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Das Licht-Spiel

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Wenn in unserem kleinen Oesterreich jährlich 93 Millionen — das sind täglich über eine Viertelmillion — Menschen ins Kino gehen, so kann das nicht allein in einer hemmungslosen Vergnügungssucht begründet sein, sondern muß in einer vielleicht nicht hinreichend bedachten Hintergründigkeit unserer menschlichen Natur eine erst befriedigende Erklärung besitzen. Uebcrlegen wir! Warum erwacht in uns beim Anblick spielender Kinder unwillkürlich das Heimweh, die Sehnsucht nach jenen Tagen, in denen auch wir jenseits dieser uns so bedrückenden und engen Wirklichkeit in jener anderen Welt, in der Welt des Spieles, leben konnten? Und ist uns dabei schon einmal zu Bewußtsein gekommen, daß wir von der gleichen Sehnsucht geleitet werden, wenn wir wieder einmal vor uns hinträumen und uns in eine Welt der Illusionen — in diesem Fremdwort steckt das lateinische Wort: „ludere“ („spielen“) drin! — jenseits dieser uns beschränkenden „eigentlichen“ Welt begeben? Das Spiel der Kinder und der Spieltrieb der älteren Menschen zeugen dafür, daß uns diese nahe, unmittelbar uns umgebende diesseitige Welt nicht genügt. In Musik und Schauspiel, in Liturgie und auch im Kampfspiel drängen wir in eine andere, erweiterte, erfüllendere jenseitige Welt. Und nur, wo einer sich in eine solche vorgestellte Welt, in eine Welt der Illusionen hineinzuleben versteht, entspannt sich sein Geist und er vermag froh und seelisch gesund zu leben.

Das Spiel und dieser unverlierbare Drang des gesunden Menschen nach Spiel gewährt einen Indizienbeweis, daß der Mensch diese ihn umgebende Welt zu eng findet und in einer anderen, weiteren, größeren beheimatet sein muß. Der Spieltrieb und die Offenbarungswahrheit: daß das Menschengeschlecht aus der Welt des Paradieses kommt und dem Himmel, das heißt der „neuen Erde und dem neuen Himmel“ zuwandert, hängen innerlichst miteinander zusammen. Thomas von Aquin hat diesen Zusammenhang noch wohl verstanden, als er in dem Kommentar zur aristotelischen Ethik schrieb: „Der im sturen Ernst Dahinlebende ist nicht tugendlich, da er das Spielen verachtet, das für ein humanes Leben ebenso notwendig ist wie das Aus-ruhn.“ Im Spiel, von dem Hugo R a h n e r so gut sagt: es sei „nie notwendig, aber durchaus sinnvoll im Leben“, im Spiel ist der Mensch erst glücklich, weil er da der Ver-zwecktheit des blöden Ernstes und der Sinnlosigkeit des reinen Diesseits entrückt ist. Der antike Mensch wußte, daß Spiel und Ewigkeit zusammengehören. Dabei heißt Spiel durchaus nicht bloß aktive Beteiligung, auch der Zuschauer ist nicht rein passiv und ist ein wahrer Mitwirkender. Jeder, der vor-spielt, weiß um die Macht des Beifalls und der Ablehnung.

Der Film wurde zu Anfang sehr mit Recht L i c h t s p i e 1 genannr. Denn seinen unheimlichen Aufstieg im 20. Jahrhundert verdankt er dem Urdrang des Menschen nach dem Spiel im Zusammenhang mit der Rationalisierung des technischen Zeitalters. Man bedenke: Im Verlauf der technischen Entwicklung wird im steigenden Maß alles verzweckt, alles geordnet, das heißt rationalisiert, das ganze Leben, auch die Arbeit. Der Bauer, der Handwerker durfte sich in diesem oder jenem ein ähnlich freie* Ausschwingen in seiner Arbeit erlauben, das der Mensch sonst im Spiel erlebt. In der Arbeit des technischen Zeitalters muß alles Ueberflüssige wegfallen, es darf keine unausgenützten Räume und Zeiten geben. Für etwas Unrationelles gibt es keine Spielräume mehr. Die Technik mag den Bewegungsraum der Gesamtmenschheit erweitert haben, d:n Bewegungsraum des einzelnen hat sie verengt. Er hat keine Spiel-

* Gedanken aus, der Predigt anläßlich der Eröffnung der III. Internationalen katholischen Filmwoche im Dom von St. Stephan, am 19. April 1953. räume mehr in seinem Dasein, die ihm gehören und die nicht irgendeinem „höheren“ Zweck dienen müssen. Das Spiel, das Reich der Illusionen, mußte weichen. Mehr oder weniger gewaltsam vertrieben. Aber der Spieltrieb ist in unserer Natur begründet. Und Ovid wußte schon: Wer die Natur mit der Mistgabel vertriebe, sie kehrt doch immer wieder zurück. Nur um so stärker, wie aus einer gewaltsamen Entladung.

Der Film, das Lichtspiel, verdankt seinen gigantischen Aufschwung nicht nur der Tatsache, daß er eine billige und dabei höchst intensive Befriedigung der Schaulust des Menschen ist, der Augenlust. Er ist der Ausgleich an Befriedigung des naturbedingten Spieldranges im Menschen nach einer Erweiterung seines Lebensraumes in der echten und berechtigten Illusion. Ein Ausgleich, der deshalb so maßlos vorgenommen wird, weil unser modernes rationalisiertes Dasein auch nicht am rechten Maß gemessen ist. In diesem Licht ist das alte „Brot und Spiele“ nicht bloß ein Schrei des Proletarierinstinktcs. Die Leinwand erweitert die verengten Lebensräume des modernen Menschen. Sie zieht uns in unerhörte Illusionen — Hollywood wurde „Traum“fabrik genannt —, hätte es nicht besser: Illusionsfabrikation heißen sollen?

In unserer Welt ohne Spielräume ist der Film eine Lebensnotwendigkeit geworden. Wer diesen Zusammenhang nicht begreift, lebt noch nicht in der Welt des 20. Jahrhunderts. Papst Pius XI. hat ihn erkannt, als er 1936 in der Filmenzyklika den Zusammenhang von Film und Erholungsbedürfnis des modernen Menschen hervorhob. Wie wir sahen, steht auch die Autorität des heiligen Thomas dafür ein. Freilich, daraus ergeben sich für den Christen, der das Heute bewältigen will, eine Reihe von verantwortungsschweren Imperativen:

Die Welt ohne Spielräume hat eine maßlose Spiel wut ausgelöst. Niemand darf übersehen, daß der Strom in die Kinos eine leidenschaftliche Flucht aus dieser immer weniger befriedigenden Welt darstellt. Man lebt nur mehr in einer unwirklichen Welt, in einer Welt der Illusion. Und dieses Leben von der Leinwand her führt zu einem Taumelzustand; der überhäufige, wahllose Kinobesuch erzeugt Reaktionsunfähigkeit und fördert den oberflächlichen Massentvp.

Auch heute und gerade heute gilt das Wort der Bcnediktinerregel: Nie zuviel!

Bedenken wir weiter: Die Welt der Leinwandillusion ist selten die „andere“ Welt, so wie sie wirklich ist. Es sind unwahre, falsche Illusionen, die den hungrigen Menschen nur vorgegaukelt werden. Der Neoverismo hat noch lange nicht die wahre Ganzheit des menschlichen Daseins gezeigt. Das wahre Trauerspiel ist die Sünde im Paradies, die Sünde immer wieder, die Sünde des Gottesmordes am Kreuz, die Sünde des Unglaubens und Verfolgung der Kirche Gottes. Das wahre Lustspiel ist, wird der Himmel sein. Fra An-gelico kannte noch diese Vorstellung, als er die Heiligen paarweise vor dem Lamme Reigen tanzen ließ.

Es gibt wahre und falsche Illusionen. Im Film, wie er heute tatsächlich die Welt bestimmt, überwiegen beiweitem die falschen. So gilt als zweiter Imperativ für uns Christen: Nicht nur — meidet die furchtbare Verspieltheit unserer Generation, sondern lernt endlich zu unterscheiden! Discretio — mater omnium virtutum („Die Unterscheidung — die Mutter aller Tugenden“) schrieb Benedikt; und Ignatius sieht in der Unterscheidung der Geister ein Hauptziel seiner geistlichen Uebungen. Das heißt praktisch: Christen, laßt euch belehren!

Die Filmkritik weiß um die Gewalt dieser neuen Sprache der Menschheit, die Bildersprache der „Einen-Welt“, und sagt euch, was gut und was weniger gut und was schlecht ist.

Und lernen wir selbst kritisieren. Durchaus nicht bloß von dem Standpunkt des Moralisten und Konfessionsgläubigen. Lernen wir erkennen, was menschlich unwahr ist und künstlerisch unecht.

Das religiös Gültige und sittlich Edle muß menschlich wahr auftreten und soll, ja muß gerade, weil es das Höchste zeigt, währe Schönheit ausstrahlen. Hier liegt eine-ungeheure Verantwortung der Filmkritikundderjournalistik. Es mehren sich diejenigen, die zuerst in Zeitung oder Anschlagbrett lesen, was über einen Film dort geschrieben ist. Und das entscheidet mit, über Erfolg und Mißerfolg eines Films. Von daher aber kann wirklich eine Acnde-rung in den Gehalt unserer Filme kommen. Bedenken wir: Was Hermann Bahr vom Theater vor 50 Jahren sagte, das gilt heute vom Film ganz genau so:

„Wer jede Woche zwei-, dreimal ins Theater (lies Kino!) gehen muß, um das Neueste zu sehen, wird wohl mitunter wütend und sagt einem Direktor: Warum gebt ihr immer j nur die dümmsten, Stücke?... Die Besserung der Theater (lies wiederum Kinos!) wird aber niemals von den Direktoren, auch nicht von Autoren (lies: von der Produktion und den Drehbuchschreibern!) ausgehen, die einfach nur liefern, was das Publikum wünscht, sondern könnte nur durch das Publikum geschehen... Nicht die Direktoren, nicht die Autoren bestimmen das Theater, sondern der öffentliche Geschmack der Zeit. Und diesen gilt es zu bilden, soll man aus dem Zirkus, der •'das Theater heute ist, eine künstlerische Anstalt machen.“ ■ •

Niemand lebt privat, am allerwenigsten gibt es „private Christen“. Seitdemes s o 1 c h e g i b t, ist d ie „ö f f e n 11 i c h e Meinung“ nicht mehr christlich. Seitdem sich auch Christen alles ansehen, weil „man es sich eben angesehen haben muß“. Aber die Beziehung: Film und öffentliche Meinung läßt sich umkehren. Die öffentliche Meinung kann auch auf den Film wirken. Wenn Paulus heute leben würde, wäre er nicht Journalist, auch nicht Produzent oder Drehbuchautor, aber er hätte sich an die Produzenten, an die Autoren, an die Schauspieler, an die Kameramänner usw. herangemacht, durchaus nicht nur mit allen Abzeichen seiner apostolischen Würde, und hätte mit seiner ganzen Menschlichkeit versucht, sie zu bewegen, daß ihre Streifen etwas von, Christus direkt oder indirekt zeigen, daß ihr Tonband etwas von Seinen Worten, indirekt oder direkt, hören läßt.

Er hätte wahrscheinlich kleine Kreise gebildet. Diese Eliten, sagt Clemens Münster in seinem Buch: „Menge, Masse und Kollektive“, machen die öffentliche Meinung. Christen, sprecht mit anderen, nicht nur mit anderen Christen über die Filme, die ihr gesehen habt. Befragt die anderen, warum ihnen der „Camillo und Peppone“ so gefiel, was sie an „Endstation Sehnsucht“ so erschüttert hat, ob die Ingrid Bergmann wirklich eine Heilige spielen konnte und dergleichen.

Was eint heute alle Menschen, welcher Partei und welcher Klasse sie angehören? Der Sport und der Film. Ia dieser neuen Sprache, die bald Unterhaltungs- und Belehrungsbücher ersetzen wird, in dieser neuen Sprache der kommenden One World, Einen-Welt, müssen wir Christen den Namen Gottes und dessen, den Er gesandt hat, hineinreden. Noch ist es Zeit, dieser Verantwortung der 7ukunft der Christenheit gerecht zu werden!

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