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Bäuerliche Passion in Kärnten

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Die Wellen wechselvoller Schicksale haben mancherlei Gut in das Land zwischen den Tauern und den Karawanken getragen. Es sank unter und wuchs zu einer Kulturschichte, die römisch - asiatische und germanische Elemente mit solchen der mittelalterlichen europäischen Entwicklung zu einer seltsamen Synthese verbindet. Es gibt Orte in Kärnten, gesegnet mit Werken, die als Gipfelleistungen von Kulturepochen angesehen werden müssen, vor denen Schauer der Ehrfurcht aufsteigen; und es gibt solche, die kaum über bemerkenswert Zeichen irgendeiner Besonderheit verfügen und doch von einer mystischen Aura umstrahlt sind, die aus den Tiefen der Volksseele aufsteigt.

Das Landvolk hat sich als großer Aufbewahrer dessen erwiesen, was vergangene Kulturen schufen. Es hütete die Heiligkeit eines alten Tempelbezirkes durch ins Christliche gewendete Bräuche, wie den des Vierbergelaufens auf dem Zollfeld zwischen Klagenfurt und St. Veit am zweiten Freitag nach Ostern; es hielt den Freyr- und Ner-thuskult lebendig in der Gestalt des heiligen Mannes in der Niklai bei Sachsenburg in Oberkärnten; es überlieferte zahllose germanische Fruchtbarkeits- und Totenriten in unverfänglichem Gewände. Unverwischt und zeitlos lebten in seinem Herzen auch die heiligen Spiele weiter, in die Adel, Bürger und Mönch die Frömmigkeit des Mittelalters gössen* Und immer blieben es die gleichen Gegenden, in denen die Wunderblume dieser Dichtungen im Strahl der Ostersonne durch den Schutt bricht, den Jahrhunderte darüber gehäuft haben.

In St. Veit an der Glan, der kulturell und wirtschaftlich hochstehenden mittelalterlichen Hauptstadt Kärntens, entstand am Ende des 16. Jahrhunderts, aufgebaut um das Gerüst des Augsburger Passionsspieles von St. Ulrich und Afra, in enger Verwandtschaft mit dem berühmten Ober-ammergauer Text, aber auch beeinflußt von der alten Wiener Passion aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts, „Das Kärntner Spiel vom Leiden und Sterben Christi“. Es wurde unter Mitwirkung der Zünfte und Bruderschaften mit ungeheurem Prunk aufgeführt und fand Verbreitung über alle städtischen Siedlungen des Landes. Seine Blütezeit war vorüber, als Humanismus und Jesuitendrama die Herrschaft antraten. Zunächst mußte es sich mancherlei Veränderungen im Sinne der Haupt- und Staatsaktiohen gefallen lassen und auch der Schäferpoesie eine Konzession machen durch Aufnahme der dramatisierten Parabel vom guten Hirten, der sein verlorenes Schäfchen sucht. Dann wurde es vollends zu den Bauern verbannt, ohne dort Ruhe zu finden, denn im Anfang des 19. Jahrhunderts fanden die Behörden, daß

die Passionsspiele „ein die Religion entehrender Unfug“ seien. Die mit den schärfsten Mitteln einsetzende Verfolgung hätte das Spiel zweifellos vernichtet, wenn die Melodien der Lieder und die Worte des Textes nicht von Mund zu Mund weitergegeben worden wären, bis es möglich wurde, die wenigen erhaltenen alten Rollen und Dirigierbücher mit ihrer Hilfe zu ergänzen und auch eine wissenschaftlich brauchbare Fassung herzustellen.

Die Hartnäckigkeit der Bauern und die Abgeschlossenheit ihrer Täler haben das „Christi-Leidenspiel“ darüber hinaus auch im Volke lebendig erhalten. Sogar der zweite Stamm im Lande hat es in der Fassung übernommen, die ihm der slowenische Bauer Drabosenig in Sternberg bei Velden am Wörthersee gab. Manchenorts wurden einzelne Szenen, wie der Zug Christi zur Kreuzigung, selbständig von der aus der Kirche ziehenden Menge aufgeführt. Regelrechte Darstellungen des ganzen Spieles, das allerdings von dreitägiger Dauer auf eine eintägige gebracht ist, fanden in den ersten Jahren nach dem Weltkrieg 1914 bis 1918 unter großem Zulauf des Volkes noch in Köstenberg oberhalb des Wörthersees in slowenisch-kärntnerischer Mundart und in dem alten Pfalzdorf Moosburg auf den Hängen über dem Glantal in deutscher Sprache statt.

Eine offene Scheune, manchmal auch eine einfache Bretterbühne, genügt als Rahmen für die Szenen bis zur Kreuzziehung. Die Verbrauchtheit der durch Geschlechter sorgsam gehüteten Saal- und Walddekoration, der im derben Blau alter österlicher Altartücher gehaltene Vorhang und die durch Jahrhunderte geheiligte Form der Kostüme strömen suggestive Kraft aus. Ein Mittelvorhang trennt die Vorderbühne von einem seitlich und rückwärts abgeschlossenen Raum, so daß die Auftritte einander ohne Szenenwechsel folgen können. Der Schluß ganzer Szenengruppen wird durch Senken des Außenvorhanges angezeigt. Der Ton der Dichtung hält sich immer auf der Höhe ernster Erbauung. Trotzdem in der Art von Hans Sachs gezeichnete Teufel, gekleidet in ein enges schwarzes Leibgewand, von dem rückwärts ein langer Kuhschweif herabhängt, groteske Szenen spielen, hat die Hoheit der Passionsgeschichte ernste Entgleisungen verhindert; ja die Teufel predigen sogar gegen sich selbst und warnen vor Sünde und Gottlosigkeit. Nur jener Personen, die von der biblischen Überlieferung bloß skizziert werden, hat sich der schöpferische Volksgeist in stärkerem Maße bemächtigt.

Es sind dies_ Malchus, Petrus, Pilatus und vor allem Judas. Der erste erscheint als Personifikation des Undankes, wenn er sich nach der Heilung unter den Peinigern Christi besonders hervortut. Ein erschütterndes Sinnbild der. Demut und der Zerknirschung gibt die niedergebeugte Gestalt

des seine Verleugnung bereuenden Petrus an der angedeuteten Feuerstelle im Hofe des Gerichtsgebäudes. Voll scharf ausgeprägtem Gerechtigkeitsgefühl, ganz Vertreter des klaren römischen Rechtes, ist Pilatus. Nur Angst um seine Stellung gibt schließlich dem Beamten des Kaisers Veranlassung, den drängenden Wunsch des Pöbels zu erfüllen. Der kärntnerische Judas endlich, rot von Bart und Haupthaar, in ein gelbes Gewand gekleidet, das ihn von allen andern unterscheidet, läßt Habsucht, Geiz und Freßlust als Motive seiner Handlungsweise erkennen. Jede Bewegung ist vom Schein verborgener Leidenschaft umflackert. Vor dem Gang auf

den ölberg trinkt er sich Mut an. Um seine dreißig Silberlinge, die er Stück für Stück auf ihre Echtheit prüft, hadert er in grober Mundart, tölpisch und doch pfiffig, wie es eben das Wesen eines armen Keuschlers ist. Zur großen tragischen Figur wird er, wenn er nach seinem Selbstmord als Geist auftritt und herzbewegend darüber klagt, daß er Hand an sich gelegt habe, statt dem Herrn zu Füßen zu fallen. Diese Szene ist immer von gewaltiger Wirkung. Noch ein drittes Mal wird er beschworen, um die Qualen der Hölle zu beschreiben, die er zu leiden hat. Diesen holzschnittartigen Bildern läßt das Spiel der weißgekleideten Schäfer, die mit blumengezierten Hüten und Stäben auftreten, eine Lyrik von zartester Lieblichkeit folgen. Sie ist dem reichen Schatz der Volksund Kirchenlieder entnommen und zeigt auch den Einfluß mittelalterlicher Marienklagen.

An den großen Wendepunkten der Handlung tritt der Tod auf, der Allbezwinger, der nicht einmal vor dem Erlöser haltmacht. Auf seinem Gewand sind die Rippen mit schwarzen Strichen gezeichnet. Eine hölzerne Kopfmaske verbirgt das Antlitz des Sprechers. Seltsam abgehackt ist der Rhythmus seiner Bewegung. Die Worte entsteigen in dunkler Einförmigkeit der ewig gleichbleibenden Maske, schweben auf zu höherem Ton und versinken wieder in den Abgrund des Grauens. Dreimal zeigt er sich. Zu Beginn verkündet er seine Macht über das Menschengeschlecht, nach der Urteilsverkündigung teilt er triumphierend seinen Sieg über Christus mit, nach dessen Sterben mahnt er, hoch zu Roß, unter dem Kreuze haltend, die Zuschauer zur Einkehr in sich selbst.

Die Szenen auf dem ölberg, die Kreuzziehung, die Kreuzigung und die Grablegung spielen im Freien, inmitten der österlichen Landschaft und des Volkes. Noch weht der Wind um diese Zeit kalt und, wo die Schatten kriechen, hält nächtlicher Frost die Erde erstarrt unter späten Schneeresten, Aber die Sonne wärmt mit steigender Kraft. Schneeglöckchen läuten den Frühling ein. Palmkätzchen sehnen sich nach einer zärt-

liehen Hand. Erika sprießt, und die Schneeberge des umfassenden Panoramas zeigen an ihren Seiten die breiten Bahnen abgegangener Lawinen. Durch diese Landschaft, in der alles Bereitsein ist, wälzt sich der Zug der Kreuzigung. Voran der To'd auf langsam trabendem Roß, gefolgt von berittenen Häschern in wallenden bunten Mäntelh und dem endlosen Gewimmel von Neugierigen und Betern. Mitten unter ihnen, geleitet von weinenden Frauen und seinen Peinigern, im dunkelroten Gewände Christus unter dem Kreuzesstamm. So ziehen sie feierlich der Golgathahöhe entgegen, auf der die Kreuzigung vor sich geht. Die Illusion, daß dieses erschütternde Drama mitten im Leben, in der bäuerlichen Wirklichkeit spielt, ist unendlich stark. Man sieht das Kreuz hoch über ihrer kleinen Welt aufgerichtet; sieht Kirche, Dorf und Acker zu seinen Füßen liegen und die Sonne traurig dem abendlichen Schatten der Berge weichen. Die Intensität des Stimmungsgehaltes ist so groß, daß es selbstverständlich erscheint, wenn der bekehrte römische Hauptmann Longintu den am Kreuze hängenden Erlöser nicht nur für sich selbst, sondern für die ganze Gemeinde um Schutz vor Unglück und Feuer, vor Hagel und Hungersnot anfleht.

Die Erhabenheit mancher Szenen mit der gefühlsmäßigen Erfassung ihrer allgemein menschlichen und künstlerischen Wertr durch die einfachen bäuerlichen Spieler schafft bleibende Eindrücke. Es wäre wirklich der Mühe wert, daß eine mit neuem Geist erfüllte Laienspielbewegung dieses versinkende alte Kulturgut hebe und es dem Spieltrieb des Volkes dienstbar mache. Die religiöse Aufgeschlossenheit, die heute im Landvolk zweifellos vorhanden ist, käme einem solchen Versuch sicherlich entgegen.

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