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Exil ohne Bruch

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„Halb Kind, halb Greis, einem Menschen gleich, der einen Narren aus sich macht. Es ist die Maske, die er am liebsten trägt, eine Schutzmaske“: So hat seine Gönnerin Erica Tietze-Conrat den Plastiker Georg Ehrlich angesichts seines Selbstbildnisses von 1925 charakterisiert, als einen Künstler, der „sich ausschöpft bis aufs letzte, der sich hingibt bis aufs letzte, der alles auslöscht, Willen und Körper, Erlebtes und Ersehntes, damit der Weg frei wird...“ Als Ehrlich, Sohn eines Breslauer Kohlenvertreters und einer Wienerin, 1937, damals gerade ein Vierziger, Wien verließ, um sich in London anzusiedeln, ist seltsamerweise aber keiner jener großen psychischkünstlerischen Brüche spürbar geworden, wie sie etwa ein Franz Wer-fel oder Arnold Schönberg erlitten haben. Und auch als Ehrlich während des Zweiten Weltkriegs Flüchtlingskinder zeichnete und Kriegseindrücke in Bronze umsetzte, nahm sein Schaffen dennoch kaum brisant politischen Charakter an. Zu sehr war er ein Beobachter der kleinen Dinge, des Alltags, zu sehr in seine Freude an Kindern und Haustieren versponnen, die er geradezu unermüdlich „naturalistisch“ nachzeichnete und in Bronze formte.

Geradezu charakteristisch für Ehr-lichs Arbeiten: sie scheinen Momentaufnahmen zu bieten ... das Tier hält im Sprung inne, den Menschen erwischt er im Ubergang zwischen Ein- und Ausatmen. Gerade in London, wo er 1962 in die Royal Aca-demy aufgenommen wurde und 1964 vom Arts Council eine Ausstellung in Benjamin Brittens Garten gewidmet bekam, glätteten sich seine Arbeitsweise und sein Ausdruck entscheidend — trotz Kriegserlebnissen, Emigration, Erschütterungen.

Die Ausstellung im Historischen Museum der Stadt Wien zeigt das sehr deutlich: Ein Zurückziehen in sich selbst, ein Ausloten der eigenen Welt der kleinsten Dinge ... Das ist es, was sein Leben und Arbeiten bis zuletzt bestimmte und ihn auch jene klaren Formen finden ließ, die heute so imponieren. Denn die Elemente expressionistischer Aufgewühltheit, wie man sie in seinem „Bibel“-Zyklus (1921) oder in seiner „Elisa-beth-Bergner“-Radierung (1923) feststellt, der Lehmbruck verwandte Gestus („Zwei Schwestern“, 1932) werden abgebaut. Die Linien glätten sich, schwingen elegant aus. Zeichnung und Plastik wirken musikalisch objektiviert.

Eigentlich höchste Zeit, daß Ehrlich wieder tiefer ins Bewußtsein der Wiener Kunstfreunde eindringt. Hat man hier eines wirklich vergessen? Daß er, der aus der Schule Oskar Strnads und des großen Anregers Franz Cizek kam, in München mit Barlach, Klee, Corinth und Kokoschka, im Wiener Hagenbund und bei Kallir ausstellte, in Berlin bei Cassirer unter Vertrag stand, auf der Biennale von Venedig vertreten war und bei der Pariser Weltausstellung 1937 Gold einheimste, daß er dessen Werk früher immer wieder in Paris, Hamburg, Berlin, Amsterdam und Den Haag zu sehen war, einer der Wichtigen war aus der großen Tradition österreichischer Plastik?

Vor sechs Jahren galt er noch als autodidaktisches Wunderkind: Einer der mit schockierender Härte, ganz ohne alle malerische Fingerfertigkeit und Geschmacksbravour seine Themen in Acryl pinselte. Nun zeigt ihn die Secession in ihrem Hauptsaal: Walter Navratil, 26. Er geht noch immer seinen. eigenwilligen Weg, ist zwar noch nicht so weit, um sich endgültig einen Stil zurecht gemalt zu haben. Aber was er vorzuzeigen hat, gibt deutlich eine Richtung an, verspricht Endgültiges: Bilder einer naiven Exotik, in der Rousseau ebenso wie Ensor, Warhol ebenso wie die großen Alten ihre Spuren hinterlassen haben.

Mit viel feinem Farbengespür streichelt er nun seine düsteren Orang-Utans auf die Leinwand, stellt sie in dunkel brodelnde Regenwälder, beklemmend düstere Wüsten. Bilder großer Maler wie Velas-quez oder Degas tastet er auf das in ihnen spürbare Archetypische ab. Wie einst Picasso, reduziert er zum Beispiel „Las Meninas“ auf Spannungsfelder, Reizzonen.

Auffallend ist allerdings der Sprung, den er getan hat: von einer aggressiv-popigen Klischeewelt, die er seit Anfang 1970 konterfeite, zu einer sehr persönlichen Handschrift heute. Dennoch, auch die unter amerikanischem Einfluß entstandenen Supergangster- und Mafiosi-Bilder — Klischeegesichter, Herren im Nadelstreif, die Patenfamilie sitzt Porträt für die Familiengalerie, das „Begräbnis“ könnte ein Plakat von Anno 1930 sein — haben großen malerischen Reiz. Eine Ausstellung, in der man viel zu schauen,hat.

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