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VERNISSAGE MIT POLIZEIAUFGEBOT

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Die Vernissage der 34. Internationalen Kunstbiennale in Venedig verlief trotz der Bedrohung durch revoltierende Kunststudenten und Maler dank eines erheblichen Aufgebotes an Polizei und Militär ungestört. Allerdings mußten eine vielversprechende Sonderschau „Suchende Wege vom Informalen zu den neuen Strukturen" und eine Sonderschau des Futurismus abgesagt werden, da sich eine genügende Sicherung dieser besonders wertvollen Stücke kaum durchführen läßt. Zahlreiche von den 68 Räumen des zentralen Pavillons, in dem vor allem die Italiener ausstellen, waren in diesen Tagen noch leer. Der Raum Kowalski Im französischen Pavillon blieb verschlossen, in die Räume Schäffer und Devasne, ebenda, konnte man .einigermaßen über Popiersperren hinweg hineinsehen, die Schweden eröffneten nicht „unter den gegenwärtigen Bedingungen . Der russische Pavillon war, wie auch in früheren Jahren, noch versperrt.

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Die Vernissage der 34. Internationalen Kunstbiennale in Venedig verlief trotz der Bedrohung durch revoltierende Kunststudenten und Maler dank eines erheblichen Aufgebotes an Polizei und Militär ungestört. Allerdings mußten eine vielversprechende Sonderschau „Suchende Wege vom Informalen zu den neuen Strukturen" und eine Sonderschau des Futurismus abgesagt werden, da sich eine genügende Sicherung dieser besonders wertvollen Stücke kaum durchführen läßt. Zahlreiche von den 68 Räumen des zentralen Pavillons, in dem vor allem die Italiener ausstellen, waren in diesen Tagen noch leer. Der Raum Kowalski Im französischen Pavillon blieb verschlossen, in die Räume Schäffer und Devasne, ebenda, konnte man .einigermaßen über Popiersperren hinweg hineinsehen, die Schweden eröffneten nicht „unter den gegenwärtigen Bedingungen . Der russische Pavillon war, wie auch in früheren Jahren, noch versperrt.

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Was von 34 ausstellenden Ländern — gesetzt Schweden eröffnet später — an etwa 2100 Werken in 26 Pavillons geboten wird, hat vor allem die Aufgabe, neue Entwicklungstendenzen in den Bildkünsten sichtbar zu machen und damit eine Standortbestimmung unserer derzeitigen geistigen Situation zu versuchen. Darauf richtet sich die Aufmerksamkeit besonders. Doch sind stets auch Werke von lebenden Malern und Bildhauern zu sehen, die zur entscheidenden Ausprägung ihres Schaffens in früheren Jahren gelangten.

Von dem Belgier Paul Delvauxsieht man seine vorwiegend nächtlichen Stadtbilder mit nackten Frauen und angezogenen Männern, die alle wie lebende Marionetten wirken. Vertrautes wird ins Unvertraute gerückt. Die Fieberphantasien des deutschen Surrealisten Richard Oelze mit verquollenen Gestalten in brüchigen Felslandschaften erreichen nicht die Intensität verwandter Arbeiten von Max Ernst. Neue Akzente setzen die Deutschen überhaupt nicht. Die teigig-plumpe Form eines sitzenden männlichen Torsos von Gustav Seitz hat gewaltige Ausdruckskraft. Stark beeindruckt der Deutsche Horst Janssen mit hauchartig geschummerten Zeichnungen, die, pervers aber nicht obszön wirkend, schwellende Körperteile mit gespenstigen Augen und embryonalen Mündern darstellen.

Der in New York lebende Schweizer Fritz Glarner, ein Freund Mondrians, von dessen Philosophie er beeindruckt wurde, zeigt seine „Relational Paintings“, Gefüge von lotrechten und waagrechten Streifen in Weiß und hellem Grau, aus denen sich andere in Blau, Gelb, Rot festlich herausheben. Die Schweiz ist weiter durch Hans Aeschbacher vertreten, der stereometrische Kleinplastiken von klarem Formaufbau und einige seiner schmalhohen, scharfkantigen Stelzen vorführt. Voller Gegensatz: Die Bronzeplastiken „Konstruktionen der Wüste“ des Griechen Achille Apergis, in denen Gebilde gotischer Phantasie zu verwittern scheinen.

Vor dem amerikanischen Pavillon stehen mannshohe, schwarze Bronzeskulpturen mit rauhen Oberflächenstrukturen von Reuben Nakian, die entgegen ihren Bezeichnungen — „Venus“, „Olympia“ — als ungefügige Verkörperungen roher Gewalt wirken. Der Gesamteindruck der Amerikaner enttäuscht, vor allem dadurch, daß sie eine Reihe von Malern darbieten, deren Bilder aussehen als seien sie in der Sezessionszeit entstanden. Doch die wächsern lebensgroßen Figurenplastiken von Frank Gallo beanspruchen Aufmerksamkeit durch einen eigentümlich verfremdeten Naturalismus. Belustigend wirkt die Grottenbahnphantasie, mit der Red Grooms die „Stadt Chicago“ in großen, scharffarbigen Modellen grotesk verzerrt darstellt, wobei sich manches wie in einem mechanischen, Theater bewegt. Das von den Amerikanern Gebotene erhält damit aber lediglich einen Annex.

Starken Eindruck hinterlassen auch Bilder des Mexikaners Rufino Tamayo:Vorwiegend rote Farbflächen, die wie Verschneidungen diffuser Lichterscheinungen wirken, scheinen aus sich selbst geometrisiert Figürliches und Primitivgestalten zu kristallisieren, wobei doch alles Ahnung bleibt. Der Spanier Rinaldo Paluzzi führt auf seinen Bildern Wege mit silbrigen Quadratmustern ins Geheimnisvolle, das sich etwa abstrakt manifestiert. Zypern hat wohl seine jahrtausendealten Gräber geöffnet, Gerippe füllen die Welt von Yorko Skotinos, der Mensch aber stürzt von der Sonne her in diesen makabren Bereich. Temperabilder des Ägypters Rifaat Ahmed gemahnen in diffuser Farbgebung vage an das Ahnenerbe. Die großen Rollbilder des Griechen Constantin Grammatopoulos — es sind Farbholzschnitte — ergeben den Eindruck, als würden sich da Visionen der alten Hellenen ineinanderschieben.

Größenausmaße können den Gehalt der Bildwerke erheblich verändern. Die einfarbigen Kunststoffkörper in einfachen, scharfkantig stereometrischen Formen des Engländers Phillip King erreichen den Ausdruck vehementer, präziser Unbedingtheit durch ihr Ausmaß: Sie sind mannshoch. Die Oststaaten ordnen sich — mit Ausnahme der Sowjetunion, gemäß Katalogblatt — der Entwicklung des Westens ein. Der Tscheche Vladimir Preclik baut aus Holz klobig urtümliche Säulengebilde. Der Jugoslawe Miroslav Sutej errichtet aus einer Unzahl farbiger Holzkugeln Skulpturen, die an Atommodelle gemahnen. Von dem Italiener Pino Pascal sieht man einen haarigen Pilz von Tischgröße, der mit einem hellgrauen Kunststoffpelz bezogen ist. Ein anderer Italiener, Leoncillo, zeigt informelle Terrakotten, die sich wie ein Ineinander von Erdklumpen am Boden ausbreiten. Bei beiden geht es nur noch um Formausprägungen an sich.

Einen Vorstoß unternimmt der Österreicher Roland Göschl, bei dem Plastik zu farbiger Architektur wird. In seiner übermannshohen „Sackgasse“ — sie war bereits auf der Grazer „Trigon“-Ausstellung zu sehen — verengt und verjüngt sich das Zueinander quaderiger Skulpturteile. Er bezieht auch durch Farbwege, die von seinen kubisch sich aufbauenden Plastiken ausgehen, - die Umgebung ein. Der Japaner Jiro Takamatsu bietet plastisch und plan ein Raumerlebnis, indem er auf Postamenten sich verjüngende Bänke aufbaut und darüber auf eigene Wandteile ein Stück Umwelt und den Himmel mit weißen Wolken malt. Dies bleibt wohl nur Ausstellungserlebnis.

Eine Kammer, ein „Spiegelkabinett“, baut der Belgier Luc Peire als „Environnement“ auf. Die Wände zeigen innen lotrechte schwarze Streifen wechselnder Dichte, Boden und Decke bestehen aus Spiegeln. Wer den Raum betritt, schwebt haltlos in einem Schacht zwischen dem Unendlichen oben und unten. Er kąnn einen Halt nur noch in sich selbst finden.

Op-Art und Kinetik sind bezeichnenderweise keineswegs zahlreich vertreten. Der Italiener Gianni Colombo, der seinerzeit der Mailänder Gruppe T beitrat, läßt im Dunklen intermittierend Kreise, Quadrate aufleuchten, doch entsprechen die sich gleich wiederholenden Sekundenblitze nicht ganz dem Ziel dieser Gruppe, Realität als ständiges Werden von Phänomenen aufzufassen. Der Peruaner Juan Manuel de la Colina malt schattenhafte Figuren auf Glasplatten, die durch bewegte Lichtquellen ihre Schatten an die Wand werfen. Transparente, stereometrische Körper des Japaners Katsuhiro Yamaguchi leuchten in verschiedenfarbigem Licht. Der in Ungarn geborene Nicolas Schäffer faßt die Plastik als „luftig, durchsichtiges und nach allen Seiten offenes Kunstwerk“ auf. Über Packpapier in der Türöffnung hinweg sah man von ihm im französischen Pavillon eine hohe Maschinerie mit vielen sich bewegenden, Lichtreflexe werfenden Metallflächen.

Die unfigurative Malerei hat nach wie vor Bedeutung, doch werden da kaum neue Bereiche erschlossen. Der Japaner Kurni Sugai, der sich als Plakatmaler betätigte, zeigt hier wandhohe scharffarbige Geometrie von disziplinierter Kraft. Ihm verwandt erweist sich der Franzose Jean Devasne, der, etwas reicher in der Form, die Farbflächen gleichfalls hart nebeneinander setzt. Nicht geometrisierte Farbbereiche fügt der Spanier Luis Feit zu ebenso umfangreichen, ruhig-kraftvollen Bildern. Dichte wellige oder geradlinige Stricklagen, auch Kreismuster nehmen bei der Engländerin Bridget Riley fast Wandhöhe ein, es ergibt sich eine nobel dekorative Wirkung aus dem Seriellen. Österreich präsentiert außer Göschl noch Farbemanationen von Josef Mikl, doch erfolgt dies um Jahre zu spät. Eklektisch wirken die Bilder des Italieners Mario Deluigi, der auf die Farbfläche ein dichtes Netz weißer Kratzer setzt. Dagegen beeindrucken farbige, schlitzartige Streifen auf hellen Flächen des Italieners Arturo Bonfanti.

Im Figurativen werden vielfältige Versuche unternommen, die Ausdrucksbereiche zu erweitern. Stärkste Aufmerksamkeit erregt die Venezolanerin Marisol, die mit ihren stelenartigen Skulpturen, die sitzende Gestalten darstellen, plastisch Geformtes, scharfkantig Kubisches, Gemaltes, Photographiertes vereint, mitunter auch wirkliche Kleider einsetzt und damit eine Synthese verschiedener Formmanifestationen vom alten Ägypten bis heute erreicht. Der Japaner Tomo Miki ist von der Form des menschlichen Ohres fasziniert, er zeigt in Bruchstücken ein mannshohes Riesenohr aus verchromten Polyester, er fügt auf mehreren Blöcken je mindestens drei Dutzend ebensolcher kleiner Ohren zu Reihen. Der Hunger nach Realität kennzeichnet weitgehend das heutige bildnerische Streben. Er wendet sich bei dem Franzosen Armanzerstörten Gegenständen zu: Teile eines zertrümmerten Klaviers werden reliefartig angeordnet, • eine Violine, die zu zerfließen scheint, ist in einem glasklaren Polyesterquader eingebaut, an lotrechter Fläche sind Reihen halbausgedrückter Tuben angebracht, aus denen die Farbe herausquillt.

Zweidimensionales verbindet der Spanier Rafael Canogar mit Dreidimensionalem, indem er aus seinen Bildern die Beine schwarzer Silhouettengestalten plastisch heraustreten läßt. Auch im Nur-Zweidimensionalen wird experimentiert. Teile bekleideter Frauengestalten in Rot, Blau, Grün verschneidet der Belgier Pol Mara mit geometrisierten Flächen. Der Italiener Gianfranco Ferroni bildet ein Unisono aus Köpfen, Geräten, Maschinenteilen und geometrischen Flächen. Ansichten von Räumen in der Farbe von Photonegativen ordnet der Spanier Anzo nur wenig abgewandelt nebeneinander an: Einfluß des Filmstreifens. Einen Waschraum, einen Garderobekasten stellt der Italiener Valerio Adami schwarzlinig umgrenzt in scharffarbigen Flächen dar. Ein anderer Italiener, Gianni ßertiji,ir vergrößert.phatographįeĘta. F'iguren Unmittelbar auf die Leinwand und verfremdet sie etwa durch das Aufsetzen von Buchstaben. In einem Bild des Jugoslawen Ivan Tabakovic wird ein adeliger Kopf den Silhouetten heutiger Köpfe entgegengesetzt. Kritik am heutigen Menschen…

Generell beurteilt läßt sich eine erstaunliche Fülle von Einfällen feststellen, die sich besonders im Neoflgura- tiven zeigt. Doch bleiben diese Einfälle fast stets Einzelfälle, die nicht richtungsweisend wirken. Manches ist nur als belustigender, überraschender Gag zu bezeichnen, der allzuleicht verpufft, anderes bietet zwar als Ausstellungsobjekt eine beachtliche Manifestation, könnte aber selbst in einem Museum kaum untergebracht werden. Doch bot die Vernissage auch dieser Kunstbiennale in Venedig trotz einiger Ausfälle einen instruktiven Überblick über neuestes Kunstschaffen.

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