6838442-1975_28_16.jpg
Digital In Arbeit

Die Monstren des Vicino Orsini

Werbung
Werbung
Werbung

Einer der freundlichsten unter den freundlichen Bomarzesen ist der schöne Collie „Gaston“, ganz Würde und weißgoldnes Vlies, vor einem Laden der Hauptstraße. In der feieinen Bergstadt am Schnittpunkt von Latium, Uimibrien und der Toskana herrscht noch jene geruhsame Atmosphäre einfachen südländischen Daseins, wie man sie aus den mit Genre angereicherten italienischen Filmen der Fünfziger jähre kennt.

Hier gibt es kein Albergo, geschweige denn ein Hotel, aber billiges Privatquartier ist leicht zu erfragen, sobald man sich in den bo-marzesischen Dialekt etwas eingehört hat. Prompt übergibt die füllige Signorina Rosetta den Fremden die Schlüssel ihres Hauses, ohne nach dem Woher, Namen oder Pässen zu fragen,. Gegenseitiges Vertrauen ist Selbstverständlichkeit in dieser Gemeinde, die schon auf der Zufahrtsstraße durch ein Transparent verkündet, jeder Neuankömmling sei dem Schutz des Stadtpatrons San Anselmo empfohlen.

Zwischen gekalkten Wänden ein bequemes altes Bett im Anna Mag-nani-Stil, mit Perlmutterverzierungen, und vom Kammerfenster am frühen sonnigen Morgen der Ausblick auf die Berge des heiligen Franziskus hinter den Talnebeln — was will man mehr? Das Herz des Gastwirts von nebenan ist rasch gewonnen, lobt man den wirklich guten Weißwein, den er selber auf den Hängen fechst. Nur ganz wenige Besucher kommen nach Bomarzo, doch die erbringen keine Nächti-gungsziffern für die lokale Touristik, da sie normalerweise bloß einen kurzen Abstecher aus dem nahen Viterbo oder aus Orvieto machen.

Felspartien treten an manchen Stellen fast so beherrschend über den Häuserzeilen ins Bild wie die Mönchsbergwand in Salzburg, in steilen wuchtigen Schollen, da und dort gehöhlt. Es ist vulkanisches Gestein, „peperino“ genannt, porös, leicht zu bearbeiten. Der Stoff, aus dem ein geheimnisvoller Renaissancemensch seine Träume und Visionen in einer rätselhaften Schöpfung Gestalt werden ließ: Vicino Orsini, Herzog von Bomarzo. Sein Palazzo ragt gleich dem gewaltigen Heckaufbau historischer Segler am Ende der Stadt auf, mit ihr durch die Kirche und ein Geschiebe angefügter Trakte als eine Art von mediterranem Hradschin verwachsen.

Dieses Gebiet ist archaischer Boden der Etrusker. „Bomarzo war übersättigt von ihrer faszinierenden Magie. Als Jüngling, wenn ich in den Mondnächten ausritt, um durch den hügeligen Besitz zu streifen, spürta ich in der Dunkelheit der Pfade Formen brodeln, die vielleicht aus den Höhlen hervorquollen, wie Ausdünstungen, wie verzauberte Dämpfe: Furien vielleicht, oder Gor-gonen, Harpyien oder Unholde, Trolle, die uralt geboren wurden, Satyre, Nymphen, Titanen keuchten und schnaubten in der Dunkelheit.“ So schreibt der argentinische Autor Manuel Muijica-iLainez in seinem vor wenigen Jahren erschienen umfangreichen Roman „BomaTzo“, in dem er sich mit Orsini identifiziert und zumindest eine dichterische Deutung der Mysterien versucht, die mit dem Namen dieses Nobile und seinea Herrschaftsbereiches verknüpft sind.

Denn unten in der Niederung bei der Stadt, am Rand eines dantesken Olivenhains, schuf der Herzog jenen „Park der Monstren“, den erst wieder eine Zeit, die nicht nach dem klassischen Kanon maß, für die Kunstgeschichte entdeckte. Salvador Dali pries ihn begeistert, Ernst Fuchs durchwanderte ihn als einen neuerlich gefundenen Heimatbezirk seiner inneren Gesichte. Dieser Garten ist ein einziges großes Denkmal eines kryptischen „verschollenen Stils“, ein abstruses Arkadien in Stein gebannter labyrinthischer Gedankengänge, literarischer Gleichnisse und verschlüsselter Botschaften an den Betrachter.

Es sind „imeraiviglie“, Wunder, in die man eintritt. Aus den natürlichen Formationen des „peperino“ wurden die meisten dieser Giganten, Urmüt-ter, Riesenmasken und Fabelwesen ausgehauen, als ein Heiliger Wald der Läuterungen, den Torquato Tasso in seinem Versepos „Das befreite Jerusalem“ heraufbeschwört. Manche Anregungen und Ideen mögen auch aus Lodovico Ariostos „Rasendem Roland“ stammen, bei dem Verwandlungen, phantastische Kämpfe, Chimären und Mythologien das Geschehen durchziehen.

Als Kontrast zu der Magie, die unter den Bäumen wartet, erscheint der erste Blickpunkt des Parkes, ein kleiner kuppelbekrönter Tempel, Beispiel ausgewogenen Maßes an der Grenze des Maßlosen, adeliger Duktus im Spannungsfeld zum Hieratisch-Kolossalen der Skulpturen. Einer Überlieferung nach soll dieser Bau dem Gedenken an Vicino Orsi-nis früh verstorbene Gemahlin Giu-lia Famese gewidmet sein. Aber gleichsam aus dem tragenden Urgrund emporgehoben, säumt ein etruskisches Ornament den Sockel.

Leitmotivisch trifft man immer wieder auf den Bären als Schildhalter des Orsini-Wappens. Rätselvolle Sinnsprüche, auf Steinvasen und Tafeln eingraviert, kommentieren die manieristischen Mirakel einer von Verzerrungen besessenen Seele. Welchem geistigen Programm folgen diese der Landschaft abgerungenen Male, welche Symbolik liegt in ihnen beschlossen? Ein ruhendes Riesenweib mit einer Blumenschale auf dem Haupt, der dreiköpfige Höllenhund, die Harpyie, deren geschuppte Beine aus der Erde hervorwachsen. Allegorien des „schönen Grauens“, Monumente des Sexus? Soll man als Widerpart des übermächtig dämonischen weiblichen Elements in der Reihe gemeißelter Pinienzapfen phallische Zeichen sehen, oder rein dekorative Requisiten der Gartenkunst?

Dringt der Besucher auf den gewundenen Wegen über die Geländestufen weiter ins Unbekannte vor, dann stößt er auf mehrfache Abwandlungen des Kampfmotivs, so bei einem turmtragenden Elefanten, der mit dem Rüssel einen römischen Legionär umschlingt — bewunderte der Herzog Hannibals Karthager? Dicht daneben wehrt sich ein Drache aus dem Geschlecht der gotischen Wasserspeier gegen zwei Hetzrüden, die ihn gestellt haben. Und der Hang dahinter wurde zu einer gewaltigen Fratze, deren aufgerissenes Maul als Tor in ein halbdunkles Gelaß führt.

Das Ringen zweier Giganten wird mit aller urtümlicher Brutalität und dabei einer seltsam ruhigen, unerschütterlich endgültigen Selbstbehauptung des Stärkeren ausgetragen. Doch dann bietet die Idyllik eines „Nymphäums“ versiegter Brunnen kurze Rast, aus der die Neugierde bald wieder weitertreibt, zum „schiefen Haus“, einem turmartigen Gebäude, von. der Böschung weg ins Freie geneigt, zu keinem anderen Zweck errichtet, als um auf dem abschüssigen Boden des leeren Raumes die Balance des Eintretenden zu erproben. Eine „Folly“ des Manierismus, die das Staunen des Gastes erregen will, die Überraschung und

Betrachtung „con ciglie inarcate“ — mit gehobenen Augenbrauen — erstrebt, wie es auf einer der Inschriften heißt.

Moos überzieht den verwitterten Stein, das Fragmentarische mancher der Bildwerke wird nachträglich zum die Wirkung steigernden Kunstmittel. Noch vor Jahrzehnten beherrschten diese Plastiken die umgebende Natur, sie waren von der Stadt aus sichtbar, als eine reale Fata Morga-na. Bomarzo lebte mit seinen Monstren. Jetzt sind sie zwischen Gestrüpp und unter Baumkronen eingesponnen, ähnlich wie die versunkenen Denkmalstädte in den Dschungeln Indochinas. Eine Parallele, die auch die kunsthistorische Forschung betont. Gustav Rene Hocke spricht in seinem berühmten Buch über den Manierismus, „Die

Welt als Labyrinth“, die Vermutung aus, der Park der Ungeheuer könnte die Anregungen zu seinem Entstehen aus zeitgenössischen Reiseberichten über Entdeckungsfahrten in Indien empfangen haben, verbunden mit den während der Renaissance auflebenden Gigantomachien der Antike.

Ebenso wie Deutungsversuche eines Konzeptes, verlieren sich auch die Spekulationen über den eigentlichen Schöpfer der Skulpturen im Ungewissen. Man glaubte darin die Hand des Michelangelo-Schützlings Bartolomeo Ammanati zu erkennen, von dem der Neptunbrunnen auf der Piazza della Signoria in Florenz stammt. Die rohen Formen der Figuren lassen aber weit eher darauf schließen, daß Orsini die Felsen von Steinmetzen oder sogar Bauern der Gegend nach seinen Angaben aushauen ließ, ohne die Mitwirkung eines Meisters der Hochkunst. Jedenfalls steht dieser „Heilige Wald“ abseits der Entwicklung des späten italienischen Rinascimento als erratisch eingesprengtes Zeugnis des verschollenen Stils. Der Herzog hatte recht, wenn er von seinem Park sagte, dieser gleiche „nur sich selber und keinem anderen“.

Es wird erzählt, Vicino Orsini sei bucklig gewesen und habe sich, unter seinem Gebrechen psychisch schwer leidend, in dieses Lebenswerk voller Kraßheiten geflüchtet, habe mit den Abbildern machtvoller Körperlichkeit und lauernder Bedrohungen das peinigende Bewußtsein des eigenen Mißwuchses zu kompensieren versucht. Eines der sonderbarsten Male, die Frauengestalt auf dem Rücken einer riesigen Schildkröte, wurde als Symbol seiner Sehnsucht nach innerer Befreiung durch die Hinwendung zur reinen Schönheit interpretiert, als plastische Matapher seines Dranges, sich aus Qualen in höhere Regionen zu erheben. „Forse che si, forse che no“, um mit D'Annunzio zu sprechen: vielleicht, vielleicht auch nicht.

Das Rätsel von Bomarzo wird kaum zu lösen sein. Und das ist gut so. Viel wäre verloren, würde dieser Garten der Mysterien aus seiner Einmaligkeit ins Vordergründige eines Kuriosums gerückt, zur rasch durchschaubaren Attraktion platten Sightseeing-Konsums und „komischen“ Kulisse für Urlaubsschnappschüsse banalisiert. Vorläufig ist er zum Glück noch fast ein Geheimtip, selbst den meisten nur rund hundert Kilometer entfernt wohnenden Römern unbekannt.

Manuel Mujica-Lainez fand wohl die annähernd richtige Formel, wenn er Orsini über dessen Motive sagen läßt: „Mir war, als ob diese Erde den allegorischen Ausdruck ihres Geheimnisses von mir forderte.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung