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Von wunderlichen Heiligen

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„Die "Welt des Films gehört zu den Kräften irdischer Wirksamkeit. Aber das Religiöse kann hindurchleuchten. Durchsichtig das Mysterium des Menschen bis in die Nacht.“

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„Die "Welt des Films gehört zu den Kräften irdischer Wirksamkeit. Aber das Religiöse kann hindurchleuchten. Durchsichtig das Mysterium des Menschen bis in die Nacht.“

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Weihbischof Dr. Franz Hengsbach, Dortmund 1957

Im religiösen Empfinden der Menschen aller Zonen und Zeiten lebt eine eigentümliche Scheu davor, die Gottheit von Angesicht zu Angesicht zu schauen, zu berühren, anzusprechen. Für diese Kontaktscheu bietet sich die christliche Lehre von der Erbsünde als überzeugende Erklärung an. Im Bewußtsein dieser Scheu und im Bestreben, die Kluft zu verringern, erschafft sich der Mensch menschlich faßbarere, persönliche Zwischenstufen. Umgekehrt hat Gott nach dem Fall der Menschen jedes vertraute Gespräch mit ihnen abgetan, erscheint selbst dem auserwählten Volk nur unter Blitz und Donner, in Feuersäulen und von brennenden Büschen verhangen, und spricht mit ihm nur durch den Mund der alttestamentlichen Gerechten und Propheten. Griechische, römische, germanische, aber auch Parallelen heutiger Naturvölker sind handgreiflich.

Ein gutes Jahrtausend lang befriedigt das Christentum in seiner abendländischen Ganzerfassung und Vollwirksamkeit durch das Mittlertum des Gottmenschen und im Abstand mit der Fürbitte der Heiligen dieses Grundbedürfnis der von Natur aus christlichen Seele in höchster Vollendung. Als die reformerischen schon der späte Luther, noch heftiger Zwingli und Calvin verwerfen die Heiligenverehrung und atheistischen Strömungen der Neuzeit diese Gesamtwirkung und -Sicherung durch das Christentum annagen und schließlich für Millionen einreißen, flüchtet die verlassene Seele in der Eiswüste individualistischer und kollektivistischer Säkularisierung in die sonderbarsten Ersatzvorstellungen: Ersatz für Gott — das Ich urid das Wir und Ersatz für-die" Mittler,' die Heiligen: die „Sterne“, die Stars.

Dabei dürfte es kein Einwand sein, daß die Wurzel dieses bestürzenden Vorganges im Abendland zu suchen ist, während das Startum doch eigentlich von der Neuen Welt, der Gesellschaft Amerikas seinen Ausgang genommen habe und dort seine exotischesten Blüten treibe. Lebt doch diese sonderbare Neue Welt auch in anderem, freilich im Höllentempo, die Alte nach — in der christlichen „Düngung“ — und in der christlichen Entleerung: beides unerläßliche Voraussetzung für das üppige Wuchern des pseudoreligiösen Startums!

Zwei durchaus ernstzunehmende Filmproduktionen, Indien und Japan, kennen darum ein Startum in so bestimmten und ausgeprägten Formen nicht; die heimischen religiös-heroischen Mittlerformen, besonders deutlich noch im japanischen Film erkennbar, sind eben noch wirksam und verlangen nicht nach Ersatzformen: es fehlt die christliche „Düngung" und die furchtbare christliche Entleerung!

Und Rußland, das keusche, kalte, ganz und gar starlose Rußland? Müßten nach dieser These nicht gerade in seiner eschatologischen Hochspannung religiöse Flucht- und Ersatzformen am fruchtbarsten gedeihen? Ein ernster Einwand, eine noch ernstere Antwort: Vielleicht ist dort die eigentliche religiöse Entleerung trotz des Oberdruckes noch gar nicht so weit gediehen wie bei uns? Vielleicht haben die Sicherungen alle Stromstöße überdauert und sind religiöse Ersatzvorstellungen in diesem Sinne gar nicht notwendig, weil die echten religiösen unter der Oberfläche fortdauern . . . ? Wer wagt das zu entscheiden?

Klarer liegt der Fall in den uns zunächstliegenden Zonen Europas, deren Knotenpunkte dem amerikanischen Zentrum an Starkult nichts nachgeben. Die Knotenpunkte sind die ehemals intensivsten, heute bedrohtesten und gefährdet- sten christlichen, katholischen Zonen: Frankreich und Italien. Beide haben uns übrigens auch am laufenden Bande den erotischesten Typ des Filmstars unserer Tage geliefert: dieses Silvana Mangano, Sophia Loren und Gina Lollobrigida, jenes eine ganze unabsehbare Reihe, zuletzt den provokanten Typ Brigitte Bardots. Ein geheimnisvoller Unterstrom, eine fürs erste befremdende Entsprechung zwischen Agape und Eros, Eros und Sexus, die auch sonst im Film nachzuweisen ist wir verdanken den beiden Filmnationen den substantiellsten religiösen und gleichzeitig den riskantesten erotischen Film! drückt sich also nicht nur im vollbewußten religiös-menschlichen Empfinden, sondern auch in den verborgensten unterbewußten Denkformen um das ersatzreligiöse Filmstartum aus.

Das moderne Filmstartum hat Vorläufer und Mitläufer.

Wir dürfen die deutlich kühleren und disziplinierteren Formen des politischen Stars, hauptsächlich die Kultformen um den Tyrannenmörder, Rebellen und Partisanen, und des wirtschaftlichen, des Managers, übergehen. In die Augen springt das schon im 19. Jahrhundert einsetzende und früh bekämpfte! Stargehaben der Bühnentürlheiligen. Nächste Stufe: der Sportstar. Wir wissen darüber in Oesterreich, im Lande der Uridil und Sindelar, Dagmar Rohm und Toni Sailer, einiges davon zu melden . ., Krone aller Kronen aber: der Filmstar.

Das Kind entwickelt sich in drei Stufen. Erstens: der romantischen. Was wissen die Jüngeren noch vom Kult mit Max Linder, Valdemar Psilander, Lya Mara, Lya de Putti, Mia May, Lillian Gish, Gloria Swanson, Rudolf Valentine und Ramon Novarro, Asta Nielsen, Henny Porten und Pola Negri. Zweitens: der künstlerisch-ästhetischen. Sie trägt, die Namen Greta Garbo und Charlie Chaplin I. es gibt noch einen II. und III. gleichen Namens, leider nicht gleichen Ranges und gleicher Würde . . .. Drittens: der vorwiegend kommerziell bestimmten Epoche unserer Tage, dem Gagenzeitalter der Audrey, Gina und Brigitte, Curd und' Otto Wilhelm, jener Gerhart Hauptmänner von Köpenick, die — verkleidet mit dem literarischen Heiligenschein — den unfehlbar sicheren Griff in die Vorstadtkassen tun.

Der Heiligenschein aber stammt nicht von ihnen, sondern von der entchristlichten Masse daher die christliche, sofern sie gedankenlos mittanzt, gegen die Räson handelt.

Hier die Abbilder einstiger Attribute und Funktionen der Heiligen:

Der Reliquienkult. Ein heikles Thema. Denn selbst der christliche Raum ist nie ganz frei von Mißbrauch damit gewesen. Wie mußte erst der abgerutschte christliche Boden faulen! Wieland Schmied hat an dieser Stelle erst kürzlich Gescheites und Erschütterndes über das „Fortleben“ des Weltstars unserer Tage Nr. 1, James Dean, berichtet.

Nachahmung des Namenspatron-Brauches. Filmzeitschriften und Magazine veröffentlichen häufig die Geburtstage natürlich ohne Jahreszahl der Filmstars mit den zum Tage gehörigen „Sternzeichen". Eine ausländische Revue hat darauf aufmerksam gemacht, daß dahinter mehr als der übliche astrologische Unsinn stecke. Es gebe, heißt es dort, vorwiegend in Amerika, England und Deutschland tausende jüngere, aber auch ältere Leute, die ihre Person regelrecht dem nach Geburtstag oder Sternzeichen entsprechenden, gleich- oder zumeist andersgeschlechtlichen Filmstar weihen, in einzelnen Klubs sogar unter bestimmten feierlichen Zeremonien!

Die uralt christliche Brauchübung der Imi-tatio reicht in der Entartung der Massengefolgschaft der „Neuheiligen“ bis zur Nachahmung der Maske, Gesten und Lebensgewohnheiten der Stars, bis zur Nachäffung der Haartracht, Kleidung, Wohnkultur, „Liebhabereien" und Leidenschaften.,Zur kttriosen Verkreuzung christlicher mit heidnischen Ersatzvorstellungen gehört die Verliebtheit der Massen in den traumhaften Reichtum der Stars, in ihr phantastisches Essen, Wohnen und Trinken Nektar und Ambrosia, Walhalla!, in ihre polygame Grundhaltung, in ihr „Tabu“, dem noch Goebbels Zoll zahlte, als er im berühmten Desillusionierungserlaß die Veröffentlichung des Alters der deutschen Filmstars in der Presse verbot…

5., 6. usw. Es wäre noch mit aller Vorsicht zu prüfen, ob nicht noch die Graduierung der „Halbgötter“ in Starlets und Stars und in ganz bestimmte Vorspannletterngrößen, die dem Gefälle der Selig-Heiligsprechung entfernt ähnelt, oder die Sammelwut jener, die keine Heiligenbildchen mehr, sondern nur noch Starphotos und -Postkarten einheimsen, hierher gehören. Doch sollte dabei nicht übers Ziel geschossen werden. Ein Aberglauben sollte nicht einen neuen gebären.

Und die Stars selber, die neuen „Heiligen"? Wie lebt und stirbt man denn im neuen, halbseidenen Olymp? Wie reagieren die Stars auf die ihnen vom Publikum oktroyierte Funktion? Aktiv, passiv, zustimmend, widerstrebend, glücklich, unglücklich?

Sie müssen den Thron teuer bezahlen. Ihr Tag ist schwer — besonders Hollywood sorgt durch seine gnadenlosen, schinderischen Vertragsklauseln dafür. Stimmt die These aber von der ersatzreligiösen Funktion des Filmstars, dann muß sich der Ventilüberdruck noch steigern — -bis zur Unerträglichkeit. Das große Unbehagen, die ganze Labilität der Lebensführung des Stars scheint nicht zuletzt auch daher zu kommen, daß er an dem ihm ungebeten zugewiesenen Heiligenschein leidet, sich seiner nicht würdig, sich ihm nicht gewachsen fühlt, ihn aber trotzdem keuchend weiterschleppt und nicht selten unter seiner Last zusammenbricht. Die Reaktion darauf ist von erschütternder Menschlichkeit: Flucht in exzessive Lebensformen, in Rauschgift, Alkohol, immer neue Geschlechtspartner und sinnlose Verschwendung.

Ein Stern unter den Sternen ging nicht diese Spur, sondern floh in die einsame Reinheit der Vestalin: Greta Garbo. Ihr allein hat das irrende, suchende Filmvolk in rührender christlich-heidnischer Scheu und Scham den Namen „Die Göttliche“ gegeben. Ist’s ein Weg? Ist es der Ausweg — diese Flucht in Einsamkeit und Keuschheit, um das Harte, das Untragbare, das Heilige im Unheiligen zu tragen?

Vielleicht. Vielleicht liegt noch über der reklameforcierten jugendlifhen Virginität Romy Schneiders ein schwacher Abglanz davon. Am griechischen Sternenhimmel jedenfalls, dieser lichtsprühenden Vollversammlung von Helden und Heiligen, leuchteten die Jungfrau und Philemon mit Baukis, nicht aber die Seitenspringer und Ehebrecher.

„Ich bin der Herr“, sagt Er zu Moses, „dein Gott… du sollst neben Mir keine fremden Götter haben …“

Der Standpunkt ist klar. Aber: die Ablehnung eines frevelhaften Ergebnisses, der Ersatzheiligen, Ersatzgötter unserer Tage, schließt nicht aus, daß wir gläubige Christen an der tiefsten Wurzel ein letztes Sehnen und Suchen, über die menschliche Leere hinaus zu neuen überirdischen Vorbildern und Inhalten zu kommen, entdecken. Tot ist nur, was nichts mehr von Gott weiß und wissen will, und was von Gott selber vom letzten Faden getrennt und ins Dunkel gestoßen wird. Hier aber ist noch nicht alles gestorben, hier ist noch nicht alles verloren.

Auch irdische Dinge, ja noch entschuldbare Irrtümer können irgendwie noch das Göttliche widerstrahlen, ahnen lassen. Wenn es wahr ist, daß die Kirche unserer Tage in die Welt aufgebrochen ist, dann müssen wir Christen auch damit rechnen, daß ihre Trümmer und Bruchstücke, ihre Fetzen und Hadern uns vor die Füße stürzen: wir müssen sie aufnehmen, annehmen und zum Leuchten bringen.

Star ist das englische Wort für Stern.

Millionen Heimatlose, Gefangene des ewigen Proletariates, bevölkern Abend für Abend die Kinos. Mögen sie viel verdienen: sie sind doch im Grunde nicht reich. Gott ist ihnen erstorben. Aber sonderbare Engel und Heilige wachen an Seinem Grabe und warten, daß der Stein aufbricht und Mensch und Ding wieder an ihrem Platz, in Seinen Strahlen stehen.

Ob sie ’s wissen, ob sie ’s ahnen, wenn sie nachts nach Hause gehen und einen Blick zu den Sternen tun? Irgend etwas ist noch in ihnen, das sie über den seligen Jammer ihres Daseins hinaus- und hinaufblicken läßt. Heute noch bloß das Schönen’ das Stärkere, das Reichere, als sie selber sind. Heute noch: der Stern, der Star. Morgen vie- leicht wieder: Franziskus. Heute noch: der Bote. Morgen klopft Er vielleicht selber an.

Vgl. vom selben Verfasser: „Die Sterne sind unter uns“, „Die Furche", Nr. 11, vom 16. März 1957.

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