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EIN VOLKSFEST NACH DER HINRICHTUNG

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Welche die älteste Todesstrafe war, die Menschen vollzogen, läßt sich nicht mehr feststellen. Eine Todesart, die von verschiedenen Völkern durch Zufall oder örtliche Gelegenheit angewandt wurde, ist im Sinne der Kultur-und Rechtsgeschichte noch nicht als Todesstrafe anzusehen.

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Welche die älteste Todesstrafe war, die Menschen vollzogen, läßt sich nicht mehr feststellen. Eine Todesart, die von verschiedenen Völkern durch Zufall oder örtliche Gelegenheit angewandt wurde, ist im Sinne der Kultur-und Rechtsgeschichte noch nicht als Todesstrafe anzusehen.

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Das Füttern von Krokodilen mit Verbrechern, wie es in Afrika bei manchen Ethnien vorkam, oder das Anpflocken eines Mannes zwischen Termitenhügeln, das Hinunterstürzen eines Verbrechers von einer Klippe in den Amazonas wird den Bräuchen zugerechnet, begründet jedoch keine der überzeitlichen und überregionalen Strafen, die von Geheimnissen umgeben sind und deren Ursprünge in Sagen, Legenden und Mythen eingebettet und über Jahrtausende in die Geschichte der Menschheit eingeflochten sind.

Die bekannteste aller Todesstrafen ist das summum supplicium der Römer, die Kreuzigung. Sie hat noch jene Scheu des Menschen in sich, die einen direkten Eingriff des einen in das Leben des anderen verhindert. Menschen, von denen Gefahr ausging (der Zauberei verdächtige Frauen, junge Menschen, die sich der tradierten Ordnung nicht fügten und so weiter) wurden der Gewalt der Elemente überantwortet. Das Meer wandelt sich nicht, so viele Menschen es auch verschlingt, das Feuer ändert sich trotz des Verbrennens vieler Verurteilter nicht. Wasser und Wind, Sonne und Flammen können töten und trotzdem reinbleiben.

Die Menschen hatten nichts anderes zu tun, als den Verurteilten an der Flucht zu hindern. Der einfachste Vorgang war, den Todgeweihten an den nächsten Baum zu binden. Das ist wahrscheinlich die Urform der Kreuzigung, vielleicht die Urform der Strafe überhaupt.

Der Unglücksbaum, arbor infelix, war den Göttern der Unterwelt geweiht. Die festgebundenen Verbrecher konnten vielerlei Tode erleiden: Wilde Tiere konnten sie zerreißen, sie konnten verhungern, verdursten, an Hitzschlag sterben, erfrieren. Vögel fraßen den toten Leib. In einer langen und komplizierten Entwicklung wurde die Strafe mehr als das bloße Beseitigen von Verbrechern. Die Gemeinschaft konnte sehen, wie Straftäter zu Tode kamen. Das diente nicht nur zur Befriedigung der Gerechten, sondern sollte auch Abschreckung für jene sein, die in sich die Kraft des Bösen fühlten.

Die Befestigung eines Querholzes auf dem Unglücksbaum machte aus dem arbor infelix ein Kreuz. Aber auch das Aufhängen, die aktive Tötung des Menschen, hat schon ihre Wurzeln im Altertum. Am Ast eines toten Baumes kamen Verurteilte zu Tode. Der Baum hatte einen glatten, rindenfreien Stamm, denn „zwischen Baum und Borke" setzten sich Dämonen fest. Karl der Große ließ künstliche Galgen aufrichten. Erst waren es hölzerne Kniegalgen (auch Schnabelgalgen, Schnapp-, Schnellgalgen oder halber Galgen genannt). Zumeist bestand ein Galgen jedoch aus zwei senkrecht stehenden Holz- oder Steinpfosten mit einem Querholz darüber.

An manchen Orten wurden Galgen errichtet, die mehrere Plattformen und mehrere Stockwerke hatten. Bis zu zwanzig Verurteilte fanden gleichzeitig Platz. Je höher man den Verurteilten hängte, desto schwerer war die Untat gewesen. So bekam die Sühne sichtbaren Ausdruck. Wesentlich an der Todesstrafe des Mittelalters und des Altertums war die Idee der Sühne, die für die große Mehrheit der Menschen, die weder lesen noch schreiben konnte, nachvollziehbar sein mußte.

Diese Nachvollziehbarkeit war bedeutenden Wandlungen unterworfen. Das Deuteronomium 21, 18 ff sieht vor: „Wenn jemand einen eigenwilligen und ungehorsamen Sohn hat, der seinem Vater und seiner Mutter nicht gehorcht, und wenn sie ihn züchtigen, ihnen nicht gehorchen will, so sollen ihn Vater und Muttergreifen und zu den Ältesten der Stadt führen und zu den Toren des Orts" - dort fanden wegen der Enge altjüdischer Siedlungen zumeist die Gerichtssitzungen statt - „und zu den Ältesten der Stadt sagen: Dieser unser Sohn ist eigenwillig und ungehorsam und gehorcht unserer Stimme nicht und ist ein Schlemmer und Trunkenbold. So sollen ihn steinigen alle Leute der Stadt, daß er sterbe, und sollst also das Böse von Dir tun, daß es ganz Israel höre und sich fürchte." Das Stören der gottgewollten gesellschaftlichen Ordnung wird mit dem Tode bestraft.

Jahrhundertelang wurden Menschen von Rechts wegen getötet, indem man sie vor aller Augen hängte, räderte, vierteilte, lebendig begrub, pfählte, ertränkte, verbrannte, köpfte, zerstückelte oder ausdärmte. Nicht todeswürdige Verbrechen wurden mit „Leibstrafen" geahndet wie Ausstechen der Augen. Abhauen der Hand oder der Finger, Abschneiden der Zunge oder der Ohren. Die mildeste Leibesstrafe war körperliche Züchtigung (das Aushauen mit Ruten, das Stäuben oder Stäupen). Was Menschen nach der Aufklärung inhuman und grausam erscheint, wurde in frü-

heren Zeiten als Teil einer göttlichen Weltordnung verstanden, die keine Trennung zwischen irdischen und sakralen Bereichen akzeptieren konnte. In der Rechtsfindung wollte man „das Böse" in all seinen Erscheinungsformen finden und vernichten. Der bestrafte Missetäter war in Wirklichkeit ein besiegter Teil des Teufels in der Welt.

Anschauliches Beispiel dieses Verständnisses liefert das „Heuwa-gen-Tryptichon" von Hieronymus Bosch. Auf den mittelalterlichen Landfahrer lauem zahlreiche Gefahren auf seinem Weg, auf dem Hügel in der Feme erhebt sich drohend und mahnend der Galgen.

Wie sehr sakral und weltlich einander durchdrangen, zeigt ein Beispiel aus dem „Sachsenspiegel", ein um 1230 von Eike von Repgow niedergeschriebenes Rechtsbuch: „Ist ein Christ ungläubig oder beschäftigt er sich mit Zauberei und Giftmischerei und wird dessen überführt, den soll man auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Ein Richter, der ein Verbrechen nicht richtet, hat dieselbe Strafe verdient, die auf dem Verbrechen steht."

Damit wurde erreicht, daß der Richter streng nach Gesetz urteilte und dadurch das Rad der Sühne nicht aufhalten konnte oder wollte. Jedes Gerichtsurteil bedeutete den Sieg der Wahrheit und die Wiederherstellung der göttlichen Ordnung. Nach der Hinrichtung kam das Volksfest.

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