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Wie Gestalt sich wandelt

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Zu den Ausstellungen von Oskar Matulla und Alfred Wickenburg hat sich nun die eines dritten Jubilars gesellt. Es ist jene des Malers Albert Birkle, der heuer seinen 75. Geburtstag feiert und von dem die „Galerie Herzog im Pferdestall“ am Getreidemarkt ungefähr 20 kleine und 50 große Kohlezeichnungen sowie 30 Farbblätter, darunter Entwürfe für Glasfenster, zeigt. Und Glasfenster waren es auch, die Birkle, der in den frühen dreißiger Jahren sein erstes Kirchenfenster für Herrenberg bei Stuttgart schuf, nach 1945 in Österreich bekanntmachten. Zuerst jene der Blasiuskirche in Salzburg und dann, neben vielen kleineren Aufträgen, die großen Fensterzyklen in Graz und Graz-Wetzelsdorf, in Knittelfeld und Dornbirn. Es waren Arbeiten, die damals durch ihre starke Ausdruckskraft ebenso Aufmerksamkeit erregten wie durch die erste Verwendung von Dalleglas in Österreich. Birkle, ein gebürtiger Berliner mit schwäbischen Eltern und Tiroler Vorfahren, hatte in ihnen jenen Expressionismus adaptiert, den er, einer jüngeren Generation zugehörig, nach seinen Studien bei Arthur Kampf als Weggefährte von Beckmann, Dix, Nolde, Schmidt-Rottluff, Pechstein, Barlach, Grosz und der Kollwitz entwickelt hatte.

Die ausgestellten frühen Arbeiten von 1921 wie „Die Arbeiter“ und „Unter den roten Fahnen“ sowie der „Schrankenwärter H.“ von 1924, zeigen ebenso eine formale Nähe zu Otto Dix und George Grosz wie jene zeit- und gesellschaftskritische Komponente, die sein Werk bis heute — auch in den religiösen Darstellungen — auszeichnet. Birkle zeigt sich darin nicht nur als Moralist und Prediger, sondern auch als Aufdecker von Sachverhalten, in denen er das Allgemeingültige, Kennzeichnende, sucht. Diese stets wache Einstellung zu Zeit und Gesellschaft, sein durchaus religiös bedingtes Ethos, machen es verständlich, daß er nicht nur seiner Kunst wegen nach 1933 mit den neuen Machthabern in Deutschland in Konflikt geriet und nach Österreich auswich, wo er sich in Salzburg ansiedelte. Vorher waren aber bereits wesentliche Fresken und Wandmalereien entstanden, wie etwa in der Kirche in Geislingen oder in Sulgen im Schwarzwald, die erhalten blieben, während Birkles großes Fresko im Schiller-Theater in Berlin und die Wandbilder im Deutschen Opernhaus und ein Dek-kengemälde in der Staatsoper Berlin durch den Krieg zerstört wurden. In den nach dem letzten Krieg entstandenen Kohlezeichnungen und Glasfensterentwürfen der Ausstellung vertritt der Maler einen stärker das Graphische und Flächige betonenden Spätexpressionismus, der bei den Fensterentwürfen geschickt die Verbleiungen zur Steigerung des Ausdrucks einzusetzen weiß, in den starkfarbigen Deckfarbenblättern allerdings keinen Eindruck vom Leuchten der transparenten Materie des Glases, der Umsetzung der Farben, vermitteln kann. Einer späteren Ausstellung soll vorbehalten sein, Originalfenster von Albert Birkle zu zeigen, der augenblicklich noch an den Glasfenster-Zyklen für die National Cathedral in Washington D. C. arbeitet. Aber auch so sind die hier gezeigten Arbeiten eine würdige und sehenswerte Huldigung für den Jubilar.

Claus Pack

Franz Ringel, erfolgreichster Maler der einst sehr rasch bekanntgewordenen Wiener „Wirklichkeiten“-Gruppe, stellt nach seinem Mailänder Erfolg und vor den nächsten großen Personalen in Amsterdam und Paris zur Zeit in der Wiener Galerie Gras (Grünangergasse 6) aus. Mehr als ein Dutzend neuester Blätter im „Art brut“-Stil, eine Serie von Freaks, Jahrmarktattraktionen, Schlangenmenschen, „Damen ohne Unterleib“ ... Eine Revue der Abnormitäten, die er mit packendem Gespür für das Sensationelle in diesen Randsituationen malt und zeichnet. Allerdings, die Optik hat bei Ringel wie immer Vorrang. Das Arrangement dieser Figuren besticht; wie sie in den rosa oder blau leuchtenden Um-raum einkomponiert und durch Ringels typische Schlauchsysteme mit ihrer Umwelt verbunden sind... Und in den Farben hat sich bei Ringel offenbar auch einiges „getan“: Sie sind noch direkter, noch härter geworden, wirken stark aufgehellt, Babypink, Zyklam und Himmelblau leuchten noch aggressiver als bisher. *

Spaltungen, eine Welt, in der Menschen durch medizinische Apparate bedroht sind, Bilder von Zöglingen ... Das sind die Themen des jungen Kärntners Reimo S. Wukounig, der für seine Arbeiten demnächst den Förderungspreis zum österreichischen Staatspreis erhält und für die Biennale von Venedig vorgeschlagen wurde. Deshalb arrangierte nun die Wiener Galerie „Ariadne“ für Wukounig eine Ausstellung seiner „Zöglinge“-Serie und der interessantesten „automatischen“ Zeichnungen.

„Ich habe eigentlich immer ein Hauptproblem darzustellen versucht“, erklärt der Eigenbrötler und Outsider unter den erfolgreichen jungen Österreichern seine malerische Position: „Die Abhängigkeit des Menschen ... von Ängsten aller Art, von technischen Apparaten, von anderen Menschen! Irgendwie sind wir alle Zöglinge geblieben. Ich habe diesen Zustand zwischen meinem achten und 18. Lebensjahr selbst erfahren ... Wir sind Zöglinge in einem System, in einem Mechanismus“. Aber Wukounig will dieses Thema keinesfalls vordergründig dramatisieren. Seine Zeichentechnik hat eine kunstvolle Glättung erfahren, seine Figuren nähern sich manchmal schon streng akademischen Darstellungen: Ich könnte natürlich manches aggressiver malen, mich eines expressiveren Gestus bedienen. Aber das würde den Zugang zu diesen heiklen Themen erschweren. Ich will dem Betrachter das Verstehen erleichtern.“ Gerade seine in der „Ariadne“ gezeigten „Zöglinge“ sind von einer

Perfektion und Schönheit der Darstellung, von einer Subtilität und Diskretion der Farben, daß man eigentlich im ersten Moment die lastende Bedrohlichkeit über diesen Blättern fast nicht wahrnimmt

Fragt man aber Wukounig, ob er bei seinem Beharren, seinem Festhalten am Thema „Bedrohung“ nicht eine Verengung, eine Verarmung im zeichnerischen Vokabular befürchte, meint er: „Selbstkritik ist entscheidend. Und gerade bei meinen .automatischen' Zeichnungen, Blättern, in denen ich wie die Surrealisten dem Zeichenstift freien Lauf lasse, dahinphantasiere, kann ich mich von aller Konzentration entspannen.“ Gerade die automatischen Blätter haben übrigens erstaunlichen Reiz, auch wenn sie nicht immer nach Erfolgs- und Marktmarke Wukounig aussehen.

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„Herbstsalon“ nennt die Galerie nächst Sankt Stephan (Grünanger-gasse 1) ihre vorweihnachtliche Sammelausstellung, zu der Österreichs junge und auch nicht mehr ganz junge Avantgarde eine Menge beigesteuert hat. Von Arnulf Rainer hängt hier zum Beispiel eine Ubermalung eines Photos des früheren Galeriechefs Monsignore Mauer. Ptchler, Gironcoli, Valie Export, Meina Schellander, Hans Hollein haben Skizzen und Zeichnungen beigesteuert. Von Avramidis hängen hier Aktstudien zu Superpreisen. Die COOP-Himmel-blau hat zwei reizvolle Collagen, „Stadteinfahrt“ und „Wolkenkulisse“ aus dem 74er-Jahr, ausgestellt... Im ganzen freilich eine Art Kunsttrödelladen, wie er eigentlich auch Sammler nicht unbedingt reizt. Vor allem, weil da so gar keine Zusammenhänge, gar keine bindenden Ideen sichtbar werden.

Auch Josef Mikl, Klassenchef ah der Akademie der bildenden Künste, der seine interessante tachistische Vergangenheit in der Gruppe der Galerie Sankt Stephan immer mehr verwischt, ist in der Galerie Ulysses (Goethegasse 1) mit neuen Arbeiten vertreten. Geometrisch gestaltet er seine „Büsten“-Bilder; Etüden und Skizzenhaftes nach der Natur, Früchte und Blumen vor allem, reiht er neben seine n$uen „,Köpfe“, die etwas Steril und steil wirken. Dazu große Tableaus mit gelbem oder diskret-rotem Fond, auf denen er in blaugrauen Tönen Kompositionen ablagert, die aufregenden fünziger Jahre scheinen hier den harmlosen Siebzigern gemacht zu haben.

Farbige Zeichnungen von 1974/75 präsentiert Jürgen Messensee in der Galerie „Modern Art“ (Wipplinger-straße 8). Und diese Arbeiten beweisen, daß sich bei Messensee seit geraumer Zeit „etwas tut“, das heißt, daß seine eigentlich jahrelang so gefestigt scheinende Handschrift, seine etwas starren Figuren einen Prozeß der Auflockerung, der Dynamisierung durchmachen. Plastische Vorstellungen von Malerei, überhaupt die Beschäftigung mit der Plastik haben wohl diese Entwicklung ausgelöst. Und obwohl er seine Themen zunehmend abstrakter behandelt, merkt man doch noch immer, wie sehr1 er in der Realität, im Alltag verhaftet ist. Der Mensch ist der Schlüssel zu diesen Arbeiten.

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