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Kolosse gegen die Kulisse

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Das riesige historische Areal von Jo- sefsplatz, Burghof, Schweizerhof und Michaelerplatz, das architektonische Trakte aus vier Jahrhunderten trägt, wurde zum Schauplatz einer über sechzig Monumentalplastiken aus Stein und Metall umfassenden Ausstellung, die den Menschen, „Anthropos“, zu ihrem zentralen Thema hat.

Es wird auch in Wien immer mehr zur Zeiterscheinung, daß unter falsch verstandenem Humanisierungsstreben der Städte urbane Kerne zum Platz für Spektakel und Kultur-Wanderzirkusse benützt werden. Nicht der Wille zur Neubeseelung des Lebensraumes Altstadt soll kritisiert werden, sondern das Wie.

Es ist gerade der Ort der Aufstellung, der höchste Rücksichten erfordert: Die Unmöglichkeit der Schaffung eines gewachsenen ästhetischen Ensembles - etwa im Sinne barocker römischer Platzgestaltung - zwingt von vornherein zur kontrapostischen Aufstellung der Skulpturen, zum bewußten Gegeneinander von Skulptur und Architektur, dem aber die Chance größter Spannungserzeugung gegeben wäre.

Viel leichter konnten sich da im Vorjahr die 150 Skulpturen unter freiem Himmel im Wenkenpark des Baseler Vororts Riehen im weiten grünen Landschaftsgarten behaupten, der mit der Kunst ein sinnliches Wechselspiel bestritt und ihr gleichzeitig ruhigen Hintergrund bot,

Die Forderung eines Mindestmaßes der Artefakte von zwei Metern wird als unbedingt notwendig angesehen, wenngleich auch hier die künstlerische Qualität eines Werkes seine Größe und Aussagekraft bestimmt.

Der weitausladende Josefsplatz mit seiner geometrischen Flächenmusterung, der räumlichen Dominanz des klassizistischen Reiterstandbildes Josefs II. von Franz Anton Zauner und der strengen Architektur der Nationalbibliothek wurde mit einem zufälligen Streumuster pubertärer Tänzerinnen, steinerner Fleischberge, monströser Liebespaare, Ringer und Hinrichtungsgruppen bevölkert.

Wird die Aussage der Skulpturen häufig durch Brutalität bestimmt, so fehlt aber zwischen Exponaten und umgebender Architektur jedes künstlerische Streitgespräch, der konstruktive Kampf; es ist vollkommene Beziehungslosigkeit, was das Nebeneinander dieser Raumkörper ausmacht.

Das Ausstellungskomitee, die Herren Georg Eisler, Alfred Hrdlicka, Die ter Ronte und Harald Sterk rechtfertigen - a priori heftige Kritik und Ablehnung erwartend - ihr Tun, das sicherlich auch ein kulturpolitisches ist, in erklärenden, um Verständnis bittenden Aufsätzen eines eher mager ausgefallenen Ausstellungskataloges.

Dieter Ronte begegnet einer unbegründeten Angst vor zu großer Ehrfurcht des Kunst-Publikums vor den Ariefakten mit der Aufforderung zur „kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Position“, die die Skulpturen von heute erforderten.

Er meint: „Falsch wäre es, den ausgestellten Kunstwerken mit hoheitsvoller Demut zu begegnen.“ - Ob man die Plätze mit den aufgestellten Plastiken wohl deshalb bei Tag und Nacht bewachen läßt, weil man ein Zuviel der Anbetung durch die Passanten erwarten muß?! Die Ausstellung sei inmitten von Wien jedenfalls richtig plaziert.

Da Selbstkritik und geistige Positionsbestimmung, um den abgenützten modischen Begriff der „Infragestellung der eigenen Person“ zu vermeiden, aber ein Gebot jeder Stunde und jeden Ortes sind, kann diese Begründung der Platzauswahl für die Ausstellung nicht als ausreichend empfunden werden.

Alfred Hrdlicka, der selbst zwei Monumentalwerke präsentiert, schreibt in sympathisch-launiger Weise, daß es nicht Sache der Veranstalter sei, „wie Wien mit dieser sich radikal auf das Bildnerische beziehenden Ausstellung zurechtkomme“.

Ganz so leicht dürfen sie es sich aber auch nicht machen: es ist ja die Art der Präsentation der Kunstwerke, die von den Veranstaltern bestimmt wurde und die den Zugang zum Werk ausmacht.

Das unwissende Publikum darf nicht länger in die Wüste geschickt werden, um jeden Preis erzeugte Aggressionen, auch wenn man sie Denkanstöße nennt, sind nicht als immer gültiges Positivum unserer Zeit zu werten.

Ist es bei einzelnen Skulpturen ihre erschreckende Gigantomanie, die wider das gestellte Prinzip des Menschen als Maß aller Dinge spricht, so ist es bei anderen wiederum das verspielt erzählerische, narrative Moment, das bereits im Historismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als dieser Kunstgattung nicht adäquat und ihre Bedeutungslosigkeit ausmachend erkannt wurde und das nun vor allem Hrdlickas UNIDO-Relief „Kain und Abel - Robespierre - homo erectus“ und des

Deutschen Hans Daniel Sailer „Protokoll einer Genesung“ prägt, formzertrümmernd und auf den Beschauer verwirrend wirkt.

Die der Malerei vorbehaltene Bilderzählung, wohl aus Mangel an Kraft der klaren Form, wird hier neben allen möglichen historischen Zitaten wie etwa der Figura infinita des Michelangelo und später des Auguste Rodin wie auch des österreichischen Gustinus Ambrosi benützt.

Letzterer scheint überhaupt späte Schule gemacht zu haben. Schrecklich sind diese aufgestellten Muskelprotze, mögen sie nun von dem einen oder dem anderen des vielzitierten Antipodenpaares der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, Rodin/Maillol, herkommen, mögen sie Ideologisches, Politisches oder Individuelles aussagen.

Die Kunstwerke stammen aus den letzten 30 Jahren und von Künstlern europäischer Länder, zum Teil auch solcher, denen sozialistischer Realismus verordnet ist. Sie wirken seltsam überkommen, nicht mehr zeitgemäß, aber natürlich finden sich auch hier Ausnahmen: so schreit aus Rudolf Hoflehners maschinenhaft abstrahierten „Schreiten“ mehr Kreatürliches als aus all den monströsen, gepeinigten, doch oft seelenlosen Leibern.

Von erstaunlich berührender Aussagekraft ist des in Polen geborenen, doch in Berlin lebenden Waldemar Otto „Mann im November“. Die Bronze trägt formal wie inhaltlich Züge großer Verinnerlichung des Dargestellten wie des Darstellenden.

Die Kunstwanderung führt nun durch kleine Höfe und Hallen, die alle der Wirkung der Skulpturen wesentlich besser tun, wenngleich auch hier Banalitäten wie Andre Bareliers „Telefon- - zelle" nicht der Harmonie der Architektur standhalten oder gnädig von ihr aufgefangen werden können.

Bei allen Beispielen stört die Wucht und die Materialfremdheit der Sockel aus Eisenbahnschwellen, die geeignet wären, eine eigene kolossale Ästhetik zu entwickeln. Die Postierung der plastischen Arbeiten im Burghof ist eindeutig auf eine Schauseite hin komponiert, läßt aber das Umschreiten der Exponate zu, was naturgemäß einem Relief, hier einem Hauptwerk Fritz Wotrubas aus dem Jahr 1958, schlecht bekommt.

Des Wieners Herbert Traub erzählende figurale Komposition Tod des Rudi Dutschke“ ist bar des formalen Zusammenhanges. „Der Ermordete“ von Floriano Bodini vermag da schon mehr zu berühren. Anderes versucht sich an Gigantomanie gegenseitig zu übertrumpfen, kommt aber gegen den weiten Platz und die Architektur mit Denkmal nicht auf.

Vor dem Michaelertor findet nun ein Festival österreichischer Bildhauer statt. Hrdlickas geschundener „Mar- syas“, Rudi Wachs rollende „Sphinx“, Joannis Avramidis kühl glatte, sich unendlich wiederholende „Säule“ und des Belgiers Eugene Dodeigne steinernes Doppelmonument, „Pot de Fer“, wohl die riesenhafteste gezeigte Leerformel, behaupten sich sehr gut vor dem Torbau, können jedoch nicht bis hin zum Kohlmarkt ausstrahlen.

Die folgenden drei Monate (bis 31. August) werden zeigen, ob das Publikum den ersten Schock überwindet und die Skulpturen in sein Alltagsleben in der Innenstadt integrieren kann, oder ob es, nach den Worten Ursula Islers im Katalog, weiterhin Patient bleibt, der sich an Fremdkörpern verletzt, wenn es sich keine eigenen inneren Vorstellungen schaffen kann.

Die Forderungen an den Kunst-Betrachter, -Genießer, -Konsumenten sind in jedem Fall sehr hoch.

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