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Bern—Schaf fhausen—Basel

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Immer wieder ist es erstaunlich, wie unser Nachbarland aus einer seltenen Gunst der historischen und wirtschaftlichen Lage heraus kulturelle Nachkriegsarbeit leistet, die dem Gedanken eines in Frieden vereinigten Europas dient. Angefangen mit der Schaustellung der Schätze des Pradomuseums in Genf 1939, hat besonders nach dem Ende des zweiten Weltkrieges alljährlich eine Entsendung von Sammlungen ausgewählter Kunstwerke anderer Länder in die Schweiz stattgefunden. -Man wird als Kunsthistoriker das Risiko und die mannigfachen Schädigungen von Bildern auf Reisen nicht auf die leichte Schulter nehmen, besonders eingedenk der Katastrophe des Glaspalastbrandes von 1931 in München, wo mit einem Schlage die Blüte der deutschen romantischen Malerei für immer dahinsank. Andererseits wollen wir uns nach Jahren der Zerstörung wertvollen Kunstgutes wieder’ an den Werken der großen Meister erfreuen und begrüßen sie, wenn sie uns als neue Form geistiger Mitteilung in örtliche Nähe gerückt werden, als Sendboten des kulturellen Austausches and der gegenseitigen geistigen Befruchtung innerhalb Europas.

In der Bundeshauptstadt Bern ist im Kunstmuseum bis 31. Oktober „Kunst des frühen Mittelalters“ zur Schau gestellt. Miniatur und Einband des mittelalterlichen Buches, die illustrierten Handschriften aus der Zeit der karolingischen und ottonischen Kaiser: das ist das Programm dieser prachtvollen, 440 Nummern zählenden Ausstellung, die gleichsam eine Gegengabe von etwa 60 deutschen Bibliotheken an die Schweiz darstellt für die Hilfe, die sie von dorther nach dem Krieg erfahren haben. Zur Abrundung der großen Zusammenhänge, in denen das künstlerische Schaffen um das Jahr 1000 steht, wurde der ganze Zeitraum von der ausgehenden Antike bis zum Ende des romanischen Stils um 1250 in die Ausstellung einbezogen. Mit Recht wurde hervorgehoben, daß eine Schau der Art und des Umfanges zum letztenmal vor fast 50 Jahren in Düsseldorf stattgefunden hat. Inzwischen sind die Zusammenhänge geklärt worden, das Material ist gesichtet, so daß in Bern das Wesentliche und künstlerisch Bedeutungsvollste dargeboten werden kann. Wir nennen aus der vorkarolingischen Epoche nur die schönste der damaligen Handschriften, ein nortbumbrisches Evangeliar des 8. Jahrhunderts aus Kloster Echternach, heute in der Pariser Nationalbibliothek, Vertreter der Richtung altirisch-angelsächsischer Buchmalerei, an der auch die KIosterbibFo- thek von St. Gallen — sie hat leider nichts nach Bern ausgeliehen — so reich ist. Aus der Zeit der sogenannten karolingischen Renaissance, eines ersten Wiederauflebens der Antike, sind in den beiden ersten Sälen der Ausstellung alle großen karolingischen Malschulen vertreten, an der Spitze die sogenannte Adagruppe, genannt nach einer Handschrift aus Trier, die kurz vor 800 wahrscheinlich für die Schwester Karls des Großen, Ada, angefertigt wurde, prunkvoll, von strahlender Farbigkeit und sehr ornamental in der Wirkung. Die Schule von Tours, die größte aller karolingischen, ist mit sechs großen Handschriften vertreten, und auch die späte Schule von Corbie, welcher der genannte Codex Aureus mit seiner starken Bewegtheit der Formen angehört. Den eigentlichen Kern der Ausstellung bilden dann die ottonischen Werke mit nahezu allen großen Handschriften der ottonischen Malschulen des 10. und 11. Jahrhunderts. Auch jetzt spielt das Herrscherhaus als Besteller reich illustrierter und kostbar gebundener Handschriften und edler Goldschmiedewerke eine große Rolle. Daneben treten kirchliche Fürsten als Mäzene hervor, wie Egbert von Trier oder Bernward von Hildesheim. Kloster Reichen au ist Zentrum der großartig bunten, flächenhaft dekorativen, visionären ottonischen Malerei, aber auch der Goldschmiedekunst und Elfenbeinschnitzerei. Auch ein ottoni- scher Kirchenschatz ist ausgestellt: fast alle die Schenkungen, die Heinrich II. und seine Gemahlin Kunigunde um das Jahr 1000 ihrer Stiftung Bamberg gemacht haben. Da ist der Krönungsmantel Heinrichs, der Mantel der Kunigunde und beider Gebetbücher, eingebunden in kostbare byzantinische Elfenbeindiptychen. Besonders interessant und fast nie sonst zu sehen die niedersächsische Prunkausfertigung der Heiratsurkunde der Kaiserin Teophanu mit Otto II. aus dem Archiv in Wolfenbüttel vom 14. April 972, in der der Kaiser seiner byzantinischen Gemahlin als Morgengabe große Besitzungen zu beiden Seiten der Alpen überschreibt. Aus der romanischen Periode sind neben den kostbaren Psaltern und Evangeliaren besonders bemerkenswert die Enei’de des Heinrich von Veldeke aus dem Regensburger Prüfeninger- kreis um 1210—1220, das früheste der großen mittelhochdeutschen höfischen Epen mit den ältesten und zugleich reichsten Illustrationen dieser Gattung. Da liegen in eiper anderen Vitrine d’ie Carmina Burana, die b e- rühmte Sammlung deutscher und lateinischer Vagantenlieder aus Benediktbeuern vom ersten Drittel des 13. Jahrhunderts; darin das frühe Bild einer Landschaft ohne szenische Beigaben. Oder die Miniaturen aus Wolfram von Eschenbachs Parzifal oder Gottfried von Straßburgs Tristan und Isolde, beide aus einer Straßburger Schreibstube um 1230 40. Da ist en ‘lieh der herrliche Komburger Altarvorsatz um 1130 40 mit den aus vergoldetem Kupferblech getriebenen großen ernsten Figuren. In der Mitte streng frontal Christus in der Mandorla mit den Evangelistensymbolen und zwölf Aposteln: eine Komposition von eindringlicher Größe! Alle diese vorgotischen Werke verbindet eine ornamentale Stilisierung und die abstrakte Einstellung der Natur gegenüber. Der geistige Gehalt, das innere religiöse Erleben ist das Ziel dieser Kunst, der Gestalt und Ding zum Symbol wird. Alles Irdische ist nur ein Gleichnis, die Vollendung liegt im Jenseits.

Gehen wir von Bern an die Peripherie der Schweiz nach Schaffhausen, so nähern wir uns dem zentralen künstlerischen Erleb nis des Sommers. Als solches gilt die Ausstellung „Rembrandt und seine Zeit“ im schönen, alten Museum zu Allerheiligen, einem ehemaligen Kloster mit prächtigem Kreuzgang und romanischer Münsterkirche aus dem 12. Jahrhundert. Die Stadt Schaffhausen, nicht größer als unser Hall oder Schwaz, malerisch überragt von dem kreisrunden Bollwerk des Munot aus dem 16. Jahrhundert, hat in einzigartiger Initiative für diesen Sommer bis 2. Oktober 200 Gemälde der Blütezeit der holländi- schenBarockmalerei desl 7. Jahrhunderts aus deutschem, holländischem und schweizerischem Museums- und Privatbesitz in ihren Mauern vereinigt und so Schaffhausen zum Mekka aller kunstbegeisterten Menschen des In- und Auslandes gemacht. Es ist klar, daß diese Ausstellung der naturzugewandten, eingänglichen holländischen Bürgerkunst des 17. Jahrhunderts ihr Echo in weitesten Kreisen findet, mehr als die mittelalterliche Ausstellung in Bern, die vom Beschauer intensives Einleben verlangt. Doch auch in Schaffhausen steht man,

wenn man den unvergleichlichen malerischen Reichtum der vielen großen und kleinen Meister in sich aufgenommen hat, am Ende immer wieder mit Ergriffenheit vor den genialen und rätselhaften Werken des Rembrandt van Rijn. Ober 30 Bilder sind hier vereinigt, verteilt über die ganze Lebenszeit des Künstlers, der die Vollendung und den Höhepunkt der nordischen Kunst überhaupt bedeutet. Je mehr ihn das äußere Lehensgeschick niederwarf, desto tiefer schritt er den Weg in das innerste Heiligtum wohin ihm niemand mehr zu folgen vermochte. Sein spätes, wenn auch nicht letztes Selbstbildnis aus dem Kölner Wallraf-Richartz- Musieum um 1667, zwei Jahre vor seinem Hingang gemalt, zeigt Rembrandt lächelnd als Überwinder irdischer Armseligkeit und Drangsal. Seine Kunst wurde, so unbegreiflich das ist, von dem Zusammenbruch seiner äußeren Existenz nicht berührt, ja sie scheint sogar heimliche Kräfte aus Dunkel und Not gesogen zu haben. Man nennt Rembrandt gern den Maler des Lichtes und denkt dabei an das natürliche Licht, das von außen -auf die Dinge fällt. Aber was Rembrandt in seinen späten Jahren bewegt, ist vielmehr ein inneres Licht, das aus den Dingen selber zu strahlen scheint. Das Geheimnis seiner Malerei ist nicht Ocker, sondern Herz und Seele! Sein Lächeln auf dem Kölner Bild ist nicht Menschenverachtung, sondern Liebe. Manchem wird vielleicht, wenn er die Reihe der Bilder Rembrandts in Schaffhausen betrachtet, etwa die Bilder zum Alten oder Neuen Testament, wie sie in der neueren Kunst keiner beseelter gestaltet und gedeutet hat, die Ahnung aufgehen, daß Kunst nicht Genuß oder hold beglückender Traum ist, sondern etwas furchtbar Ernstes und Weltdeutendes sein kann, das nach Religion am tiefsten an die Seele rühren kann.

Und neben Rembrandt der genialische Frans Hals, der in Haarlem tätig war. Zehn Bilder sind von ihm in Schaffhausen zu sehen, darunter das eruptiv gemalte des Mannes mit dem Schlapphut aus Kassel. Die spätere Malerei Europas, Frankreichs, Spaniens, Deutschlands ist von Hals und Rembrandt und überhaupt von der holländischen Malerei sehr angeregt worden. Neben den großen stehen die kleineren Sterne und Lokalschulen: in Haarlem Dirk Hals, der jüngere Bruder des Frans, die beiden Ostade, Jan Steen, der große Sittenschilderer, die beiden Landschafter Ruisdael und Wouver- man; in Leiden nach Rembrandts Weggang nach Amsterdam (1631) Gérard Dou, die Mieris und Gabriel Metsu; in Amsterdam neben und nach Rembrandt Thomas de Keyser, Bartholomäus van der Heist, Nicolas Maes, Aert de Gelder, der den Goldton der 60er Jahre Rembrandts etwas äußerlich nachahmte; in Delft Rembrandts Schüler, der junge, durch eine Pulverexplosion umgekommene Carel Fabritius, der wieder der Lehrer des Jan Vermeer war. Auch Pieter de Hooch und Paulus Potter, der Tiermaler, ließen sich später in Delft nieder; in Dordrecht schuf Aelbert Cuyp seine sonnen, durchleuchteten Landschaften, im Haag Jan van Goyen. Ein unsteter Wanderer endlich war Terbordi. Alle diese Künstler und noch viel mehr — wir nannten nur die bedeutendsten Namen — sind in Schaffhausen mit charakteristischen Proben ihrer Meisterdiaft vertreten. Historie, Bibelbild, Sittenbild, das Bildnis einzeln und in Gruppen, Landschaft, Architekturbild, Interieur und Stilleben: dies ist die weitgespannte Stoffwelt der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, wie sie sich heuer in der großen Ausstellung in einer kleinen Stadt darbietet!

Endlich noch ein Blik auf eine dritte Ausstellung, die leider schon ihre Pforten geschlossen hat; die Ausstellung „Deutsche Romantiker" im Kunstmuseum zu B a s e 1. 100 Gemälde und Handzeichnungen aus der Hamburger Kunsthalle, einer Hauptherberge deutscher Malerei der Romantik, waren seit Mai in Basel zur Schau gestellt, ergänzt um einige Leihgaben aus Lübek. Der Anlaß war ein ganz bestimmter. Philipp Otto Runges volkstümlichstes Bild „Die Hülsenbekschen Kinder“ von 1805 06 war als gottlob einziges Werk der Hamburger Kunsthalle durch einen Bombensplitter stark zerfetzt worden. Basel sprang mit Material für die Restaurierung des Bildes hilfreich bei, und zum Dank gaben nun die Bilder aus Hamburg gewissermaßen ein Gastspiel in Basel. Die Hauptkräfte dieses Gastspiels waren die zwei großen frühen norddeutschen Romantiker Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge. Es schlossen sich an der historisierende katholische Kreis der sogenannten Nazarener unter Führung von Overbeck und unter Patronanz des alten Joseph Anton Koch in Rom. Endlich die süddeutsche Spätromantik und Biedermeier mit Richter und Schwind und eine mehr realistische Gruppe der Biedermeiergeneration, die kühn das Tor öffnete zum freien Malen des Pleinairismus: Dahl, Waldmüller, Blechen und Wasmann. Von C. D. Friedrich war neben dem herrlichen zeichnerischen Selbstbildnis als Hauptstük „Die gescheiterte Hoffnung“ vom 1821 ausgestellt; die Schilderung eines Eisberges, der ein Segelschiff zerdrückt hat, glashart ohne Pathos gemalt, wird in Friedrichs hintergründiger Naturanschauung zum Sinnbild menschlicher Hoffnungslosigkeit. Kersting hat diesen einsamen, großen Träumer Friedrich in seinem Atelier 1811 gemalt, ein Bild, das, charakteristisch für den Geist der Ausstellung, für deren Plakat gewählt war. Carus, der Arzt und Freund Friedrichs, hat uns in seinem Bild „Goethe-Denkmal“ von 1832 eine der schönsten Verklärungen von Goethes Dichtertum geschenkt. Diefe stille und wesenhafte Kunst des frühem 19. Jahr-hunderts hat, um auch das noch zu sagen, in Basel nicht ganz das erwartete und verdiente Echo gefunden. Die überlaute und grelle Moderne hat sie übertönt.

Erwähnt man noch die Veranstaltung einer großen Ausstellung Bonnards im Kunsthaus zu Zürich und die Schau von Werken des Matisse in Luzern, so ist versucht worden, das Wesentliche dieses überreichen Schweizer Kunstsommers in Worte zu fassen.

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