Hüten wir uns, eine Gesellschaft zu werden, die das Blutopfer sanktioniert: wir würden dadurch eine Freiheit preisgeben, die zu den auszeichnenden Merkmalen freier Gesellschaften gehört. Ein ganz wesentlicher Unterschied zu den geschlossenen Gesellschaften rings um uns würde fallen.

Die rechtliche Lösung liegt zudem klar zutage: in einer konkreten Anwendung des lebenslänglichen Kerkers, und in anderen Strafverschärfungen, die viel abschreckender wirken auf Menschen, die vor dem „Nichts“ nach dein Tode keine Angst haben, wie ihr Verhalten im Kampf ihrer Banden zeigt.

Mit dem Galgen baut man keine neue Welt. Wie können wir in Wien dies Budapest und Prag ins Gesicht sagen, wenn wir selbst „für die Verbrecher unserer Gesellschaft“ nichts anderes übrig haben, als was andernorts für die Reinsten und Besten der Menschen erübrigt wird?

„LASST MICH LEBEN“: DAS PROBLEM DER TODESSTRAFE IM FILM

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