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Jesus als Bruder: Scandalon der Kunst

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„Das Christentum, das sich nicht als Scandalon begreift, hat keine Berechtigung mehr. ‘' Mit diesem Wort von Friedrich Dürrenmatt rechtfertigt der Autor, daß eine Kunst, die sich dem Christentum stellt, ,.nicht harmlos und behübschend sein kann.“ Das gilt auch von einer Ausstellung in Linz, die über Österreich hinaus von Bedeutung sein wird.

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„Das Christentum, das sich nicht als Scandalon begreift, hat keine Berechtigung mehr. ‘' Mit diesem Wort von Friedrich Dürrenmatt rechtfertigt der Autor, daß eine Kunst, die sich dem Christentum stellt, ,.nicht harmlos und behübschend sein kann.“ Das gilt auch von einer Ausstellung in Linz, die über Österreich hinaus von Bedeutung sein wird.

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Mit dem Thema „Christusbild im 20. Jahrhundert“ befaßt sich eine vom 12. März bis 31. Mai in der Neuen Galerie in der Stadt Linz stattfindende Ausstellung, die weit über den konkreten thematischen Anlaß hinaus auch für ein breites Publikum von Interesse sein dürfte. Denn hier wird - am anschaulichen Befund - der Frage nachgegangen, ob es nicht auch in der modernen Kunst entscheidende spirituelle, ja sogar spezifisch christliche Impulse gibt.

Die vom Direktor der Neuen Galerie, Peter Baum, und vom Autor dieser Zeilen konzipierte Schau umfaßt annähernd 200 Werke der Malerei, Graphik und Plastik und versteht sich als großer historischer Überblick, der den Zeitraum von 1900 bis zur unmittelbaren Gegenwart umfaßt. Veranstalter sind neben der Neuen Galerie der Katholische Akademikerverband der Diözese Linz, das Bundesministerium für Unterricht, das Land Oberösterreich und das Katholische Bildungswerk.

Das Christentum war durch mehr als tausend Jahre ein, wenn nicht das zentrale, Thema der europäischen Kunst. Im 19. Jahrhundert jedoch war das Christusbild einem eigenartigen Verfallsprozeß ausgesetzt. Zwar gab es zuvor vielleicht noch nie so viele Christusbilder - fast in jeder Wohnung hing jetzt ein Druck, ein Bild der Heiligen Familie oder des Jesusknaben, dessen Bravheit den Kindern als Vorbild hingestellt wurde, oder eine Herz-Jesu- Darstellung -, doch geriet das alles ins Sentimentale.

Christus wurde als jüngerer Mann mit Bart, schulterlangem, gepflegtem Haar und wehmütigem Ausdruck wiedergegeben. Dieser weiche, oft süßliche Christustyp ist fest in unserer Vorstellung verankert, ist zum Klischee geworden.

In unserem Jahrhundert ist es zu ei

ner Wandlung gekommen, wenigstens an der Spitze, bei den großen, führenden Künstlern. Diese Tatsache ins Bewußtsein zu heben, ist das erklärte Ziel der Ausstellung.

Diese Ausstellung hat drei Schwerpunkte. Der erste liegt beim Expressionismus. Emil Nolde malte bereits 1909 sein Abendmahl und das Pfin'gstbild, das in Linz zu sehen ist. Es sind Bilder großer religiöser Inbrunst, in denen Nolde mit Farbe und Licht Christus und die Jüngergemeinde als Ergriffene, ekstatisch Entrückte darstellt.

Im Ersten Weltkrieg verändert sich die Situation. Künstler, die den Krieg qualvoll erlebt haben, wenden sich voller Zweifel und Unruhe dem Passions

thema zu. „Ist euch nicht Kristus erschienen?“ steht auf einem der Holzschnitte, die Schmidt-Rottluff 1918 geschaffen hat und die als die „Christusmappe“ bekannt geworden sind. Vom Erleben her verwandte Graphiken finden sich bei Barlach, Beckmann, Dix und Corinth - die wichtigsten davon sind in der Ausstellung zu sehen.

Aus dem Erleben des Krieges heraus arbeitet Georges Rouault in den zwanziger Jahren an seinem großen Zyklus „Miserere“, der allerdings erst 1948 erschienen ist - fünfzig Radierungen, die zum Bedeutendsten gehören, was das 20. Jahrhundert an Graphik hervorgebracht hat. Christus ist bei Rouault der Bruder, der Freund der Entrechteten, Verfolgten und Gequälten: so ist Jesus in unserem Jahrhundert immer wieder gesehen worden - nicht als der siegreiche, herrschende, richtende Gott, wie ihn die byzantinische und die romanische Kunst dargestellt haben.

Den zweiten Schwerpunkt der Ausstellung bildet die meditative Kunst. Hierzu ist zu bemerken, daß das Konzept der Ausstellung prinzipiell offen angelegt ist. Vielleicht ist es richtig, zu sagen: Meditative Bilder haben eine religiöse Dimension, die auch für eine christliche Interpretation offen ist. Das wird an den späten „Gesichtern“ von Jawlensky deutlich, von denen zwei der schönsten in der Ausstellung gezeigt werden.

Das glühende Rot und Blau, das uns aus der Abbreviatur menschlicher Ge

sichtszüge entgegenleuchtet, verweist auf eine andere Wirklichkeit; Jawlensky hat diese mit dem Titel „Karfreitag“ angedeutet. Auf die Rückseite eines seiner Bilder hat Jawlensky die Worte geschrieben: „O! wie möchte ich etwas Göttliches sagen!“

Die Intention der Aussteller läßt sich auch am Nebeneinander von zwei Plastiken von Karl Prantl ablesen: eine frühe, ein Baumstamm mit fünf Einkerbungen, gibt zeichenhafte Hinweise auf die Wundmale Christi. Eine späte Plastik mit fünf Höhlungen hat den direkten Bezug ins Abstrakte übersetzt: an die Stelle der früheren Dramatik ist nun eine ruhige, meditative Gestaltung getreten.

Meditativ sind auch Werke von Paul Klee wie sein „Christuskopf“ oder „Engel im Werden“, die Gouache „Gelber Christus im Mondlicht“ von Marc Chagall, ebenso Werke von Rothko, Poliakoff, Manessier, und Tä- pies, die wichtige Akzente im Ganzen der Ausstellung setzen.

Der dritte Schwerpunkt der Ausstellung liegt bei Werken der letzten zehn Jahre. Es ist überraschend, wie das Christusthema hier wieder ganz wichtig wird, doch auf neue und von Künstler zu Künstler verschiedene Weise.

Von Alfred Hrdlicka sind eine seiner mächtigen Torsi, aber auch zeitkritische Radierungen zu sehen, wo das Geschehen zu Golgotha mit Ereignissen der unmittelbaren Gegenwart konfrontiert wird. Arnulf Rainer übermalt Fotos von romanischen und gotischen Kruzifixen, steigert ihren Ausdruck, oder löscht ihn aus.

Mit dem Thema „Kreuz“ hat sich auch der frühe Beuys intensiv auseinandergesetzt. Herbert Falken greift Fotos des Turiner Leichentuchs auf, um so etwas wie „Spurensicherung“ zu versuchen. Werner Knaupp geht in Krankenhäuser, Krematorien oder zu den Armen der Mutter Teresa; sein ganzes Schaffen kreist um das Thema „Opfer“.

Günther Uecker schafft ein Nagelboot, Symbol des Rettenden und Bedrohlichen, und gibt ihm den Namen je

nes südamerikanischen Ortes „Chichi- castenango“, wo das Christentum und die alte indianische Religion aufeinan- dergeprallt sind und es noch heute tun.

Fritz Koenis hat eigens für die Ausstellung einen liegenden Gekreuzigten von starker formaler Kraft geschaffen, wo Kreuzigung und Grablegung in- einandergehen. Nicht zu vergessen ein spätes Relief von Fritz Wotruba und vier seiner Zeichnungen zum Thema „Kreuz“, die noch nie gezeigt wurden.

Wo die moderne Kunst sich mit dem Religiösen beschäftigt hat, ist sie oftmals auf den erbitterten Widerstand der Gläubigen gestoßen, die diese Werke vielfach mißverstanden haben. ^ Auch die Linzer Ausstellung ist provokant, das läßt sich nicht leugnen, doch sei an das Wort von Friedrich Dürrenmatt -erinnert: „Das Christentum, das sich nicht als Scandalon begreift, hat keine Berechtigung mehr.“

Wenn das wahr ist, kann auch eine Kunst, die sich dem Scandalon des Christentums stellt, nicht harmlos und behübschend sein. Immerhin haben die Veranstalter alles in ihrer Macht Stehende getan, um auch für eine gute Vermittlung zu sorgen: nicht nur der preiswerte Katalog bietet wichtige Hinweise zum Verständnis, es werden auch Führungen angeboten; Bildungswerkleiter, Professoren und Studenten stellen sich in den Dienst dieser Aufgabe.

Es ist wohl erstmalig - nicht nur in Österreich -, daß sich soviele offizielle Organisationen einer Diözese bereit erklärt haben, am Brückenschlag zwischen moderner Kunst und Kirche mitzuwirken. Man kann dieser Ausstellung nur wünschen, daß sie jenes Echo hat, das sie verdient.

Die Ausstellung „Christusbild im 20. Jahrhundert" findet vom 12. März bis 31. Mai in den Räumen der Neuen Galerie Linz. Blütenstraße IS (Lentia 2000), statt. Öffnungszeiten: an Wochentagen von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag jeweils bis 22 Uhr, an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 13 Uhr (Ostersonntag, Ostermontag und 1. Mai geschlossen). Der reich bebilderte Katalog mit einer Reihe wichtiger Artikel kostet öS 100.-.

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